Adventskalender 2019
Das Wildschwein ist köstlich. Doch das Wildschwein ist auch eine Plage. Es ruiniert Beete und verbeult Autos. Und dann ist da noch die Afrikanische Schweinepest. Es ist eine harte Zeit für die Sau in Brandenburg.
24 kleine Geschichten über die großen Errungenschaften und kleinen Niederlagen der Brandenburger und Berliner in Sachen "Essen und Trinken". Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.
Das Wildschwein ist für Berlin so eine Art Schneegestöber. Es kommt überraschend, stört total und man muss nach dem Wüten des Schweins immer tierisch viel aufräumen, egal ob das Tierchen nun noch lebt oder nicht. Aber so ein Schweineschneegestöber sorgt auch immer für interessante und manchmal sehr traurige Bilder, etwa von durchwühlten Gärten, vielsagenden Schweineblutflecken auf dem Asphalt oder schnüffelnden Rotten mit vielen Frischlingen rund um eine Parkbank im Wohngebiet. Und dann gibt es noch jene, die sich gar nicht stören lassen von den Wühlereien und Unfällen, sondern die bei "Wildschwein" in erster Linie an Wildschweinbraten denken.
Ein Blick auf die Schlagzeilen über das rudelnde Tier zeigt, dass dieses Schwein aus dem wilden Wald für die Menschen in der Zivilisation ein Ungeheuer ist. Und seit mehr als zwei Jahren ist das Wildschwein außerdem noch der potentielle Überträger der Afrikanischen Schweinepest. Damit ist für viele Menschen so eine Art Duldungsschwelle überschritten. Sicher findet mancher es aufregend, am Waldrand die Bache mit Frischlingen zu entdecken, doch wenn die Sau als potentieller Pestherd rumrudelt, ist es aus mit der Akzeptanz.
Dieser nun bereits im Osten Europas grassierende Schweinepestvirus ist eher leise und schleicht sich von den wilden zu den eingehegten Schweinen, von dort in die Wurstmaschine und dann über das Kühlregal auf den Abendbrotteller. Es ist ein Szenario wie bei "Outbreak". Keiner merkt etwas, bis dann ein schlauer Doktorand zu so einem verdächtigen Wildschweinkadaver gerufen wird, Proben nimmt, sie einschickt und wartet. Dann der Anruf: "Schweineoutbreak". Und dann handelt das Militär.
Brandenburgs Einsatzeinheiten gegen die Afrikanische Schweinpest sind die Jäger. Sie haben vor allem seit 2017 geschossen, was das Zeug hält, haben angefüttert und bei Dämmerung und Nacht gelauert oder haben Treibjagden, Drückjagden und Stöberjagden organisiert. Das Ergebnis waren Rekordzahlen, die dann nur in diesem Jahr ein wenig zurückgegangen sind. (Wobei allerdings Experten sagen, dass diese leicht sinkenden Abschusszahlen keine Folge geringerer Jagdanstrengungen war, sondern das Ergebnis der stärkeren Abschüsse 2016 und 2017). Und das Ergebnis dieser Schießereien bislang ist eine Art Wunder: Brandenburgs Jäger fanden keine infizierten Tiere und die Ställe blieben bislang ebenfalls sauber, anders als bei den polnischen Nachbarn.
Die Reduzierung auf das viruelle Böse am Schwein aber lässt aus, dass die wilden Tiere eine Zier für Brandenburg und natürlich auch für Berlins halbzivilisierte Wälder sind. Es ignoriert, dass diese nichtwiederkäuenden Paarhufer als Keiler ebenso wie als Bache oder Frischling den Wald beleben und erneuern und dass man dafür auch schon mal ein paar zerwühlte Landnelkenbeete hinnehmen kann. Wildschweine sehen schlecht, aber hören und riechen gut und können älter werden als unsere Haushunde und Katzen - rund 20 Jahre. Sie bringen es im Regelfall aber nur auf ein paar Jahre, weil Erntemaschinen, Autos und Jäger ihnen das Leben schwer machen.
Sie leben in Rotten und haben eine Chefin, eine Leitbache. Doch ihr Dilemma wird wohl auch Outbreak-Held Dustin Hoffman nicht lösen können: Die vielen und reichhaltigen Futter- und Energiegetreidefelder sorgen für einen ordentlichen Populationsanstieg, die Siedlungen der Menschen expandieren und rücken ihnen immer dichter auf die Pelle, und die Menschen rufen nach Ordnung im Forst. Folglich ist die Sau ständig und überall fällig.
Die Angst vor der durch die Stadt ziehenden bösen Wildsau sorgte dann im vergangenen Jahr für eine neue Bekämpfungsvolte: In Kleinmachnow und Stahnsdorf bemühten sich Aktivisten, die Jagd mit Pfeil und Bogen auch rund um die Klettermöbel der Kindergärten oder auf Friedhöfen zuzulassen, damit das Wildschein auch in der Zivilisationsnähe lautlos und ohne Flinte erlegt werden kann. Doch dieses Streben, Keiler und Bachen auf den Stadtwegen mit tödlichen Pfeilen niederzustrecken zu können, ließ die Politik nicht zu. Erstmal nicht. Vielleicht macht aber "Outbreak" auch nur eine Werbepause.
Beitrag von Stefan Ruwoldt
Artikel im mobilen Angebot lesen