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Quelle: dpa/Kalaene

Der Absacker

Wer ist schuld: Corona oder das Internet?

In der Viruszeit gehen nun geliebte Geschäfte und Zeitschriften von uns. Dabei könnte das Virus vielleicht auch Gutes bewirken. Wenn wir auf sehr billiges Fleisch verzichten, zum Beispiel. Oder öfter nach Brandenburg radeln. Ein sehr langer Absacker von Tim Schwiesau

Hallo. Ich bin die Absacker-Aushilfe. Wenn niemand kann, darf ich mal ran. Das mag auch daran liegen, dass sich meine Kolleg*innen wohl dachten: Moment, der kann doch nur Kochen/Backen, Auf-Dem-Smartphone-Rumdaddeln, Sport - und schreibt der als Social-Media-Leiter nicht immer nur kurze Antexter und Tweets? Mag sein 🤣.

Und eigentlich wollte ich nur über Fußball schreiben, aber mein verehrte Kollegin Lisa Schwesig hat dazu jüngst alles gesagt.

Deshalb kommen wir jetzt zu einem völlig anderen Thema ...

1. Was vom Tag bleibt

... leider trauriger Natur. Die Abschiede nehmen einfach kein Ende. Gestern die Zitty und wohl einige Karstadt-Kaufhof-Filialen, heute das Kino Colosseum an der Schönhauser Allee: Alle betroffen von der Corona-Krise, aber auch vom Lebenswandel. Das Virus scheint die Lebensdauer einiger altehrwürdiger Institutionen deutlich zu verkürzen, auf der Kippe standen viele schon länger. Netflix, Amazon, das Internet überhaupt haben ihren Teil dazu beigetragen. Was Userinnen und User dazu sagen, steht weiter unten im Text (#WieGehtEsUns?).

Und da wir schon bei Abschieden sind: Vielleicht ist auch der Corona-Ausbruch mit über 1.000 Infektionen im Tönnies-Fleischbetrieb Anlass, endlich die Arbeits- und Produktionsbedingungen sowie den Tierschutz wirklich zu verbessern (tagesschau.de). Ja, es ist auf den ersten Blick nicht direkt ein Thema aus Berlin oder Brandenburg, weil die Fabrik in Rheda-Wiedenbrück steht. Aber auch hier gibt es immer wieder negative Berichte aus Fabriken. Und auch in unseren Supermärkten liegen zu oft 500 Gramm Huhn oder Schwein für 1,99 Euro.

Was in Berlin wieder so richtig auflebt: die Demonstrationen. Dutzende waren es heute in der Hauptstadt. Die Themen: Rassismus, Mieten, Umwelt, Studienbedingungen uvm.

2. Abschalten.

Nun, in diesen "Corona-Zeiten" haben sich unsere Gewohnheiten völlig verändert. Bei mir: Ich fahre jetzt noch mehr Fahrrad als früher. Nicht nur zur Arbeit und zurück (meine Strecke besteht jetzt vollends aus Pop-up-Radwegen 💪). Sondern sehr weite Strecken.

Letztes Wochenende bin ich mit Freunden von Hamburg nach Berlin geradelt. Warum ich das schreibe? Die Unterrubrik hier heißt "Abschalten". Ich sage Ihnen: Wenn Ihnen der Wind drei Tage lang von vorne kommend erbarmungslos ins Gesicht peitscht (🌬️) – mehr Ablenkung geht nicht. Vermutlich kann man nirgendwo besser abschalten als auf den schier unendlichen Radwegen der Mark Brandenburg zwischen Mohn-Mais-Raps-Feldern. Brandenburg rockt.

Das geliebte Smartphone habe ich fast nur zum Navigieren benutzt. Und zum Bundesliga-Gucken, als wir 1½ Stunden in einem Hausvorsprung standen, weil uns auf dem Havelradweg (bezaubernd) kurz vor Havelberg ein Gewitter erwischte ⛈️.

Falls Sie auch mal richtig auf Brandenburger Radwegen abschalten wollen, hier ein paar Tipps:

1.) Nehmen Sie Essen mit. Das ist eine Binsenweisheit - aber eine wichtige! (Bargeld nicht vergessen.)

2.) Gute Strecken: Havelberg – Berlin via Stölln, Ribbeck, Nauen, Falkensee. 120km. In Ribbeck gibt’s gigantisch guten Birnenkuchen. Aber auch der Havel-Radweg zwischen Brandenburg an der Havel via Ketzin, Werder, Geltow, Potsdam ist zu empfehlen. Gransee – Berlin via Löwenberger Land, Oranienburg ist auch ganz nett.

3.) Mit dem Fahrrad in den RE steigen, bissl raus, und wieder zurück. Wenn Sie sehr großes Glück haben, leben Sie schon in Brandenburg und müssen aus Berlin erst gar nicht erst raus (denn trotz neuer Radwege ist es immer noch kein sehr großes Vergnügen).

4.) Luft aufpumpen, Kettenöl rauf, Helm nicht vergessen, ab geht’s.

Wer ich bin

Ist 35 Jahre jung und lebt seit 35 Jahren in Berlin (27 davon im Osten der Stadt). Tim Schwiesau ist also ein echter Berliner. Hat die Stadt nie länger als 6 Wochen verlassen. Liebt sie immer noch. Irgendwie. Manchmal mehr, manchmal weniger. Meistens mehr.

3. Und, wie geht's?

Als Social-Media-Redakteur lese ich wöchentlich Hunderte, Tausende Kommentare. In diesen Tagen sind viele (natürlich) emotional.

Mehrere Themen wurden in den vergangenen Tagen stark geteilt und kommentiert. Die haben mit Reisen/Fernweh und auch mit den guten alten Tagen zu tun, als es das Internet noch nicht gab.

1.) Die Schließung von Galeria-Karstadt-Kaufhof-Filialen. Für viele geht da ein großes Stück Vergangenheit verloren, ein Teil ihres Kiezes. "Gerade die Schließung der Filiale in der Müllerstrasse wird zum Untergang der Strasse beitragen, dort gibt es ja nur noch Ramschläden, aber vielleicht kann das Kaufhaus auch genutzt werden von verschiedenen Einzelhändlern, quasi ähnlich der Gourmetabteilung des KaDeWEs", heißt es in unseren Kommentaren. Oder: "Also ich kaufe Kleidung regelmäßig bei Karstadt. Etwas teuerer, aber doch bessere Qualität. Ich werde nicht anfangen, Kleidung im Internet zu bestellen und alles nicht passende zurückzuschicken. Eine Festplatte kann man online bestellen, eine Kamera auch... Aber T-Shirts/Jacken etc. müssen passen. Und da muß man vorher ausprobieren! Also ab ins Geschäft." Politikerinnen und allerlei Leute aus den Kiezen versuchen jetzt, den einen oder anderen Standort zu retten - denn es sind 1.200 Menschen von den Schließungen bedroht.

2.) Die Zitty erscheint nicht mehr in der gedruckten Ausgabe. In den Kommentaren unter dem Artikel heißt es: "Traurig! Ausgerechnet die "Zitty" und "natürlich" die Zitty: Genau das ist die Corona-Tragik. Als erstes trifft es die alternativen, die indie-lastigen, die wilderen, ungebügelten, que(e)rgestrickten Einrichtungen. Die Zitty ist ein Mahnmal des Verlustes, der über diese Stadt hereinbrechen wird. Schade drum." Oder auch: "Ja, traurig, ein Stück Alt-Westberlin ist weg.." Und: "Naja, schade. Noch in den 2000ern habe ich kaum eine Zitty ausgelassen. Was sie für mich gekillt hat waren aber das Internet und das Alter (meins) und nicht Corona. Schüss und Danke!"

3.) Das Traditionskino Colosseum im Prenzlauer Berg wird nicht wieder eröffnen, das Haus an der Schönhauser Allee wird die Corona-Krise nicht überleben. "Jammerschade um das schöne Kino mit dem einmaligen inneren Ambiente....", "Sehr schade denn das Colosseum gehörte noch zu den wenigen ursprünglichen Kinos Berlins und nicht zu den Dutzenden neuen Multiplex - Kinos die erst nach 1990 entstanden sind . Hoffentlich bleibt der Bau wenigstens erhalten und wird nicht wie viele andere abgerissen!!"

4.) Unsere Karten zu neuen Nachtzug-Routen (Berlin-Graz, Berlin-Stockholm, beide auf Instagram). Da wird deutlich: Die Reiseweltmeister scharren mit den Hufen und wollen mal wieder weit weg.

"Genial, ist eine Reise wert 😍"
"das kommt auf die Reiselust fürs nächste Jahr!"
"nächste Reise nach Stockholm nach der Quarantäne? :D"
"Ich hasse Nachzüge, aber vielleicht sehen wir ja doch endlich noch Stockholm!!! Hanna Eine Variante in deine Nähe zu kommen ohne zu fliegen. 🤯"

Stichwort Schweden: Die haben natürlich ganz grausame Coronavirus-Zahlen derzeit und stehen als Buhmann Europas da (tagesschau.de).

Aber der Exilant aus dem Rheinland weist uns zurecht darauf hin: Es ist Midsommar, ab Sonntag wird es jeden Tag wieder etwas früher dunkel. Was die Schweden trotz Corona wohl dennoch groß feiern.

"Huch, neulich war es doch noch um 6 Uhr abends dunkel, als der Lockdown war? Wie die Zeit vergeht! …Tja, da steht man also gefühlt direkt nach Ostern vor den Sommerferien, stellt fest, dass wildcampen nirgends erlaubt ist, auf Mundschutz-Hotel hat man aber keine Lust, und andere denken schon ans Weihnachtsgebäck... meine innere Funkuhr hat gerade leichte Synchronisationsprobleme!

Vielleicht gibts ja noch Tips aus den Kommentaren oder dem Absacker, wie man seine 10 knappen Urlaubstage verbringen kann. Ich bin gespannt.

Viele Grüße
Der Exilant"

Wir schließen uns der Frage an: Wo kann es hingehen in diesen Zeiten? Schreiben Sie uns und dem Exilanten hier unten in den Kommentaren oder an: absacker@rbb-online.de.

Als Leiter der rbb|24-Social-Kanäle will und muss ich Ihnen natürlich noch unsere sozialen Netzwerke empfehlen, möglicherweise begegnen wir uns dort auch mal oder haben es längst getan.

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4. Ein weites Feld ...

Weiter oben habe ich von der Fleischproduktion geschrieben. Deshalb empfehle ich jetzt mal ein paar Texte von Bettina Rehmann und Sebastian Schneider. Sie haben sich vor gut zwei Jahren mal angeschaut, wie das mit der Geflügelproduktion läuft: "Stall 12" und "Schwer auf der Brust" sollten Sie mal lesen.

Sorry, ist etwas lang geworden. Danke fürs Durchhalten 🙏. Aber wenn ich schon mal die Chance bekomme, das Internet so richtig voll zu machen, dann nutze ich die Chance auch. Vielleicht lesen wir uns bald mal wieder hier, hängt vom Feedback der Community und den Kolleg*innen ab.

 

Sport frei

Tim Schwiesau

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