Interview | Restaurierung von "Das Cabinet des Dr. Caligari" - "Wir haben uns bewusst zurückgehalten"

Sa 08.02.14 | 01:43 Uhr | Von Sebastian Schneider
Filmstills aus "Das Cabinett des Dr. Caligari" (Quelle: Murnau-Stiftung)

Anke Wilkening von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung hat mehr als zwei Jahre lang an der digitalen Restaurierung von "Das Cabinet des Dr. Caligari" gearbeitet. Im Interview spricht sie über Filmkopien aus Uruguay, die Suche nach der richtigen Färbung und die Last eines Klassikers.

rbb|24: Frau Wilkening, wie wird man Filmrestauratorin?

Anke Wilkening: Es gibt keine klassische Ausbildung wie in anderen Restaurierungsbereichen. Ich habe meinen Magister in Filmwissenschaften gemacht und schon währenddessen Praktika in Filmarchiven absolviert. Meine Magisterarbeit habe ich dann über die Rekonstruktion eines Stummfilms geschrieben. Bei der Murnau-Stiftung arbeite ich aber nicht nur als Restauratorin, sondern bin auch für die Digitalisierung und die Produktion von DVDs zuständig.

Die Filmrestauratorin Anke Wilkening von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (Quelle: Murnau-Stiftung)Anke Wilkening arbeitet seit zehn Jahren als Restauratorin bei der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Wiesbaden.

Mit welchem Ausgangsmaterial haben Sie "Das Cabinet des Dr. Caligari" restauriert?

Unsere wertvollste Quelle war das Kameranegativ aus dem Filmarchiv des Bundesarchivs in Berlin. Weil es das Negativ ist, das 1919 beim Drehen des Films vom Kameramann belichtet wurde, enthält es alle Informationen der Aufnahme. Die bisherigen Restaurierungen von "Dr. Caligari" haben nur mit Kopien des Films gearbeitet - dabei geht Qualität verloren, zum Beispiel Schärfe und Details. Aber auch wir mussten teilweise auf Exportkopien aus dem internationalen Verleih zurückgreifen. Wir haben sie aus Montevideo, Paris, New York oder Brüssel geliehen.

Wie lange hat die Restaurierung gedauert?

Von der Recherche bis zur Abnahme waren es mehr als zwei Jahre. Es gibt aber Projekte, die sogar noch langwieriger sind. Die Arbeit an "Die Nibelungen" von Fritz Lang hat fast fünf Jahre gedauert. Man arbeitet aber in dieser Zeit nicht an einem einzigen Projekt, sondern betreut verschiedene. Meine Hauptaufgabe bei "Dr. Caligari" war es, alle Informationen über den Film zusammenzutragen, die Quellenmaterialien zu sichten und auszuwerten. Die technischen Arbeiten wurden dann auf unsere Anweisungen hin von einem Speziallabor in Bologna gemacht.

Wie sind Sie bei Ihrer Arbeit vorgegangen?

Es war zunächst mal Detektivarbeit. Ich finde die Analyse der Materialien eines Films am interessantesten, weil man dadurch sehr viel über dessen Entstehungszeit erfährt. Von "Dr. Caligari" ist leider keine deutsche Verleihkopie mehr erhalten. Es gab keine Information darüber, wie die deutsche Fassung, die 1920 im Kino lief, ausgesehen hat. Der Film wurde, wie damals üblich, nicht in Schwarz-Weiß gezeigt, sondern hat verschiedene Färbungen. Die Farbkataloge haben sich aber im Laufe der zwanziger Jahre geändert. Also mussten wir von den Exportkopien Rückschlüsse ziehen: Die, die am frühesten erschienen ist, war dann die Vorlage für unsere Färbung.

Sie haben den Film gescannt und dann digital restauriert. Welche Vorteile hat das?

Ein Beispiel: In vielen Einstellungen des Kameranegativs fehlen Bilder, teilweise eine ganze Sekunde lang. Das Ergebnis sind starke Bildsprünge. Wir haben die Lücken mit Material aus den qualitativ schlechteren Kopien aufgefüllt und konnten sie dann am Computer angleichen.

Für viele Einstellungen haben wir mit "Visual Effects" gearbeitet. Caligari ist ein recht statischer Film, deshalb konnten wir die fixen Hintergründe aus dem Kameranegativ verwenden, sie verändern sich ja nicht. Die Figuren, die sich durch das Bild bewegen, haben wir dann digital aus einer der Filmkopien geschnitten und in diesen neuen Raum eingefügt. Details aus der Kleidung der Darsteller oder ihren Gesichtern haben wir mit Pixeln aus der Kopie quasi nachgebaut. Bei einer komplizierten Einstellung kann diese Arbeit zwei Wochen dauern - und wir hatten 67 Einstellungen.

Sie sehen den Film jetzt in einer völlig neuen Form. Es sind plötzlich Details da, die vorher nicht erkennbar waren."

Anke Wilkening, Filmrestauratorin

Wie unterscheidet sich die restaurierte Fassung von älteren Versionen?

Sie sehen den Film jetzt in einer völlig neuen Form. Es sind plötzlich Details da, die vorher nicht erkennbar waren. Vorher sind diese Details in Lichtern und Schatten durch viel zu harte Kontraste verloren gegangen. Das sieht man besonders an den Gesichtern, da blieb vorher oft nur eine weiße Fläche übrig.

Aber auch die Schärfe und die Brillanz sind nun wesentlich größer, der Bildstand ist viel ruhiger, der Rhythmus des Films hat sich verbessert, weil wir die Bildsprünge aufgefüllt haben. Die historischen Färbungen konnten wir in der digitalen Farbkorrektur besser umsetzen und auch die Zwischentitel sind jetzt viel besser lesbar. Trotzdem haben wir uns bei der Restaurierung bewusst zurückgehalten, wir wollten kein besonders "cleanes" Ergebnis. Das hätten wir für einen Film aus dieser Zeit unangemessen gefunden.

Gefällt Ihnen der Film nach zwei Jahren Detailarbeit überhaupt noch?

Das ist schwer zu beantworten, denn als Klassiker ist "Caligari" durch die Filmgeschichtsschreibung vorbelastet - man kann ihn eigentlich kaum unvoreingenommen sehen. Deswegen fand ich es so schön, bei der Restaurierung die Gelegenheit zu haben mit den Originalmaterialien des Films zu arbeiten. So konnte ich mich "Caligari" auf eine ganz neue, interessante Art nähern. Ich finde, er ist spannend und gut umgesetzt - einer der ersten Psychothriller. Der Plot ist nach wie vor sehr modern.

Was passiert nach der Berlinale mit "Dr. Caligari"?

Wir haben glücklicherweise schon viele Buchungen über unseren Filmverleih, "Caligari" wird also in einigen Kinos laufen, vor allem in den kommunalen Kinos. Die Betreiber haben ein Interesse daran, den Film möglichst schnell nach der Berlinale-Premiere zu zeigen. Außerdem haben wir eine DVD- und eine Blu-Ray-Veröffentlichung geplant.

Vielen Dank für das Gespräch.

Beitrag von Sebastian Schneider

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