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Audio: rbb 88,8 | 07.09.2022 | Interview mit Barbara Breuer | Quelle: dpa/M. Tödt

Interview | Berliner Stadtmission

Warum ein Hilfsangebot für Obdachlose oft wertvoller ist als die Hilfe selbst

Das Schicksal obdachloser Menschen bewegt und überfordert Beobachter oftmals. Die Sprecherin der Berliner Stadtmission rät dazu, Hilfe anzubieten. Man sollte jedoch auch damit leben können, dass diese nicht angenommen wird.

rbb: Guten Tag, Frau Breuer. Auf der Straße, in der Bahn oder vor Supermärkten trifft man immer wieder auf obdachlose Menschen. Oft wird man dabei mehrmals täglich mit menschlichem Elend konfrontiert. Es gibt Menschen, die können damit nicht umgehen und gehen weiter. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Barbara Breuer: Das muss man natürlich situationsabhängig entscheiden und am Ende vor allem mit sich selbst ausmachen. Von einem grundsätzlich eher ängstlichen Menschen, der Probleme hat, andere Menschen anzusprechen, wird man nicht erwarten können, dass er jemanden anspricht, der möglicherweise unbedeckt auf einer Parkbank liegt. Wenn man mutig ist, sich traut und dabei ein gutes Gefühl hat, dann kann man es aber vielleicht schon empfehlen, jemanden anzusprechen.

Was raten Sie Menschen, die grundsätzlich gerne helfen wollen?

Schön ist es, wenn man den Leuten auf Augenhöhe begegnet, sie also nicht einfach anfasst oder aufrüttelt. So etwas würde ich grundsätzlich nicht empfehlen. Wir würden uns ja auch erschrecken, wenn wir im Bett liegen und auf einmal jemand Fremdes an uns rüttelt.

Wenn wir aber freundlich jemanden ansprechen und darauf hinweisen, dass wir die Person schon mehrere Nächte ohne Decke auf einer Parkbank haben liegen sehen und fragen, ob wir vielleicht etwas bringen können, sieht die Situation schon anders aus. Möglicherweise lohnt es sich auch einfach zu fragen, ob die Person die Hilfsangebote der Kirchen oder der Stadtmission kennt.

Berlin-Friedrichshain

Obdachloser zusammengeschlagen und lebensgefährlich verletzt

Viele Menschen haben vielleicht Scheu, wollen nicht aufdringlich erscheinen - oder haben Angst vor der Reaktion.

Ich glaube, man kann gar nicht von "den" obdachlosen Menschen und "der einen" Reaktion auf ein Gesprächsangebot sprechen. Ich denke, Sie und ich, wir reagieren ja auch ganz unterschiedlich, wenn uns fremde Menschen ansprechen. Und so ist das bei obdachlosen Menschen natürlich auch.

Wenn eine Person psychisch erkrankt oder verwirrt ist, vielleicht gerade Angstzustände hat und dann auch noch plötzlich von der Seite angequatscht wird, kann das natürlich dazu führen, dass er oder sie sich so verhält wie wir das nicht erwarten. Wenn jemand aber ganz ruhig irgendwo ist und vielleicht mit einem Becher schnorrt, kann man natürlich auf die Person zugehen und sagen: "Hey, ich sehe Sie hier jeden Tag sitzen. Kann ich Ihnen einen Kaffee bringen? Brauchen Sie irgendwas?"

Wie sinnvoll ist es, sich in einer unklaren Situation an ein Hilfsangebot zu wenden?

Ich würde es immer von der Situation abhängig machen und mit ein bisschen Fingerspitzengefühl vorgehen. Wenn man gar nicht so richtig weiß, wie man mit der Situation umgehen soll, kann man sich natürlich an soziale Organisationen wenden. Demnächst ist dann auch der Kältebus wieder unterwegs.

Da suchen wir dann Menschen, die auf der Straße leben, in den kalten Nächten auf. Unser Ambulanz-Bus der Berliner Stadtmission fährt außerdem auch jetzt in den Sommermonaten zweimal in der Woche umher und versorgt Menschen, die auf der Straße leben, mit medizinischen Angeboten. Also klar, man kann sich auch an andere wenden und sagen, ich habe da was beobachtet, was empfehlt Ihr zu tun?

In welcher Situation ist Hilfe unumgänglich?

In den heißeren Sommermonaten auf jeden Fall, wenn jemand in der Hitze eingeschlafen ist und knallrot in der Sonne liegt. Wenn man sieht, dass jemand in Not ist, dann sollte man natürlich auf jeden Fall Hilfe rufen. Gleiches gilt auch, wenn man sieht, dass jemand nachts irgendwo auf einer Parkbank liegt und bedroht oder vielleicht sogar geschlagen wird. In dem Fall sollte man selbstverständlich umgehend die Polizei informieren.

Andererseits haben wir oft den Fall, dass im Winter besorgte Menschen den Kältebus anrufen, ohne dass Obdachlose überhaupt gefragt worden wären, ob sie die Hilfe möchten. Das ist schwierig. Möglicherweise fährt der Kältebus dann von Wilmersdorf nach Lichtenberg, findet jemanden auf der Parkbank vor, der sagt nein, ich will nicht mitfahren.

Also da ist es schon gut zu sagen: "Entschuldigung, ich mache mir Sorgen um Sie. Wären Sie damit einverstanden, dass ich den Kältebus für Sie rufe?" Wenn derjenige sagt, ja klar gerne, dann kann man das tun.

Was kann obdachlosen Menschen im Alltag helfen? Nicht immer beobachtet man Notfälle.

Also ich finde, Geld ist eine gute Sache. Damit kann derjenige dann machen, was er möchte. Das ist wie ein Geschenk. Man entscheidet sich in dem Moment, jemanden zu beschenken - und zwar bedingungslos. Wenn derjenige vielleicht suchtmittelabhängig ist, zum Beispiel Alkohol braucht, dann sagen viele, der kauft sich davon sowieso nur Alkohol. Das stimmt natürlich. Vielleicht hilft das Geld aber auch, die ein oder andere Straftat zur Beschaffung zu verhindern. Die Person kann sich dann einfach legal Alkohol in einem Geschäft kaufen.

Viele Leute sagen ja auch, ich habe jemandem einen Apfel angeboten, und der hat den gar nicht genommen. Die Menschen sind dann aber nicht undankbar. Viele obdachlose Menschen haben ganz einfach schlechte Zähne, manche sogar gar keine. Die können die Äpfel gar nicht beißen oder kauen. Ich glaube, man muss einfach von Herzen entscheiden, dass man überhaupt etwas geben möchte. Wenn man dann bei einem Angebot sogar noch ins Gespräch kommt, ist unheimlich viel gewonnen.

Obdachlosigkeit in Berlin

Das Angebot an sich kann also in bestimmten Momenten wertvoller sein als die Hilfe selbst?

Ja. Ich habe neulich in der S-Bahn zum Beispiel einen jungen Mann getroffen, dem es offenbar gar nicht gut ging. Ich habe ihn angesprochen und einfach gefragt, was er sich denn am meisten in der Situation wünschen würde. Der Mann war so Anfang 20 und sagte, seine Familie hätte ihn längst aufgegeben. Dieser Mann wünschte sich am meisten, dass er als Mensch gesehen und wahrgenommen wird. Darum geht es in vielen Fällen. Es geht nicht nur um Geld. Es geht einfach darum zu sagen, wir sehen euch, wir akzeptieren euch als Teil dieser Gesellschaft. Und wir wollen euch auch helfen. Inwieweit diese Hilfe von den Leuten angenommen wird, entscheiden diese selbst. Das muss man dann respektieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Lydia Mikiforow. Für die Online-Fassung ist es gekürzt und redigiert worden. Mit einem Klick auf den Playbutton im Artikelbild können Sie das ganze Gespräch hören.

Sendung: rbb 88,8, 07.09.2022, 8:40 Uhr

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