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Audio: Inforadio | 18.02.2021 | Interview mit Klaus Hinterding v. Astrazeneca | Quelle: dpa

Wirksamkeit, Impfreaktionen, Altersbeschränkungen

Was über den Impfstoff von Astrazeneca bekannt ist

Die Einführung des Impfstoffs von Astrazeneca verläuft nicht geräuschlos. Angaben zur Wirksamkeit und Berichte über Impfreaktionen sorgen für Diskussionen. Dabei spielen auch Missverständnisse eine Rolle. Ein Überblick von Oliver Noffke und Haluka Maier-Borst

Ist der Impfstoff von Astrazeneca tatsächlich weniger wirksam?

Laut der Europäischen Arzneimittelagentur, Ema, besitzt der Impfstoff von Astrazeneca eine Wirksamkeit von 60 Prozent [ema.europa.eu]. Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass die Wirksamkeit etwa 70 Prozent beträgt. Diese Werte sind erst einmal deutlich niedriger, als für den Impfstoff von Biontech/Pfizer von der Agentur angegeben (95 Prozent) oder für den von Moderna (94 Prozent).

Allerdings ist der Begriff Wirksamkeit in diesem Zusammenhang leicht falsch zu verstehen. Er beschreibt nämlich nicht, bei wie vielen Menschen eine Impfung wirkt. Bei Impfstoffen bezieht sich Wirksamkeit immer auf die symptomatisch Infizierten, nicht auf die Geimpften. Es geht also darum, wie viele Erkrankungen weniger zu erwarten sind.

Dazu ein Beispiel: Angenommen wir haben drei Gruppen mit je 1.000 Probanden und wollen testen, wie gut Impfstoffe wirken. Gruppe A ist die Kontrollgruppe, die Menschen erhalten ein wirkungsloses Placebo, im Laufe der Studie erkranken 100 Personen und zeigen Symptome von Covid-19. Gruppe B erhält den Impfstoff von Biontech/Pfizer und fünf Personen erkranken. Was bedeutet, dass dieser Impfstoff 95 Erkrankungen verhindert hat. Seine Wirksamkeit beträgt entsprechend 95 Prozent. Gruppe C erhält den Wirkstoff von Astrazeneca und 30 von 1.000 Teilnehmern werden krank. Der Impfstoff hat dafür gesorgt, dass es 70 Infektionen weniger gibt, die Wirksamkeit beträgt 70 Prozent.

Zu glauben, dass der Astrazeneca-Impfstoff nur bei sieben beziehungsweise sechs von zehn Geimpften wirkt, ist also falsch. Die Wissenschaftler vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen haben dieses Missverständnis bereits im November in ihrer "Unstatistik des Monats" aufgedröselt [rwi-essen.de/unstatistik].

Möglicherweise lässt sich die Wirksamkeit des Mittels durch einen Kniff noch erhöhen. Momentan wird empfohlen, die zweite Impfdose neun bis zwölf Wochen nach der ersten zu geben. Aber es gibt Hinweise darauf, dass die Wirksamkeit auf 80 Prozent steigen könnte, wenn man länger als zwölf Wochen wartet. Das wird momentan überprüft.

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Auf welche Symptome von Covid-19 bezieht sich die Wirksamkeit?

Dass die Wirksamkeit in Prozent angegeben wird, verstellt zudem den Blick auf eine Frage, die sich insbesondere bei Covid-19 als ungemein wichtig herausgestellt hat: Wie schwer verläuft die Krankheit? Viele Menschen bemerken schließlich gar nicht, dass sie infiziert sind, ihre Infektion verläuft asymptomatisch, also beschwerdefrei. Andere haben leichte oder mittelschwere Symptome, während einige Menschen auf einer Intensivstation behandelt werden müssen oder an den Folgen der Corona-Infektion sterben.

Für die Berechnung der Wirksamkeit ist es erst einmal unerheblich, wie schwer eine Krankheit verläuft. Verliert ein Proband seinen Geschmackssinn, würde das notiert. Muss ein anderer Proband künstlich beatmet werden, würde das ebenfalls notiert. Zwei Fälle, völlig unterschiedliche Verläufe, aber beide werden gegen den Wirkungsgrad des Mittels gewertet. Schließlich fällt die Wirksamkeit umso höher aus, desto öfter Erkrankungen ausbleiben. An dieser Stelle ist wichtig: Alle Impfstoffe, die bereits verabreicht werden, scheinen sehr gut vor Komplikationen oder schweren Verläufen von Covid-19 zu schützen.

Wenn wir auf das Beispiel von oben zurückgreifen, hieße dies: Von den Menschen aus Gruppe A, die ein Placebo erhalten haben, wird nicht nur bei 100 eine Infektion mit Sars-CoV-2 nachgewiesen werden. Legt man der Rechnung eine Infektionssterblichkeit von etwa einem Prozent zugrunde, würde in etwa eine Person sterben. Während in Gruppe B und C Todesfälle allein schon deshalb unwahrscheinlicher werden, weil viel weniger Menschen erkranken. Wie gut die Impfungen aber vor schweren Verläufen oder vor dem Tod schützen, ist statistisch nicht sicher zu sagen, weil es dafür schlicht viel größere Studien bräuchte.

Erste Anzeichen für das Verhindern von schweren Verläufen wurde in der vergangenen Woche aufgezeigt, als eine israelische Krankenkasse Zahlen zu Corona-Infektionen bei Geimpften veröffentlicht hat. Von mehr als 520.000 Menschen wurde bei 544 anschließend überhaupt eine Infektion festgestellt. 15 Personen davon mussten im Krankenhaus behandelt werden, vier Personen durchlitten einen schweren Verlauf. Todesfälle in Verbindung mit dem Virus blieben vollständig aus. Dabei kam der Impfstoff von Biontech zum Einsatz [timesofisrael.com, Informationen in englischer Sprache].

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Wieso ist der Impfstoff von Astrazeneca in Deutschland nicht für Kinder oder Senioren zugelassen?

Der Impfstoff von Astrazeneca soll in Deutschland nur an Menschen zwischen 18 und 64 Jahren verabreicht werden. Das heißt aber nicht, dass der Impfstoff bei älteren Menschen nicht wirkt. Das ist einfach noch nicht ausreichend untersucht, findet die Ständige Impfkommission (Stiko). Denn an den entsprechenden Medikamentenstudien waren nur sehr wenige ältere Probanden beteiligt. Die Stiko hat der Bundesregierung deshalb empfohlen abzuwarten, bis die Datenlage besser ist [Epidemiologisches Bulletin 5/2021, rki.de].

Die Europäische Arzneimittelbehörde hat bei der EU-Zulassung zwar auch auf die geringe Datenlage hingewiesen, hatte aber dennoch keine Bedenken, was den Schutz Älterer angeht. In anderen EU-Ländern wird der Impfstoff Senioren verabreicht. Aufgrund der daraus entstehenden Erfahrungswerte kann es sein, dass die Stiko ihre Empfehlung künftig anpassen wird.

Für Kinder ist bislang noch gar kein Corona-Impfstoff zugelassen. Das Mittel von Moderna darf ebenfalls erst ab 18 Jahren verabreicht werden, der Impfstoff von Biontech und Pfizer ist für 16-Jährige freigegeben. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen sind schwere Verläufe von Covid bei Kindern extrem ungewöhnlich - außer sie haben ein erhöhtes Risiko. Außerdem unterliegen Medikamentenstudien an Kindern besonders strengen Auflagen und sind deshalb aufwändiger. Die Ema hat Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca dennoch auferlegt zu prüfen, ob die Impfstoffe auch Kindern verabreicht werden können. 2022 könnte es da mehr Sicherheit geben.

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Wieso hat Südafrika seine Impfkampagne mit dem Astrazeneca-Impfstoff ausgesetzt?

Vor knapp zwei Wochen zog Cyril Ramaphosa die Reißleine. Südafrikas Präsident stoppte eine geplante Impfkampagne, weil er befürchtete, das Mittel von Astrazeneca hat in seinem Land kaum mehr eine Wirkung. Dort breitet sich seit einigen Wochen eine Mutante des Coronavirus aus, die eine Veränderung an einer kritischen Stelle aufzeigt: Eben dort, wo die Antikörper das Virus packen sollen.

In Südafrika gehen mittlerweile mehr als 90 Prozent der Corona-Infektionen auf diese Mutante zurück. Sollten Impfstoffe wirklich ihre Wirkung gegen das Virus verlieren, wäre das nicht nur ein herber Rückschlag für Südafrika. Es wäre eine neue Bedrohung für die übrige Welt und bereits Geimpfte. Mittlerweile ist klar, dass diese Variante auch in anderen Teilen der Welt zirkuliert. In Berlin gab es Ende Januar einen Ausbruch dieser Mutanten an einem Krankenhaus.

Ramaphosas Entscheidung muss aber auch kritisch betrachtet werden, da seine Regierung ihre Entscheidung auf eine relativ kleine Studie gestützt hat. An dieser hatten nur sehr junge Menschen teilgenommen, bei denen keine schweren Verläufe von Covid-19 zu erwarten waren [tagesschau.de]. Mit dem Mittel von Astrazeneca steht außerdem zum ersten Mal ein Impfstoff zur Verfügung, der bei Weitem nicht so aufwendig gekühlt werden muss, wie die mRNA-Impfstoffe. Für diese verfügen bisher nur reiche Industrieländer über die Mittel sie zu transportieren und zu lagern.

Es scheint schon heute klar, dass die Hersteller von Impfstoffen künftig die Zusammensetzungen ihrer Präparate anpassen werden müssen. Denn es ist wahrscheinlich, dass das Coronavirus nie ganz verschwinden wird und es zu weiteren Mutationen kommen wird. Astrazeneca hat bereits angekündigt, den Impfstoff stärker auf die neuen Varianten einstellen zu wollen.

Wie häufig kommt es beim Impfstoff von Astrazeneca zu Nebenwirkungen?

Es gibt kein Medikament, zu dem nicht auch Nebenwirkungen bekannt sind. Das ist bei Impfstoffen nicht anders. Wer auf bestimmte Inhaltsstoffe allergisch reagiert, sollte grundsätzlich mit seinem Arzt über die Vergabe sprechen. Bei Impfungen ist die Lage etwas komplizierter. Dass der Körper kurze Zeit nach der Vergabe eine Reaktion zeigt, kann durchaus ein gutes Zeichen sein.

Viele Menschen kennen das von der Grippeschutzimpfung. Einen Tag nach der Impfung erleben sie leichte Symptome, fühlen sich abgeschlagen, haben Kopf- oder Gliederschmerzen. Bei der Grippeschutzimpfung kommen Bestandteile von Krankheitserregern zum Einsatz, die unschädlich gemacht wurden - aber dennoch eine Immunreaktion hervorrufen. Symptome, die in der Folge auftreten, sind Zeichen für die Wehrhaftigkeit des Körpers. Das Immunsystem reagiert auf den Impfstoff, erkennt die Virenbestandteile als Fremdkörper und bekämpft sie. Dabei bildet es auch spezielle Antikörper aus, die nach erfolgreicher Arbeit zu einer Art Schläferzelle werden. Dringen später vollständige Influenzaviren in den Körper ein, werden die Antikörper aus ihrem Schlaf geweckt und es kann eine schnelle Antwort erfolgen.

Es hat sich bereits gezeigt, dass die Impfstoffe teils schwer ausgeprägte Reaktionen hervorrufen können. Allerdings werden hier oft verschiedene Statistiken durcheinandergeworfen.

So stimmt es, dass rund 90 Prozent der Jüngeren und etwa 80 Prozent der Leute über 55 Jahre beim Impfstoff von Biontech/Pfizer mindestens eine lokale Reaktion zeigten, wie zum Beispiel Muskelsteifheit an der Einstichstelle [cdc.gov]. Diese Reaktion könnte allerdings genau auf die beschriebene Wirkung ähnlich der Grippeschutzimpfung zurückgeführt werden. Wirklich schwere Reaktionen beziehungsweise Nebenwirkungen wie hohes Fieber und Schüttelfrost fand man bei gerade einmal einem Prozent der Geimpften.

Ähnlich ist es beim Astrazeneca-Impfstoff. Rund die Hälfte berichtete von Schmerzen an der Einstichstelle oder auch Kopfschmerzen, Schüttelfrost rund ein Drittel und Fieber über 38 Grad hatten nicht einmal zehn Prozent der Geimpften [ema.europa.eu].

Inwieweit Berichte über Reaktionen auf den Astrazeneca-Impfstoff darüber hinausgehen, untersucht das Paul-Ehrlich-Institut [pei.de]. Eine Auswertung dazu liegt aber noch nicht vor, da der Impfstoff erst seit Kurzem verwendet wird.

Können mit Astrazeneca-Geimpfte andere Covid-19-Impfstoffen nicht mehr nutzen?

Aktuell gibt es eine Knappheit an Impfstoffen, weshalb Berlin die Wahlfreiheit für Unter-65-Jährige bei den Impfstoffen abgeschafft hat. Allerdings ist es durchaus denkbar, dass zu einem späteren Zeitpunkt Astrazeneca-Geimpfte noch einmal mit einem Impfstoff von Biontech-Pfizer oder von Moderna geimpft werden. Das zumindest befürworten aktuell einige Immunologen [tagesschau.de], auch weil es sein könnte, dass die mRNA-Impfstoffe besser gegen neue Varianten des Virus schützen.

Da der Wirkmechanismus ein anderer ist, gibt es auch wenig Grund zur Annahme, dass es dabei zu Komplikationen kommen könnte. Gleichwohl sollte man nicht während einer laufenden Immunisierungsphase den Impfstoff wechseln, also die erste Dosis mit Astrazeneca und die zweite Dosis mit zum Beispiel Biontech/Pfizer durchführen. Genau das hatte die britische Regierung Anfang des Jahres diskutiert und wurde dafür von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit deutlichen Worten kritisiert [nyt.com, Informationen in englischer Sprache].

Sendung: rbb Praxis, 17.02.2021, 20.15 Uhr

Beitrag von Oliver Noffke und Haluka Maier-Borst

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