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Quelle: dpa/F. May

Interview | Internationaler Linkshändertag

"Die Umstellung auf die linke Hand war der Aufbruch in ein neues Leben"

Linkshänder seien eine wenig beachtete Gruppe, sagt die Psychologin Marina Neumann. Sie selbst wurde als Kind zur Rechtshänderin umerzogen und litt darunter. Wie heute noch sehr viele Menschen - die oftmals gar nicht wüssten, dass ihre linke Hand dominant sei.

rbb|24: Guten Tag, Frau Neumann. Sie sind selbst Linkshänderin und wurden im Alter von sechs Jahren auf die rechte Hand umgeschult. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Marina Neumann: Das Schreiben war der Einschnitt. Vorher habe ich ganz viele praktische Dinge wie Essen und so weiter im Kindergarten und auch zuhause schon mit rechts machen müssen. Auch die Schere habe ich gelernt, rechts zu benutzen. Das heißt, schon im Vorschulalter wurde meine linke Hand unterdrückt und ich auf die rechte umerzogen. Aber das schlimmste für mich war dann das Schreiben lernen mit rechts.

Zur Person

Marina Neumann

Und obwohl Sie ganz eindeutig Linkshänderin waren, hatten Sie gar keine andere Wahl?

Das mit der Linkshändigkeit war eher ein vages Gefühl. Ich habe im Kindergarten kaum gemalt, zuhause aber schon. Und ich weiß, dass ich da mit links gemalt habe. Meine Eltern haben mich dabei auch nicht gezwungen, den Stift in die andere Hand zu nehmen. Bei ganz vielen anderen praktischen Dingen musste ich aber die rechte Hand nehmen.

Aber schreiben wollte ich spontan mit links. Ich nahm wohl am ersten Tag den Stift in die linke Hand. Aber die Lehrerin sagte, dass wir alle mit rechts schreiben würden. Sie kam damit immer wieder zu mir, stand hinter mir und wenn ich dann nicht gespurt oder es einfach vergessen habe, gab es schon mal eine Ohrfeige. Auch vom Direktor, der uns manchmal unterrichtete. Das war wirklich brutal.

Warum haben Sie sich später wieder auf Linkshändigkeit umgeschult?

Ich hatte später im Gymnasium relativ viele Probleme in der Schule. Da fingen auch meine Schlafstörungen an. Ich musste dann Geige lernen von Hause aus – und das war die Hölle. Ich wusste unterbewusst, dass ich Linkshänderin bin.

Es gibt keine Geigen für Linkshänder?

Doch, die gibt es inzwischen. Aber es gibt kaum ein Orchester, in dem linkshändige Geiger spielen. Ich bin mir aber sicher, dass es auch unter Musikern viele unterdrückte Linkshänder gibt.

In welchem Alter haben Sie beschlossen, sich wieder auf die linke Hand umzustellen?

So ab Mitte 40. Ich habe dann in Berlin die verschiedensten Leute kennengelernt und einer meiner Bekannten, den ich sehr schätzte, hat das bei mir wahrgenommen und gesagt hat, dass ich doch auch Linkshänderin sei, bei allem was er sehe. Er war selbst betroffen. Ich habe das dann eingeräumt, der Tatsache aber nach wie vor keine Bedeutung zugemessen. Das ist die eigentliche Tragik. Auch in meinem Psychologie-Studium war unterdrückte Linkshändigkeit kein Thema. Obwohl es so sehr dahingehört.

Der Mann lieh mir dann ein Buch mit dem Titel "Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn", dass ich nur ihm zuliebe gelesen habe. In diesem Buch habe ich zum ersten Mal einen Zusammenhang gelesen zwischen unterdrückter Linkshändigkeit und Einschränkungen im Lern- und Leistungsbereich, von Problemen in der Persönlichkeitsentwicklung, psychischen Störungen und so weiter. Denn die Unterdrückung hat ja immense Auswirklungen. Bis hin zu Identitätsstörungen. Das war sehr erhellend für mich. Die Autorin, ebenfalls eine Psychologin, war selbst vom Thema betroffen. Sie warnte aber davor, sich wieder auf links umzustellen. Das passte aber für mich nicht zusammen.

Als ich dann im Internet zu dem Thema recherchierte, habe ich Erfahrungsberichte von Menschen gefunden, die das sehr wohl gemacht haben. Eine Frau hat berichtet, wie sehr sie im Lauf der Jahre von der Umstellung profitiert hat. Da habe ich das auch gemacht. Begleitet hat mich niemand dabei – es gibt ja kaum jemanden, der das anbietet.

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Wie genau lief das ab?

Ich habe mir Urlaub genommen und mir vorgenommen, das ganz langsam und vorsichtig zu machen. Als Psychologin weiß ich ja, dass man nichts übers Knie brechen darf. Ich habe mit Vorübungen zum Schreiben angefangen. Ich habe täglich nur ein paar wenige Übungsblätter gemacht und darauf geachtet, wie ich mich dabei fühle. Und das war umwerfend. Die Umstellung auf die linke Hand war wirklich der Aufbruch in ein neues Leben. Nach sieben bis zehn Tagen hatte ich das Gefühl, dass sich auch emotional und psychologisch endlich etwas öffnet in mir, wonach ich mich immer gesehnt hatte. Ich konnte noch gar nicht schreiben, habe aber trotzdem gefühlt, wie angespannt mein rechter Arm immer war. Der tat mir beim Schreiben immer weh und war überfordert.

Nach dem Urlaub habe ich mich dann gefragt, wie ich am besten weitermache. Die Lösung heutzutage ist: digitales Schreiben mit beiden Händen. Die linke Hand bekommt die Botschaft, dass sie auch mitmachen darf, die rechte muss sich nicht allein mit dem Stift abmühen. Ich habe auch während meiner Arbeit nichts mitschreiben müssen, sondern konnte Notizen abends in den Computer schreiben.

Nebenbei habe ich jeden Tag ein bisschen mit der linken Hand geübt. Und ich konnte dann immer mehr und habe die rechte Hand zum Schreiben einfach nicht mehr benutzt. Die Entscheidung dafür war intuitiv. Mein Körper hat mir ganz klar signalisiert, rechts ist es nicht. Links aber schon. Ich wusste ja unbewusst, dass ich Linkshänderin bin. Aber wie sich das anfühlt, wirklich wieder mit links zu schreiben, war sehr bemerkenswert.

Blieb es denn beim Schreiben mit links oder kamen auch andere Tätigkeiten wie schneiden etc. hinzu?

Ich habe nur mit dem Schreiben angefangen. Das war auch gut so und das ist auch mein Konzept, wenn ich heute Kinder und Erwachsene begleite. Schreiben ist sehr komplex und für kein Kind leicht zu erlernen. Und an das Schreiben ist ganz viel gekoppelt – die Schullaufbahn, die Ausbildung, das Studium und der Beruf. Es viel komplexer als beispielsweise Zähne putzen.

Daher ist das mit links schreiben lernen immer der Einstieg. Und es ist so schön zu sehen wie beispielsweise Kinder sich da entspannen und auch plötzlich gerne schreiben. Oder überhaupt wieder bereit sind, sich den Schulanforderungen zu stellen.

Die nächsten Schritte sind dann, sich behutsam auch anderen, praktischen Tätigkeiten zu stellen. Die Menschen merken das dann auch: es fühlt sich leichter und besser an.

Ich selbst mache inzwischen fast alles mit links.

Hatten Sie ein Schlüsselerlebnis, das Sie besonders beeindruckt hat?

Ja, das hatte mit einer Geige zu tun. Es gab in Berlin einen Linkshänderladen, der auch Instrumente für Linkshänder hatte. Der hatte auch eine Geige. Da bin ich ganz oft hingefahren und habe diese Geige gespielt. Ich hatte meine Rechtshänder-Geige zwanzig Jahre zuvor verkauft, weil ich nicht mehr konnte. Und das Streichen auf dieser Linkshänder-Geige mit der linken Hand hat einfach nur Spaß gemacht. Leider gibt es den Laden nicht mehr.

Sie bieten heute in Berlin Rückschulungen für Linkshänder an. Wie groß ist das Interesse?

Groß. Es kommen Kinder, die diffuse Probleme in der Schule haben und die daran verzweifeln, dass keiner weiß, warum sie diese Probleme haben. Aus diesem Grund teste ich – ganz vorsichtig und neutral - viele Menschen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene - die zu mir in die Therapie kommen. Ich setze niemanden unter Druck dabei. Aber so kann man innerhalb von zwei Stunden herausfinden, ob nicht etwa die linke Hand die bessere, die von Geburt an dominante, ist für denjenigen. Das merkt man beispielsweise beim Malen von großen Figuren. Das kann man fühlen. Ich mache da insgesamt ganz verschiedene Dinge. Ball werfen, Roller fahren, Buch blättern, Karten spielen.

Die meisten Erwachsenen wissen aber vermutlich, dass sie eigentlich Linkshänder sind und kommen ganz konkret, um sich von Ihnen umtrainieren zu lassen, oder?

Nein. Ich teste auch viele Erwachsene, die das gar nicht wissen. Gerade Menschen aus der ehemaligen DDR, die von klein auf in der Krippe waren – manchmal schon mit wenigen Wochen – wissen nicht darum. Wie denn auch? Wer viele Stunden täglich in einer Einrichtung war, wurde immer auf rechts gedreht. Die Linkshändigkeit zeigt sich zwar nicht direkt nach der Geburt, sondern gegen Ende des ersten Lebensjahres. Wenn das Kind zielgerichtet greifen kann. Dann kann man sehen, welches Kind vermehrt mit links greift. In den Einrichtungen geht das oft unter. Heute noch. Das ist ja das Dilemma. Das müssten Erzieherinnen eigentlich in ihrer Ausbildung lernen.

So haben viele gar keine Erinnerung daran, dass sie eigentlich Linkshänder sind. In der Vorschulzeit läuft das dann noch so halbwegs – auch wenn ein Kind nicht malen mag. Aber wenn die Kinder in die Schule kommen, fangen die Probleme dann an.

Denken Sie, es gibt heute noch sehr viele unentdeckte Linkshänder?

Ja. Sehr viele. Heutzutage wird beim Thema Inklusion zwar über alles mögliche berichtet, aber Linkshänder kommen nicht vor. Nur am 13. August, dem Linkshändertag.

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Aber es gibt durchaus mehr Rechts- als Linkshänder?

Es ist fraglich, ob es wirklich mehr Rechts- als Linkshänder gibt. Das wissen wir nicht. Es gibt Forscher, die davon ausgehen, dass die Verteilung 50:50 ist – und das denke ich auch. Aber ich kann es nicht beweisen. Nachdem ich dann selbst bei links gelandet bin und mein Buch geschrieben habe, haben meine recht alten Eltern das gelesen. Sie haben beide nach der Lektüre festgestellt, dass sie eigentlich Linkshänder sind.

Woran haben sie das festgemacht?

Meiner Mutter fiel auf, dass sie beim Anziehen immer die linke Socke zuerst anzieht. Auch ihre schlechte Orientierung war ein Zeichen. Als Kind hatte sie ein ganz geringes Selbstbewusstsein – wie ich auch. Viele Menschen, die eigentlich Linkshänder wären, haben diese Minderwertigkeitsgefühle und wissen gar nicht, warum. Aber klar, man schafft ja so vieles nicht.

Meine Mutter hat sich beispielsweise auch zwei Mal den linken Arm gebrochen. Als Linkshänder geht die linke Hand unwillkürlich und intuitiv raus und man fällt darauf. Das wäre bei einem Rechtshänder umgekehrt.

Seit wann werden Linkshänder denn in Deutschland nicht mehr zwangsweise umgeschult in der Schule?

Im Schulgesetz des Jahres 2000, das für die alten und die neuen Bundesländer gilt, ist beschlossen worden, dass die Lehrer nichts mehr sagen, wenn ein Kind den Stift mit links nimmt – so wie ich das wohl damals auch getan habe. Die Lehrer lassen das Kind mit links schreiben. Das ist der einzige Fortschritt. Der ist nicht unerheblich, aber mehr passiert auch nicht.

Wie ein Linkshänder schreiben lernen soll, wie er das Blatt hinlegen und die Hand halten sollte, damit nichts verwischt, darüber wissen die Lehrer nichts. Seither gibt es schon etwas mehr linkshändige Kinder in der Schule. Leider spielt es eben im Vorschulbereich, wo oft der Grundstein gelegt wird für das Schreiben, keine Rolle.

Vielen Dank für Gespräch.

Das Interview führte Sabine Prieß, rbb|24

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