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Quelle: dpa/Sophia Kembowski

Corona-Pilotprojekt der Berliner Clubs

Im Wunderland ohne Maske

Ein Raum voll mit Menschen, tanzend, schwitzend, jubelnd mitten in der Pandemie – aber als kontrolliertes Experiment. Haluka Maier-Borst hat miterlebt, wie es sich als feierndes Versuchskaninchen anfühlt.

Eine Treppe hoch. Es wummert. Noch eine hoch. Es dröhnt. Durch den Gang, um die Ecke. Es erfasst mich.

Der Bass, der Kunstnebel, das Licht und vor allem: die Masse.

Köpfe, die sich schemenhaft abzeichnen wie Bäume in einem Gewitter. Gereckte Hände, die kurz auftauchen und wieder verschwinden in den Sekundensplittern zwischen Laser- und Stroboskoplicht. Und darunter eine Menge aus Armen und Beinen, Stoff und Haut, bei denen Ende und Anfang ineinander verwischen im Dunkel des Raums und im Rhythmus des Beats.

Wenn Tanzen zur Wissenschaft wird

Da bin ich also mitten in der Wilden Renate, einem brechend vollen Club, den ich liebe. Mitten in der Pandemie, die unseren Alltag bestimmt und frage mich: Passiert das wirklich? Ich schaue zu meiner Begleitung, meiner Mitbewohnerin herüber und sehe in ihrem Gesicht, wie sich im selben Takt wie die Lichtfarbe die Gefühle abwechseln. Ungläubigkeit. Wir schauen uns an. Euphorie. Wir grinsen verschwörerisch wie zwei, die eine Goldmünze aus einem Museum gestohlen haben. Freude. Wir umarmen uns, drücken uns. Ekstase. Wir jubeln. Wir im Wunderland.

Dabei tanzen wir nur. Aber für die Zukunft. Für die Wissenschaft. Für Wochenenden, in denen "Corona" wieder mehr für ein mexikanisches Bier steht, zu dessen Geschmack man geteilte Meinung haben kann. Und eben nicht für etwas, das unser aller Alltag bestimmt, diktiert und vieles verunmöglicht, so wie solche Abende – wenngleich aus verständlichen Gründen.

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Der Weg bis in den Club war keiner, den man sich in 2019 hätte vorstellen können. Wir gehen nicht einfach nur feiern. Wir sind Teil eines Pilotprojekts der Berliner Clubcomission und der Berliner Charité, das erörtern soll, ob und wie Clubs sicher wieder öffnen können. Und das heißt für uns, anstatt am Freitagmittag zu entscheiden, was wir machen, haben wir uns die Karten für den Abend schon am Dienstagmittag durch angestrengtes Rumgeklicke im Netz ergattert. Statt langsam von der Arbeit in das Wochenende zu gleiten, wird es am Freitag ab 17 Uhr in unserem WG-Chat hektisch.

Schaffste's rechtzeitig aus der Arbeit?

-Ich schreib dir, wenn ich in der S-Bahn sitz.

Perso haste?

-Ja. Aber S-Bahn gerade verpasst, bin also 20 Min später als geplant.

Fährste dann direkt zum Kotti, zum PCR-Test.

-Ja kannst vorfahren.

Ich halt dir nen Platz frei, mit Handtuch. Aber mach hinne.

-Ich sag der U-Bahn, sie soll schneller fahren.

Wir schaffen es rechtzeitig. Während draußen Leute mit Burger, Falafel, Wein und Bier ihr Wochenende in Kreuzberg einläuten, sitzen wir in einem kleinen Raum, strecken die Zunge raus und lassen uns im Rachen herumkratzen, damit wir auf Corona getestet werden. Dann Warten.

Eine Stunde vergeht, wir essen etwas. Zwei Stunden vergehen, wir trinken einen Schnaps und legen uns beide nach einer langen Woche kurz zu Hause hin. Denn schaffen wir es überhaupt sonst noch, durchzufeiern? Dritte Stunde. Was wenn etwas schief geht, unser Testergebnis nicht kommt? Eine befreundete Kollegin fragt schon nervös per SMS, ob wir schon unser Ergebnis hätten. Eigentlich sollte nach drei Stunden doch was kommen. Vierte Stunde. Dann die Mail: Negativ, hier sind eure Tickets.

Wie wir an die dazugehörigen Bändchen kommen, mit denen wir nun zwei Tage lang in sechs Berliner Clubs feiern dürfen, ist nicht erklärt. Aber wir fahren auf gut Glück zur Wilden Renate. Ein letztes Mal leichter Nervenkitzel in der Schlange, der sich aber schon fast anfühlt wie an jedem normalen Wochenende. Kommen wir rein? Ich habe nochmal nachgeschaut, wer alles auflegt. Nicht dass nachher mangelnder Respekt für die Djs und Djanes unseren Modellversuch jäh an der Tür enden lässt. Dann der kurze Schnack mit dem Türsteher und der Einlass. Wir kriegen unsere Bändchen, wir können loslegen.

"Hey, kannst die Maske jetzt absetzen", sagt der Einlass. Ach stimmt. Wir im Wunderland, ohne Maske. Dafür mit viel Schweiß, feuchter Luft und Endorphinen. Ich genieße es, all die Sorgen loszulassen, die mir das Virus eingehämmert hat. Ich hatte Angst, wie ich auf die Situation im Club reagieren würde nach anderthalb Jahren mit anderthalb Meter Abstand. Ob ich panisch werde, wenn ich einen gedrängt vollen Raum sehe, ein absolutes No-Go in einer Pandemie. Wie es sich anfühlt, Teil eines Experiments zu sein. Aber ich tanze nur. Werde eins mit der Masse, die zum Takt pulsiert wie ein eigenes Lebewesen. Lasse mich erfassen von der Basswelle.

Statt mit nur zwei Bier mit vier neuen Freunden zurückkommen

Ich schaue in fröhliche Gesichter. Ich nicke rüber zur Djane, die die Leute von Track zu Track mehr aufputscht. Und ich rede wieder mit Wildfremden, während ich für ein Bier anstehe. Ich kann gar nicht sagen, wie das Gespräch anfing, so wie man das meist nicht sagen kann in Berliner Nächten. Aber anstatt mit zwei Bier zurück zu kommen, bringe ich noch zwei Schnäpse für mich und meine Mitbewohnerin mit. Und eine neue Clique. Vielleicht für die nächsten paar Stunden. Vielleicht für die nächsten paar Jahre. Wer weiß das schon.

Mal stehen wir vorne, lassen die Schritte fliegen, den Oberkörper und den Kopf kreisen als müssten wir mit dem Beat im Boxring stehen. Mal stehen wir weiter hinten, wippen eher mit und fächeln uns Luft zu. Ich merke, was für eine dumme Idee es ist, mit Jeans im Sommer in den Club zu gehen. Aber woher soll man das auch noch wissen nach anderthalb Jahren Zwangspause? Und mal sitzen wir alle einfach in einem der Nebenzimmer zu den beiden Tanzflächen und schauen uns um. Lichter blenden meine Augen. Menschen schieben sich vorbei, laufen weiter in die Nacht.

Nach einer Weile geht meine Mitbewohnerin, weil sie morgen noch weiter zieht, zu einem Festival. Das geht ja auch wieder. Ich bleibe bei der Clique, die mich für den Abend adoptiert hat. Wir reden, wir tanzen, wir lachen. Zwischendurch gehen wir immer wieder in den Garten des Clubs, weil hier die Schlange vor der Bar kurz ist und man auch mal durchatmen kann. Hier ist der einzige Ort, an dem ich merke, wie die Zeit vergeht. Wie es nach und nach heller wird, jedes Mal wenn ich rausgehe. Wie aus dunkler Nacht Dämmerung und schließlich gleißend heller Samstag wird.

Wir feiern weiter, bis nur noch eine Tanzfläche offen ist. Bis nur noch bretternde Bässe an uns rütteln, damit wir noch irgendwie ein bisschen länger tanzen. Bis irgendwann der letzte Track gespielt ist und eine der Organisatorin durch den Club ruft. Sie dankt uns. Sie sagt: "Macht keinen Mist, kommt gut heim und lasst uns hoffen, dass die Tests nach der Nacht negativ ausfallen, damit wir das hier wieder machen können." Ich denke, ja hoffentlich. Am 13. August, wenn wir alle unsere Nachtestung hatten, werden wir es wissen.

Dann fragt mich einer meiner Nachtbekanntschaften, ob ich morgen Abend mit ins Kit-Kat komme. Einen Abend könne man ja noch innerhalb des Modellversuchs feiern. Ja vielleicht, wer weiß das schon. Aber nach dem Abend weiß ich, dass Berlins Clubs die Pandemie überleben werden. Irgendwie. Definitiv. Und notfalls lass ich mir vor dem Wochenende dafür im Rachen kratzen.

Sendung: radioeins am Morgen, 8.30 Uhr

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