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Quelle: Tierheim Berlin

Tierheim Berlin

Warum Welpen nicht unter den Weihnachtsbaum gehören

Die Corona-Pandemie hat für einen regelrechten Hunde-Boom gesorgt, den auch das Tierheim Berlin noch immer deutlich zu spüren bekommt. Ob überforderte Besitzer oder illegaler Welpenhandel – das Tierleid ist gewachsen. Von Jana Herrmann

Als Kiwi im Tierheim Berlin landete, war die Zwergspitz-Hündin todkrank. Ihre bisherigen Besitzer hatten sich während der Corona-Pandemie einen Hund anschaffen wollen, wie so viele andere Menschen auch – als Mittel gegen die Einsamkeit, die Langeweile oder schlichtweg um einen Grund zu haben, das Haus zu verlassen. 1.500 Euro legte die Familie bei einem polnischen Welpenhändler für die kleine Hündin mit dem wuscheligen braunen Fell hin. Doch schon am ersten Tag im neuen Zuhause der Schock: Kiwi war plötzlich apathisch und matt, konnte sich nicht mehr auf den Pfoten halten.

Ein Phänomen, das Annette Rost, Sprecherin des Tierschutzvereins Berlin, nur zu gut kennt: "Nicht selten bekommen die Welpen verschiedene Aufbaupräparate und Adrenalin gespritzt, damit sie bei der Übergabe agil und fröhlich sind." Wenn die Wirkung der Spritze dann nach wenigen Stunden nachlässt, kommt jedoch oft das böse Erwachen. Das erging auch der Familie von Kiwi so. Der nächste Schreck folgte dann in der Tierklinik: Noch einmal etwa 1.000 Euro für die Behandlung fielen dort an, weitere Tierarztkosten drohten. Die Familie entschloss sich daraufhin, die Hündin im Tierheim abzugeben. Kein Einzelschicksal.

Kampf gegen illegalen Welpenhandel

Etwa 120 Welpen musste das Berliner Tierheim seit Januar 2021 aufnehmen. Inzwischen sind diese Tiere zwar alle vermittelt - sofern sie überlebt haben - doch das Problem des illegalen Welpenhandels besteht weiterhin. Gemeinsam mit anderen Tierschutzvereinen hat das Tierheim daher eine bundesweite Kampagne gegen den illegalen Handel [welpenhandel-stoppen.de] ins Leben gerufen. Deren Ziel ist es die öffentliche Wahrnehmung zu schärfen, Interessenten zu mehr Verantwortung beim Kauf ihrer Haustiere zu bewegen und nicht zuletzt auch die Politik zum Handeln aufzufordern.

Gerade während der letzten eineinhalb Jahre, in Zeiten von Homeoffice und Kontakteinschränkungen, sind viele Menschen auf den Hund gekommen. Auch Rost bestätigt: "Die Nachfrage ist unheimlich gestiegen. Weil Interessenten nicht mehr aus seriösen Quellen versorgt werden können, fallen sie umso schneller auf illegale Händler im Internet herein. Zumal diese inzwischen oft viel professioneller geworden sind, die Welpen nicht mehr aus dem Kofferraum verkaufen, sondern auch mal extra Wohnungen anmieten." Auch die Preise unterschieden sich kaum noch, die Hunde würden nicht mehr unbedingt günstiger angeboten als beim seriösen Züchter.

Und noch ein anderer Aspekt ließe sich laut der Sprecherin des Tierheims beobachten: "Vor der Corona-Pandemie war illegaler Welpenhandel vor allem ein Unterschichten-Problem, jetzt ist dieses aber auch in Akademiker-Haushalte eingezogen. Das empfinde ich sehr kritisch, weil es ausschließlich um die eigene Bedürfniserfüllung geht. Auch Menschen mit einem hohen Bildungsgrad - von denen man also annehmen würde, sie wüssten es besser - sehen über Tierleid hinweg, weil sie längere Wartezeiten auf einen Hund nicht akzeptieren wollen. Das ist eine absolut egoistische Entscheidung."

Seit Beginn des Jahres sind überdurchschnittllich viele Welpen im Tierheim Berlin abgegeben worden - viele von ihnen schwer krank. Auch das Leben von Zwergspitz Kiwi stand lange auf der Kippe. | Quelle: Tierheim Berlin

Furcht vor dem Weihnachtsfest

Auch dem Dezember blicke man im Tierheim mit eher gemischten Gefühlen entgegen. Nach dem großen Hunde-Boom im Frühjahr, sei die Nachfrage angesichts der Lockerungen im Sommer zwar wieder gesunken, doch nun steigen die Zahlen rasant an, erneute Einschränkungen sind die Folge. "Ich hab schon Angst vor Weihnachten, weil viele sicher auf die Idee kommen, dass Corona nun länger dauert als alle erwarteten - und dann soll doch der Welpe unterm Weihnachtsbaum sitzen", sagt Annette Rost. Anders als in den Jahren zuvor, plane man 2021 jedoch keinen symbolischen Vermittlungsstopp vor Weihnachten.

Denn die Corona-Pandemie hat für das größte europäische Tierheim tatsächlich auch etwas Gutes mit sich gebracht: Aufgrund der Hygienebestimmungen, musste die Tiervermittlung komplett umgestellt werden. Konnten Besucher vorher während der Öffnungszeiten einfach vorbeischauen, muss nun ein individueller Termin mit einem der Tierpfleger vereinbart werden. Das Tierheim öffnet seine Pforten nur noch zweimal die Woche, für die Beratungstage am Freitag und Samstag mit jeweils maximal 300 Gästen. Und auch dann bleiben die Hundehäuser geschlossen – wer ein Tier mit nach Hause nehmen möchte, braucht einen separaten Termin.

"Die Hunde genießen die Ruhe sehr", berichtet Annette Rost. Deswegen hat man sich im Tierheim Berlin bereits jetzt dafür entschlossen, vorerst bei diesem Modus zu bleiben. "Wir werden die Terminvergabe beibehalten, zum Wohl der Tiere. Durch Corona waren wir gezwungen, neue Wege zu gehen. Davon profitieren jetzt die Tiere und bei der Vermittlung auch die Interessenten und Pfleger, weil viel mehr Zeit da ist. Das hätten wir uns aber vorher so nie getraut, weil wir eigentlich ein sehr offenes Haus sind", schildert Rost.

Im Tierheim Berlin warten noch immer viele Vierbeiner auf ein verantwortungsbewusstes neues Zuhause. | Quelle: Tierheim Berlin

Vorher gut informieren

Wer sich ein Tier anschaffen möchte, sollte sich schon vorher schlau machen. Wichtige Fragen sind unter anderem: Passt ein Tier grundsätzlich in mein Leben? Sind alle Familienmitglieder einverstanden? Kann ich die Kosten dauerhaft tragen? Was passiert, wenn ich nicht mehr im Homeoffice arbeiten kann? Wichtig sei es außerdem, die passende Rasse zu finden, gibt Annette Rost zu bedenken. "Bei uns wurden unter anderem mehrere Belgische Schäferhunde abgegeben, weil ihre Familien mit ihnen komplett überfordert waren. Das ist eine Rasse, die körperlich und mental extrem gut ausgelastet werden muss. Passiert das nicht, denkt sich der Hund eigene Sachen aus – und die gefallen meist dem Besitzer nicht", gibt die Tierheim-Sprecherin ein Beispiel.

Aktuell ist das Tierheim noch immer überdurchschnittlich gut gefüllt. Während normalerweise etwa 1.300 Tiere auf dem großen Areal am nordöstlichen Stadtrand untergebracht sind, waren es in den letzten Wochen zwischenzeitlich bis zu knapp 1.500. Auch deswegen betont Annette Rost: "Wir freuen uns über jeden, der sich verantwortungsbewusst damit auseinandersetzen will, sich ein Tier anzuschaffen. Das begleiten wir auch und beraten gerne."

Kaninchenflut im Sommer

Schuld an den hohen Zahlen ist auch die Kaninchenflut, die seit den Sommermonaten kaum abgeebbt ist. "Kleintiere werden in großer Anzahl ausgesetzt. Wir bekommen mehr ausgesetzte Tiere als Abgaben, ein erschreckender Trend", berichtet die Sprecherin des Tierheims. Ihre Vermutung: Die Tiere werden häufig angeschafft, um Kindern in diesen schweren Zeiten eine Freude zu bereiten.

Dass Kaninchen und Meerschweinchen aber gar nicht unbedingt für Kinder geeignet sind und eigentlich meist sehr ungern kuscheln, wissen nicht alle Eltern. Oft könne man Kleintiere zudem einfach im Baumarkt oder beim Tierfachbedarf erwerben, ohne beim Kauf ausreichend Beratung zu erhalten. Neu sei seit der Corona-Pandemie daher auch der Aspekt, dass viele junge Tiere im Tierheim landen. "Außerdem erleben wir Menschen, die in einer psychischen Verfassung sind, in der sie einem Tier gar nicht gerecht werden können, weil sie völlig neben der Spur sind. Corona fordert von uns allen Tribut", so Annette Rost.

Kiwi ist jetzt Königin

Kiwi hat es tatsächlich geschafft, dank dem Einsatz der Tierpfleger und Tierärzte. Die kleine Hündin – die übrigens ihren Namen bekommen hat, weil ihr Bäuchlein von oben so aussah wie eine Kiwi und ihr Fell ähnlich abstehend war, wie die Haare auf deren Schale – ist wieder gesund geworden und fühlt sich inzwischen wie eine ganz Große. "Als sie genesen war, hat sie ein unheimliches Selbstbewusstsein entwickelt und ist bei uns über das Tierheim-Gelände spaziert, als ob es ihr gehört", erinnert sich Annette Rost. Mittlerweile konnte die kleine Hündin sogar vermittelt werden und lebt nun bei einer Unfallchirurgin mit drei weiteren Hundekumpels auf dem Land. Ein Happy End, dass leider nicht allen Tieren vergönnt ist.

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Beitrag von Jana Herrmann

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