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Video: Abendschau | 10.06.2021 | Studiogast Karsten Homrighausen | Quelle: dpa/C. Gateau

Jahresbilanz der Berliner Feuerwehr

"Corona war die größte Herausforderung seit Ende des 2. Weltkrieges"

Verkehrsunfälle, Brände, Rettungseinsätze – das kann die Berliner Feuerwehr. Pandemie mussten die Helfer aber erst lernen. Während die meisten Menschen im Corona-Jahr 2020 zu Hause blieben, rückte die Feuerwehr rund 470.000 Mal aus. Von Kerstin Breinig

Am 14. März 2020 passiert das, was eigentlich nicht passieren sollte. Eine komplette Wachabteilung der Feuerwache Marzahn muss in Quarantäne. Ein Kollege hatte sich mit Corona infiziert. Die Wache muss kurzzeitig schließen. Freiwillige Feuerwehr und andere Abteilungen müssen auffüllen.

Die Personaldecke ist seit Jahren dünn. Heißt: Größere Ausfälle kann sich die Feuerwehr eigentlich nicht leisten. Einsatzfähig muss sie bleiben, obwohl die Feuerwehr im Zweifel ganz nah dran ist am Virus, an den Erkrankten. Denn Anfang 2020 weiß noch niemand, wie gefährlich und vor allem wie ansteckend das Coronavirus ist. "Für uns war die Pandemie die größte Herausforderung seit Ende des zweiten Weltkrieges. Jahrelang geübte Praxis musste binnen kürzester Zeit umgeplant und coronakonform angepasst werden", sagt der Berliner Landesbranddirektor Karsten Homrighausen.

4.208 transportierte Covid-Erkrankte - 10.000 Verdachtsfälle

Bedeutet in der Praxis: Die Wachablösungen finden draußen statt. Masken gehören zur Standardausrüstung, wenn es welche gibt. Wie viele größere Behörden hat auch die Feuerwehr anfangs Mühe, Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel zu organisieren. Bei jedem Einsatz besteht zudem die Gefahr, mit Corona in Kontakt zu kommen.

Die Angst fährt also zwangsläufig mit – ab März 2020. Bis zum Ende des Jahres 2020 transportiert die Feuerwehr 4.208 Covid-Erkrankte in ihren Rettungswagen, dazu 1.337 Menschen, bei denen eine Infektion sehr wahrscheinlich war und knapp 10.000 Corona-Verdachtsfälle.

INFOBOX

Neues Einsatzstichwort: "ARE"

Auch in der Notrufzentrale darf Corona nicht ausbrechen. Größere Ausfälle beim Leitstellenpersonal hätten unmittelbare Folgen für den Notruf 112, berichtet der Landesbranddirektor. Also auch dort: Plexiglas, Masken, feste Teams, das Betreten der Notrufzentrale für alle anderen verboten.

Ein neues Einsatzstichwort bestimmt immer mehr den Alltag: "ARE". Es steht für "Akute Respiratorische Erkrankung" – also Covid-Symptome. Erhöhte Vorsicht bedeutet das für Notärztinnen und Sanitäter, erhöhten Aufwand für die Leitstelle.

Gerade zu Beginn der Pandemie arbeiten die Einsatzkräfte unter Druck. Die Zahl der Notrufe steigt auf 3.500 täglich. Vorher waren es durchschnittlich 1.000 weniger. Auf der anderen Seite dauern die Einsätze länger. Nicht jedes Krankenhaus nimmt Covid-Patienten auf, die Rettungswagen müssen aufwändig desinfiziert, Schutzkleidung angezogen und nach dem Einsatz gewechselt werden.

Von 85 Bewohnern 28 positiv getestet

Die Planung der Einsätze wurde komplexer, die Einsätze selbst belastender, wie Landesbranddirektor Homrighausen berichtet. Mehrfach sei die Feuerwehr über Stunden beschäftigt, wenn Altersheime von Corona "überrollt" werden. Zum Beispiel in Berlin-Fennpfuhl: Vier Mal wird die Feuerwehr Ende April zur selben Einsatzadresse alarmiert – in eine Einrichtung für betreutes Wohnen. Von 85 Bewohnerinnen und Bewohnern waren 28 positiv auf Covid-19 getestet worden. Das Haus muss komplett evakuiert werden. Eine logistische Herausforderung - und es war nicht die einzige.

Ohne Freiwillige geht es nicht

Um Pandemie und Alltagseinsätze stemmen zu können, braucht die Feuerwehr selbst Hilfe. Die Auszubildenden, deren Schule geschlossen wird, helfen aus. Und: Die Freiwillige Feuerwehr besetzt in der ganzen Stadt Löschfahrzeuge. Was sonst nur im Ausnahmezustand vorgesehen ist, wird 2020 zum Regelfall.

Die Ehrenamtler springen ein, wo sie gebraucht werden, um zur Entlastung der angespannten Situation beizutragen. Das müssen sie auch. Der normale Feuerwehralltag wäre ohne sie in diesem Jahr nicht zu leisten gewesen, stellt der Landesbranddirektor fest. Gemeinsam löschen sie Brände, helfen bei Verkehrsunfällen, retten Menschenleben. Denn immer wieder fallen Einsatzkräfte aus.

Mehr als 200 Feuerwehrkräfte infizierten sich 2020 mit Corona

1.321 Feuerwehrangehörige müssen nach Angaben der Behörde in Quarantäne, mehr als 200 infizieren sich in diesem Jahr mit Corona – an einem Tag sind es 48 in der Spitze. Trotzdem bewältigt die Feuerwehr mehr als 470.000 Einsätze in diesem Jahr, von denen einer vielen im Gedächtnis bleibt:

Am 18. August rast ein Amokfahrer über die A100, verletzt gezielt Motorradfahrer. Als er gestellt wird, droht er mit einer Bombe. Später wird klar, dass es ein Terroranschlag war. Eines der Opfer, das die Feuerwehrkräfte in dieser Nacht versorgen müssen, ist ein Kollege. Er war gerade auf dem Weg nach Hause – nach einer Schicht in der Leitstelle. Er ist bis heute nicht arbeitsfähig.

"2020 hat uns viel Kraft gekostet", sagt Landesbranddirektor Homrighausen. Aber die Feuerwehr habe auch viele Schritte in die Zukunft machen können. Drohnen, Elektrofahrzeuge, Neubauprojekte seien auf den Weg gebracht worden. Und: Das Corona-Silvester war für die Berliner Feuerwehr so ruhig wie lange nicht mehr. 862 Einsätze wurden es in jener Nacht – 661 weniger als beim Jahreswechsel 2019/2020. Eine Nacht zum Durchschnaufen in diesem Pandemie-Jahr.

Sendung: Inforadio, 10.06.2021, 12:00 Uhr

Beitrag von Kerstin Breinig

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