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Video: rbb24 Abendschau | 05.06.2023 | Gespräch mit re:publica-Geschäftsführer Andreas Gebhard | Quelle: re:publica/Jan Michalko

Interview | Republica-Mitbegründer

"Wir brauchen Bezahlsysteme, die uns nicht die ganze Zeit überwachen"

Die Berliner Republica, das größte Festival für die digitale Gesellschaft, befasst in diesem Jahr mit dem Thema "Cash", auf Deutsch Bargeld. Mitbegründer Markus Beckedahl geht es auch darum, wie wir mit Geld digital umgehen, sagt er im Interview.

Die Republica (Eigenschreibweise: re:publica) ist die größte Konferenz der digitalen Gesellschaft in Europa. Auf mehr als 20 Bühnen sollen ab Montag rund 1.000 Sprecher an mehr als 300 Workshops, Talks, Debatten und MeetUps teilnehmen.

Wie schon im vergangenen Jahr werden auf der Konferenz politische Gäste erwartet, unter anderem Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU).

Vom 5. bis 7. Juni findet die #rp23 unter dem Motto "Cash" in der Arena Berlin und im Festsaal Kreuzberg statt.

Markus Beckedahl ist einer der Gründer der Republica und seit den Anfängen für die Kuration des Programmes (mit-)verantwortlich. | Quelle: dpa/Annette Riedl

rbb|24: Herr Beckedahl, warum das Motto "Cash"?

Markus Beckedahl: In jeder gesellschaftlichen Debatte geht es um Geld. Bei der Republica geht es um Cash, um Geld. Wem gehört Geld? Wie verteilen wir Geld? Wie wird Geld in unserer Gesellschaft abgebildet? Aber auch bei den vielen digitalen Fragestellungen spielt Geld eine große Rolle. Wer kontrolliert eigentlich diesen digitalen Raum und verdient am meisten Geld damit? Welche Bezahlsysteme nutzen wir digital und welche Risiken und Nebenwirkungen gibt es dabei? All das wollen wir auf der Republica thematisieren und noch viel mehr.

Was ist das Besondere bei der #rp23?

Neben Cash und dem Gerechtigkeitsgedanken beziehungsweise den ganzen digitalen Auswirkungen von Geld, reden wir über Nachhaltigkeit, wie auch schon in den letzten Jahren. Die Klimakrise wird immer realer. Welche Möglichkeiten können wir als Gesellschaft finden, uns davor zu wappnen, dem Klimawandel, dieser Klimakrise etwas entegegenzustellen?

Wir reden aber auch über Künstliche Intelligenz. Das haben wir eigentlich schon immer auf der Republica gemacht. In diesem Jahr ist weiten Teilen der Gesellschaft bewusst geworden, dass diese Technologien da sind, dass man sie nutzen kann und dass wir uns dringend als Gesellschaft darüber verständigen sollten.

Die Republica 2022 war bisher die politischste. Wie politisch wird sie in diesem Jahr?

Wir werden Robert Habeck da haben, Christian Lindner und Claudia Roth sind da. Hubertus Heil kommt vorbei. Also wir haben wieder mindestens die Hälfte der Bundesregierung und hätten sicherlich auch mehr haben können. Aber ja, wir sind eine Konferenz für die ganze Gesellschaft und nicht der Digitalgipfel der Bundesregierung.

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Die #rp23 fragt auch, welche Aufgaben der Staat übernehmen muss, gerade im Sinne der Digitalisierung. Das Allgemeinwohl ist auch ein Thema auf der Konferenz. Können Sie das näher erläutern?

Eine spannende Debatte, die eigentlich viel zu wenig geführt wird, ist die über den digitalen Euro. Wollen wir zukünftig digital bezahlen? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Im Moment scheint es so zu sein, dass Teile der Gesellschaft sehr gerne digital bezahlen. Wir sollten uns auch bewusst sein, dass wir dabei jedes Mal auf das Monopol sehr weniger Unternehmen zurückgreifen, die sehr genau hinschauen wollen, was wir kaufen, wo wir es kaufen und diese Daten verwerten wollen.

Ich finde, dass wir Alternativen dazu brauchen, denn Geld, oder Bargeld war immer eine gemeinwohlorientierte Sache, die allen gehörte und wo niemand im Hintergrund oder viele dutzende Firmen im Hintergrund bei jeder Transaktion, bei jedem Bezahlen beobachteten, "Wer bezahlt da gerade was?", um diese Daten später gegen uns zu verwenden. Wir brauchen Alternativen zu Paypal, Kreditkarten, Apple, Google und Co. – Bezahlsysteme, die uns nicht die ganze Zeit dabei überwachen.

In vielen europäische Staaten wird fast alles digital bezahlt. In Schweden ist das Bargeld fast komplett abgeschafft. Warum sind die Deutschen da hinterher?

Ich finde gut, dass wir in Deutschland weiterhin mit Bargeld bezahlen können, auch wenn das andere vermeintlich einfacher ist. Zumindest solange das Internet irgendwo funktioniert oder das Kartenterminal mal wieder ein Update braucht oder so. Wir kennen alle diese Fälle.

Es ist immer müßig, uns mit Skandinavien zu vergleichen. Die Skandinavier haben eine ganz andere Mentalität. In Schweden stehen auch die ganzen Steuerklärungen von allen Bürgerinnen online, und ich kann die von meinem Nachbarn anschauen. Natürlich hat man da dann auch weniger Probleme damit, wenn irgendwo dokumentiert wird, was man wo kauft. Aber ich finde schon, dass es eine private Sache ist, was ich wo einkaufe, und dass das vor allen Dingen keine Unternehmen angehen sollte.

Wie soll die Alternative aussehen?

Wenn es um digitales Geld geht, gibt es im Moment eigentlich drei Möglichkeiten. Möglichkeit eins ist, wir bleiben bei diesen kommerziellen Infrastrukturen, die in der Hand von immer weniger Unternehmen sind, vielleicht mittelfristig nur noch von Google und von Apple kontrolliert werden.

Oder wir machen irgendetwas mit Kryptowährungen, was bei der Hälfte Scam ist und in der anderen Hälfte irgendwie Wunschfantasien und wo es eigentlich kaum funktionierende, vertrauenswürdige Systeme gibt. Oder aber die Europäische Zentralbank nutzt mit der Europäischen Union die Chance und schafft einen digitalen Euro, wo wir möglichst anonym bezahlen können und keine Unternehmen im Hintergrund tracken, was wir da eigentlich gerade kaufen.

Ich möchte gern eine Grundversorgung haben. Wenn ich ein ÖPNV-Ticket kaufe, dann möchte ich nicht gezwungen werden, Kreditkarten oder Paypal dafür zu nutzen. Ich möchte nicht, dass andere Unternehmen wissen, dass ich mir gerade bei meinem lokalen öffentlichen Verkehrsunternehmen ein Ticket kaufe. Das möchte ich am liebsten mit einem digitalen Euro bezahlen können.

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ChatGPT ist die große Überschrift derzeit. Was verändert sich durch Künstliche Intelligenz, die in naher Zukunft Wissenschaft und intellektuelle Arbeitsbereiche vielleicht sogar besser ausfüllen wird, als der Mensch es tun kann?

Seit Jahren laufen überall automatisierte Entscheidungssysteme im Hintergrund, über die wir viel zu wenig diskutieren, die aber unser Leben bestimmen. Durch generative KI-Tools wie ChatGPT wird auf einmal diese ganze Evolution oder Revolution viel sichtbarer für viele Menschen.

Es ist faszinierend, wenn man einigermaßen kluge Begriffe, Fragestellungen in diese Systeme rein gibt und wie der Output dieser Maschinen uns Arbeit erleichtern kann. Die einen sehen darin eine Weiterentwicklung, andere haben Angst um ihre Arbeit. Aber eigentlich zeigt es nur, dass Technologie sich weiterentwickelt und wir sie umarmen müssen. Und ich glaube, im Rahmen unserer Demografie muss sich in Deutschland niemand Sorgen machen, dass man zukünftig keine Jobs mehr hat, wenn man bereit ist, sich auch weiterzuentwickeln und dazuzulernen.

Welche Chance sehen Sie in ChatGPT oder überhaupt den Künstlichen Intelligenzen für eine demokratischere Netzpolitik?

Automatisierte Entscheidungssysteme – wenn sie gut aufgestellt sind, wenn sie eine gute Datenbasis haben, wenn wir gute demokratische Kontrollmöglichkeiten haben – können uns helfen, unsere Arbeit besser zu machen. Sie können uns helfen, unsere Verwaltung effizienter zu machen und sicherlich dazu beitragen, dass Bürgerbeteiligungssysteme besser werden könnten. Wir müssen das alles ausprobieren. Wir müssen genau hinschauen.

Automatisierte Entscheidungssysteme und seien es generative Bild oder Textgeneratoren können dazu beitragen, dass Strukturen effizienter werden, wenn sie demokratisch kontrolliert sind, wenn sie nachvollziehbar sind, wenn die Datenbasis nicht diskriminiert.

Haben Sie konkrete Vorschläge und Forderungen, damit es nicht zur Gefahr wird?

Wir brauchen gute Regeln um Künstliche Intelligenz zu regulieren. Die Frage ist welche Regeln schaffen wir da? Und da hätte ich gerne nachvollziehbare Regeln, die zu weniger Diskriminierung führen, die zwar Innovation ermöglichen, aber gleichzeitig auch demokratische Werte eingebaut haben.

Sind diejenigen, die regulieren müssen, zu wenig dafür ausgebildet?

Es wäre wichtig, dass wir Digitalkompetenz in der Politik voranbringen. Aber letztendlich ist die Politik ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wir müssen alle dazulernen – Junge, Mittelalte, Alte – wir müssen alle nach unserem Vorwissen, nach unseren Erfahrungen weitergebildet werden. Und das ist eine riesige Herausforderung.

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Welche Erfolge hat die digitale Zivilgesellschaft in den letzten Jahren erreicht?

Ich sehe große Erfolge, weil es immer größere Organisationen gibt, die auch größtenteils durch Spenden finanziert sind. Ich sehe strategische Klagen, die dazu führen, dass unsere Grundrechte immer besser vom Bundesverfassungsgericht geschützt werden. Ich sehe eine Vielzahl an spannenden Open-Source-Projekten, die dazu beitragen, dass wir gemeinwohlorientiert Infrastrukturen bekommen, die nicht in der Hand von einzelnen Konzernen liegen, die dann je nach Lust und Laune ihres Besitzers - wie etwa Elon Musk [Anm. d- Red.; bei Twitter] - über Nacht einseitig die Regeln zu unseren Ungunsten ändern können.

In dieser Aufzählung taucht die Bundesregierung nicht auf, obwohl sie in ihrem Koalitionsvertrag viele große Versprechungen gemacht hat. Waren das Ihrer Meinung nach alles nur leere Worthülsen?

Ich hatte echt Hoffnung nach 16 Jahren Merkel-Regierung, dass sich endlich etwas ändert. Zwei Jahre später ist die vollkommene Ernüchterung da. Es ist genau derselbe Kompetenz-Wirrwarr wie vorher. Es gab blumige Worte, aber wenig dahinter. Und das ist schon ganz schön enttäuschend. Wir sehen eher Transparenz- und Beteiligungstheater als tatsächlichen Willen einer Einbindung der Zivilgesellschaft, um bessere Gesetze und bessere Rahmenbedingungen zu bekommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jenny Barke.

Sendung: rbb24 Inforadio, 05.06.2023, 6:30 Uhr

 

 

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