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Video: rbb24 | 26.01.2021 | Studiogast Dany Rau | Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Berliner will Corona-Entschädigung erzwingen

Seit elf Monaten keinen Job mehr – Produktionsleiter verklagt Bundesländer

Dany Rau ist Produktionsleiter aus Berlin. Er will all die Bundesländer auf Entschädigung verklagen, in denen er Aufträge gehabt hätte, die aber wegen Corona ausgefallen sind. Seine Einnahmen liegen seit gut einem Jahr bei null. ALG II bekommt er aber auch nicht. Von Anke Fink

Seit elf Monaten so gut wie gar kein Einkommen - Leben von der Altersvorsorge, weil das Jobcenter das Geld für die Rente als zu hohes Vermögen wertet: Dem Berliner Projekt- und Produktionsleiter im Veranstaltungsbereich Dany Rau reicht es. Er verklagt zwölf Bundesländer auf Entschädigung, in denen er nachweislich im Jahr 2020 Aufträge gehabt hätte. Zwei Klagen sind schon raus, Berlin bekommt bald die nächste.

Wie Raus Aussichten auf Erfolg aussehen, ist noch völlig unklar. Unterstützt wird er jedoch von der "Interessengemeinschaft der selbständigen DienstleisterInnen in der Veranstaltungswirtschaft". Der Verein ISDV vertritt Selbständige und Freiberufler, die ihr Auskommen in und mit der Veranstaltungsbranche verdienen - oder besser gesagt - verdienten. Von dieser Seite werden die Anwaltskosten gezahlt - in der Hoffnung, dass mit Dany Rau ein Präzedenzfall geschaffen wird, auf den sich andere Selbstständige, die ebenfalls seit fast einem Jahr ohne Einkünfte sind, berufen können.

Dany Rau | Quelle: Privat

Berufsverbot für eine Million Beschäftigte

Die Veranstaltungsbranche ist nach Angaben von "Alarmstufe Rot" [alarmstuferot.org] einem Bündnis von Leuten, die im Eventbereich tätig sind, der sechstgrößte Wirtschaftszweig Deutschlands - mit einem Umsatz von 130 Milliarden Euro Umsatz im Jahr und mehr als einer Millionen Beschäftigen. Laut Dany Rau betrifft das faktische Berufsverbot die Branche hart. Allein in seinem näheren Umfeld im Berliner Veranstaltungsbereich hätten mehr als die Hälfte der Solo-Selbstständigen keine Arbeitsgrundlage mehr, sagt er.

Letzter Job mit Max Herre in Leipzig

Einzig die Coronahilfe I vom Land Berlin durfte Dany Rau in voller Höhe behalten, wie er im Interview mit rbb|24 sagte. Die Hilfen vom Bund seien keine Unterstützung gewesen, da sie lediglich die laufenden Betriebskosten gedeckt hätten. "Ich habe ein kleines Büro, mit Telefon und Internet." Das seien keine hohen Kosten. Sein Job besteht aus der Organisation von Tourneen oder Veranstaltungen, die nun mal außer Haus stattfinden und seine Arbeitskraft als Dienstleister erforderten.

Sein letzter Job vor der Covid-19-Krise war ein Konzert mit Max Herre in Leipzig am 14. März 2020. Seinen nächsten Job erwartet er frühestens Ende 2021. Denn Veranstaltungen brauchen einen langen Vorlauf, wie Dany Rau erklärt, die könne man nicht von einen Tag auf den anderen ansetzen. Da kürzlich das Glastonbury-Festival in England abgesagt wurde, das im Juni 2021 hätte stattfinden sollen, erwartet Dany Rau auch im Sommer keine großen Open Air-Events oder In-Door-Konzerte. Seine Branche bleibt also noch über Monate ohne Perspektive.

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Zu vermögend für Grundsicherung

Die politische Unterstützung für das auftragslose Personal im Eventbereich sollte sich in einem vereinfachten Zugang zum Arbeitslosengeld II zeigen. Also stellte Dany Rau einen entsprechenden Antrag, wie er sagt. Doch das Jobcenter lehnte umgehend ab - mit der Begründung, er sei zu vermögend. Hintergrund ist, dass Dany Rau Geld für seine Altersvorsorge angelegt hat. Er habe eine Rürup-Rente, Aktienfonds und ein Tagesgeldkonto, sagt er. Weil er keine Einnahmen mehr hatte, hob er Geld von seinem Tagesgeldkonto ab - und genau diese Überweisung hätte er nicht tätigen dürfen, wie sich jetzt zeigt.

Tagesgeldkonto wird als Notgroschen definiert

Im vereinfachten Zugang zur Grundsicherung [bmas.de] heißt es: "Grundsätzlich kann jeder in die Vermögensprüfung einzubeziehende Gegenstand der Altersvorsorge dienen, auch Wertpapierdepots, Sparkonten, Immobilien oder Wertgegenstände sowie Kunstgegenstände oder Edelmetalle. Die subjektive Bestimmung des Inhabers ist nur dann nicht ausreichend, wenn der Vermögensgegenstand offensichtlich nicht der Altersvorsorge dient." Das sei zum Beispiel der Fall bei Tagesgeldkonten oder anderen Anlagen mit verfügbaren Mitteln, "von denen regelmäßig oder wiederholt Abhebungen vorgenommen werden". Dieses wiederholte oder mehrmalige Abheben vom Tagesgeldkonto habe er nicht gemacht, sagt Rau, sondern lediglich einmalig einen Geldbetrag abgehoben, um sein Geschäftskonto zu decken. "Das haben sie mir negativ ausgelegt." Das Tagesgeldkonto sei sein Notgroschen, hätten sie argumentiert und zudem empfohlen, doch seine Aktienfonds aufzulösen.

Dany Rau fühlte sich gedemütigt und ist stinksauer zugleich. Denn der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung für Selbstständige wie ihn ist verbunden mit der Erhöhung des Schonvermögens, also dem Geld, was man besitzen darf, auch wenn man ALG II beziehen muss. Nach der "Fachlichen Weisung" der Arbeitsagentur für Arbeit sind das 60.000 Euro sowie 8.000 Euro pro Selbstständigenjahr. "Da liege ich weit drunter. Ich bin ja schon 26 Jahre selbständig."

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Hilfe bei Entschädigungsanträgen

Marcus Pohl ist Produktionsmanager und Vorstand beim ISDV, dem Verbund der Selbstständigen in der Veranstaltungsbranche. Seiner Ansicht nach ist die Erfahrung von Dany Rau mit dem Jobcenter "weit weg von einem Einzelfall". Wie er in einem Interview mit "mothergrid" [mothergrid.de] sagte, wollten die Sachbearbeiter in den Behörden nicht akzeptieren, dass es durch die Coronakrise Menschen gibt, die Leistungen in Anspruch nehmen, die deutlich höher sind, als sie das von ihren sonstigen Fällen kennen. Wer sonst ALG II bezogen habe, habe ja bereits in einer kleinen Wohnung wohnen müssen. Jetzt, in Zeiten der Pandemie, werde auch für Wohnungen bezahlt, die 1.500 Euro Miete monatlich kosten. "Das sehen sie als eine Ungerechtigkeit an. Je nachdem wie die Sachbearbeiter drauf sind, führt das zu solchen Situationen wie Dany Rau sie erlebt hat", so Pohl weiter.

Der ISDV hat für Menschen wie ihn eine Vorlage formuliert, in der ausführlich begründet wird, wie die Selbstständigen für ihre ausgefallenen Jobs Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz beantragen können. Mit dieser Vorlage hat der Berliner Veranstaltungsprofi Rau für alle Jobs, die er nachweislich im Jahr 2020 gehabt hätte, Entschädigungsanträge in zwölf Bundesländern gestellt. 25 Veranstaltungen hätte er betreuen können. Für alle habe er eine Ablehnung bekommen. Jetzt klagt er, weil er sein Recht auf die freie Berufsausübung verletzt sieht. Das sei für ihn ein "unzumutbares Sonderopfer".

Studien versprechen sichere Veranstaltungen

Dany Rau will nicht den Sinn von Corona-Maßnahmen in Zweifel ziehen oder das Virus verharmlosen. Er ist aber der Meinung, dass man unter Beachtung der Hygienebedingungen, Veranstaltungen stattfinden lassen könnte. Dazu gebe es auch "fundierte Studien" auf die er sich beruft, wie etwa "restart19" aus Leipzig [restart19.de], die bei einem Experiment im August 2020 Daten gesammelt haben, um zu ermitteln, unter welchen Bedingungen Hallenveranstaltungen mit Publikum wieder stattfinden könnten. Auch die Bayerische Staatsoper und das Konzerthaus Dortmund haben nach Aussage von Rau entsprechende Gutachten erstellen lassen.

Es gehe ihm nicht um Festivals, wo die Leute dicht an dicht ohne Maske vorne in der ersten Reihe stehen und jubeln und schreien, sagt Rau. Aber andere Veranstaltungen seien sehr wohl Corona-konform möglich. Deshalb wünsche er sich, dass den Experten, die sich damit beschäftigen, mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, um wieder eine Perspektive für die Veranstaltungswirtschaft zu finden.

Sendung: rbb24, 26.01.2021, 21:45 Uhr

Beitrag von Anke Fink

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