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Video: rbb24 Abendschau l 02.09.2022 | Quelle: dpa/Jörg Carstensen

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Das Berliner Müllproblem hängt an mehr als der Verteilung der Mülleimer

Dass Müll zu Berlin gehört, hat sich ins kollektive Gedächtnis eingeschleift. Es wird stillschweigend akzeptiert, gar besungen. Aber ginge es nicht auch anders? Eine Spurensuche durch Papierkörbe und Leerungstakte von Haluka Maier-Borst

Müll in den Parks, Müll auf den Bahnsteigen, Müll auf den Straßen, Müll vor der Haustür. Sauber, das ist Berlin wirklich nicht. Nur für diese Feststellung bräuchte es keine Recherche, aber wieso das so ist und ob es nicht anders geht - das sind schon spannendere Fragen.

Der Organisationssoziologe Peter Broytman lebt in Berlin-Neukölln. Er sieht tagtäglich, wie sich das Problem in seinem Stadtteil verschlimmert. Seine Ansicht nach ähnelt die Situation der bei einem leerstehenden Haus, bei dem das erste kaputte Fenster andere dazu verleitet, weitere Dinge zu beschädigen. "Wenn der Erste schon seinen Müll neben den vollen Mülleimer gestellt hat, dann habe ich natürlich wenig Lust, meinen Müll bis nach Hause zu tragen, sondern stelle ihn auch daneben. Nur: Da verweht ihn der Wind, dann fressen die Krähen und Ratten aus der Tüte und sorgen für Chaos", sagt Broytman.

Broytmann glaubt aber, dass das Problem lösbar ist. Dass es den Leuten eben nicht egal sei, was mit ihrem Müll passiert. "Die wenigsten pfeffern ihren Kram irgendwo ins Gebüsch, sondern versuchen schon, den zu entsorgen. Man müsste es ihnen nur einfacher machen", sagt er. Nur wie?

Zu wenig Mülleimer in bestimmten Regionen?

Eine mögliche Erklärung für das aktuelle Problem - und damit auch ein Ansatz zur Lösung - wäre zum Beispiel, dass nicht immer dort die Mülleimer stehen, wo man sie braucht. Dass vielleicht sogar gewisse Kieze systematisch benachteiligt sind: weil die Leute in Neukölln ärmer sind und sich weniger beschweren als in Charlottenburg. Oder weil sich der Senat für Reinickendorf weniger interessiert als für Mitte.

Um das zu klären, hat rbb|24 Daten zu den Standorten aller knapp 24.000 öffentlichen Mülleimer - offiziell "Papierkorb" betitelt - ausgewertet und untersucht, wie viele es denn pro Kopf in jedem Kiez gibt. Die Basis dafür ist eine Antwort auf dem Portal "FragDenStaat"[fragdenstaat.de]. Die ernüchternde Erkenntnis: Ein Muster ist nicht zu erkennen.

In der Tendenz ist die Versorgung im Westen Berlins zwar etwas besser als im Osten der Stadt. Aber in allen Teilen finden sich Kieze - oder ganz formal: "Lebensweltlich Orientierte Räume" (LOR) - mit vielen Körben und mit wenig Körben pro Kopf. Die Verteilung zwischen den Stadtteilen allein ist also offensichtlich nicht das Problem.

Dafür aber die Anzahl insgesamt, findet Danny Freymark. Der CDU-Politiker hat als Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus das Müllproblem der Stadt seit Jahren zu seinem Thema gemacht. Aus seiner Sicht gibt es in der ganzen Stadt grundsätzlich zu wenig Papierkörbe, sagt er. "Wenn Sie auf eine Stadt zum Beispiel wie Wien schauen, da sehen Sie, die haben fast genau so viele Papierkörbe wie Berlin bei deutlich weniger Einwohnern."

Braucht es einfach mehr Mülleimer?

Tatsächlich gibt es wenige Städte, die so wenige Mülleimer pro Kopf aufgestellt haben wie Berlin für seine mehr als 3,6 Millionen Einwohner. Köln, wo gerade einmal rund eine Million Menschen leben, bietet fast genauso viele Papierkörbe an wie die Hauptstadt.

Aber: Bedeuten mehr Papierkörbe auch tatsächlich weniger Dreck? Die Antwort ist schwierig. München zum Beispiel hat deutlich weniger Eimer pro Kopf zur Verfügung als Berlin. Trotzdem - das räumt der Autor als Bayern-Skeptiker zähneknirschend ein - ist München deutlich sauberer als die Hauptstadt. Das geht sogar so weit, dass andere Autoren schon von einem Paradoxon sprechen [mitvergnuegen.de].

Ist öfter leeren das Mittel der Wahl?

Entsprechend zeigen sich die Berliner Bezirke skeptisch gegenüber mehr Papierkörben als Mittel der Wahl. Als im Juni dieses Jahres Freymark mit einer kleinen Anfrage [pardok.parlament-berlin.de] den Senat und die Bezirksämter zur Vermüllung der Stadt befragt, heißt es beispielsweise aus Reinickendorf, man halte die Anzahl der Abfallbehälter "grundsätzlich für ausreichend". Nur die Frequenz der Leerung sollte erhöht werden.

Also: öfter leeren = weniger Müll? In Friedrichshain-Kreuzberg kann man da nur müde mit dem Kopf schütteln. Man leere schon teilweise sechs Mal die Woche die Mülleimer, heißt es aus dem Bezirk. Weil aber die Mengen an "Einwegverpackungen von mitgebrachten Speisen oder Sperrmüll" immer mehr würden, habe man inzwischen Budget und Ressourcen bei den Leerungen ausgereizt. Dass außerdem teilweise Sperrmüll sogar in Parks entsorgt werde, verschärfe die Lage.

Über saubere Parks und saubere Straßen entscheidet also offensichtlich nicht allein, wie viele Eimer aufgestellt sind, wo sie stehen und wie oft sie geleert werden - sondern mutmaßlich ein bisschen von allem: mangelhafte Organisation plus fehlende finanzielle Mittel.

Organisatorisch könnte die Berliner Stadtreinigung (BSR), die ja berlinweit für die Straßenreinigung zuständig ist, beispielweise die Müllentsorgung in allen Parks übernehmen. Bisher sind die Bezirke dort zuständig, die BSR reinigt nur in einigen ausgewählten Grünflächen. "Das wäre sicher auch nicht billig", sagt Freymark. "Aber da würde man wenigstens den Experten für Müll die Arbeit überlassen."

Bleibt das Thema Geld, für neue Technik oder mehr Personal. Mit mehr Mitteln könnte man zum Beispiel Mülleimer aufstellen, die unter dem Boden in einem großen Container alles sammeln. Und der Bezirk Neukölln beklagt in Antwort auf Freymarks Anfrage: Grundlegendes Problem sei neben dem allgemein höheren Müllaufkommen "die nicht vorhandene Leistungsfähigkeit im zuständigen Fachbereich Grün- und Freiflächen. Weder Personal- noch entsprechende Sachmittel sind vorhanden um den Sammelrhythmus zu intensivieren und somit eine verbesserte Qualität zu erreichen."

Mehrausgaben in Höhe von 100 Millionen Euro pro Jahr wären wohl notwendig, schätzt Freymark, um die Stadt wirklich sauberer zu machen. Das wäre eine gewaltige Summe, denn letztes Jahr bekam die BSR allein für das Reinigen der Straßen 275 Millionen Euro [bsr.de]. Und möglicherweise wären es sogar weit mehr als 100 Millionen. Schließlich sagt die BSR selbst auf Anfrage: "Eine hinreichend belastbare aktuelle Veranschlagung ist derzeit leider nicht möglich."

Damit bleibt vor allem eins klar: Das Müllproblem in Berlin ist komplex, und entsprechend teuer wird es sein, es zu lösen.

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