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Audio: Antenne Brandenburg | 05.10.2022 | Susanne Hakenjos | Quelle: rbb/Hakenjos

Agri-Photovoltaik in der Landwirtschaft

"Man kann doppelt ernten: Energie und Lebensmittel"

Pflanzen, Hühner oder Weiderinder unterm Solardach: In Rathenow im Westhavelland erprobt und demonstriert ein Unternehmen die Doppelnutzung von Solar-Anlagen in der Landwirtschaft. Ist das die Zukunft? Von Susanne Hakenjos

Aufgeregt gackernd begrüßt eine kleine Hühner- und Entenschar den Agraringenieur Michael Bleiker. 28 Hühner und fünf Enten erhoffen sich von ihm neues Futter. Über ihnen wandeln Solar-Module Sonnenenergie in Strom um. Der Schweizer leitet seit 2021 für die Firma Solarenergie und Photovoltaik Sunfarming GmbH in Rathenow die Versuche, die auf einer zwei Hektar großen Forschungs- und Vorführanlage im Gewerbegebiet Heidefeld laufen.

Es geht um die Doppelnutzung von Solar-Anlagen in der Landwirtschaft durch Agri-Photovoltaik (Agri-PV). Für die Hühner etwa sind die schrägstehenden Solarpaneel-Pultdächer ein Wetterschutz in ihrem Freilandgehege. "Dabei können sie wählen, ob sie mehr in die Sonne gehen, oder im Schutz und Schatten des Solardachs bleiben", erklärt der 33-jährige studierte Landwirt. Aber auch Nahrungsmittel können unterm solchen Anlagen wachsen, denn sie sind teilweise lichtdurchlässig.

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Gemüse, Kräuter, Blumen, Obst oder Wein unter Strom

Die Paneele von Agri-Solaranlagen sind mit widerstandsfähigen, sogenannten bifacialen Glas-Glas-Modulen bestückt. Diese produzieren auch auf der Unterseite Energie und lassen weiterhin einen Teil des Lichts durch. Da sie wie auf Stelzen stehen, kommt von der Seite auch zusätzlich Licht. Damit ist Pflanzenwachstum darunter möglich, denn auch das Regenwasser kann auf verschiedene Weisen weiter genutzt werden. In mehreren Reihen wachsen so zum Beispiel Erdbeeren.

20 verschiedene Pflanzen bauen Bleiker und seine drei Mitarbeiter für Forschungszwecke in der Versuchsanlage an: "Von Heidelbeeren, über Karotten, Zwiebeln, unterschiedliche Arzneipflanzen, Ess-Mais, Kürbisse, Süßkartoffeln, Spitzkohl, landwirtschaftlicher Hanf, verschiedene Tomaten- und Gurkensorten, und alleine zwanzig Sorten Wein. Pflanzen, die auch Bauern auf ihren Betrieben testen wollen, ob man sie mit Solar überdachen kann."

Tomaten wachsen unter Agri-Photovoltaik-Anlage | Quelle: rbb/Hakenjos

Agri-Photovoltaik: Neue Form der Landwirtschaft unterm Solardach

Welche Pflanzen vertragen sich mit Agri-PV, wie reagieren sie auf das reduzierte Sonnenlicht, lautet eine Frage. Aber auch welche Vorteile bringt die solare Überdachung? Tomaten etwa wachsen im Schattenbereich fast noch besser, Erdbeeren müssten weniger gespritzt werden, so Bleiker. Alle Pflanzen profitierten vom Schutz vor Starkregen, Hagel, Verdunstung und extremer Hitze.

Geforscht wird in Rathenow auch zusammen mit verschiedenen Universitäten. Die Anlage vermittelt anschauliche Eindrücke, wie eine Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen mit Agri-Photovoltaik aussehen kann – und welche Vorteile sie versprechen. Die unterschiedlichen Modelle für die schrägstehenden Modulreihen starten bei einer Höhe von einem Meter, etwa für Biodiversitätsflächen.

Im Pflanzen-Anbau sind sie höher: "Hier zum Beispiel haben wir eine Höhe von 2,50 Meter bis 3,50 Meter", erklärt Bleiker. Damit sind die Solarplatten mit kompakten Traktoren unterfahrbar. Die verzinkten Stahlpfosten, die als Standfüße die Solarpaneele tragen, werden beim Aufbau direkt in den Boden gerammt. Dabei kommt die Konstruktion ohne Fundament aus: "Es wird also nichts betoniert, der Boden wird nicht versiegelt", betont der Agraringenieur. Die Stabilität sei dennoch enorm: "Die werden auch getestet, also dass da schon eine Tonne Zugkraft dran sein kann."

Inverter an den Agri-PV-Anlagen verwandeln Gleichstrom in Wechselstrom | Quelle: rbb/Hakenjos

Doppelnutzung Solarstromerzeugung und Tierhaltung

Nicht nur kleinere Trecker passen problemlos unters Solardach. Für Weiderinder wird eine Agri-Solaranlage auf der Rathenower Forschungs- und Demonstrationsanlage zu einer überdachten Futter-Station mit Fressgittern. Damit könnten die Tiere auch im Winter weiter auf den Weiden gelassen werden, erklärt Neu-Rathenower Bleiker, während er Futter unter die Solarplatten schippt.

Ein anderer Teil dient als Lagerstätte für Heu und Stroh. Das braun-weiß gefleckte Simmenthaler Fleckvieh stammt von einem Landwirt, der in den Havelauen Mutterkuh-Herden hält und dort demnächst selbst eine Agri-PV-Anlage als Wetterschutz für die Mutterkühe errichten lassen will.

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Energiewende ohne Konkurrenz zum Anbau von Lebensmitteln

Regelmäßig werden in der Anlage in Rathenow Gespräche mit interessierten Landwirten geführt. Das Interesse an dieser neuen Art der Landwirtschaft nehme zu, schließlich habe Agri-Photovoltaik enormes Potenzial, erklärt Agrar-Ingenieur Bleiker. "Man kann doppelt ernten: Energie und Lebensmittel." Vor allem ertragsschwache landwirtschaftliche Flächen mit niedrigen, schlechten Bodenwerte könnten durch die doppelte Nutzung in ihrem Ertrag für den Betrieb gesteigert werden. "Wir wollen nicht mit dem Anbau von Lebensmitteln konkurrieren, sondern Flächen-Doppelnutzung. Unser Ziel für die Zukunft lautet: lokale Energie-Erzeugung, umweltfreundlich, verträglich mit der Landwirtschaft".

Eine Fläche – doppelter Ertrag für den Landwirt

"44 Kilowatt gehen hier aktuell gerade ins Stromnetz", freut sich Michael Bleiker mit Blick auf die sogenannten Inverter, die gerade geernteten Gleichstrom in Wechselstrom verwandeln. "Von hier geht's dann weiter zur Trafostation." Durch die Kooperation mit dem Unternehmen erhalte der landwirtschaftliche Betrieb eine zusätzliche stabile Einkommensquelle.

Das Konzept sieht so aus: Das Unternehmen Sunfarming pachtet das Land von den Landwirten für mindestens 30 Jahre und errichtet in Abstimmung den jeweiligen Anlagentyp und übernimmt auch weiter alles technisch Notwendige über Wartung bis zu Stromeinspeisung. Den Strom vermarktet die Firma direkt. Vorteil für den Landwirtschaftsbetrieb: Über die Pacht erhält dieser eine zusätzliche Einkommensquelle, nutzt in Eigenregie nach der Errichtung seine Flächen aber weiter landwirtschaftlich und damit doppelt. In Brandenburg ist bereits in Steinhöfel im Kreis Oder-Spree ein solches großes Agri-PV-Projekt in Planung.

Sendung: Antenne Brandenburg, 05.10.2022, 14:12 Uhr

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Beitrag von Susanne Hakenjos

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