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Video: rbb24 Abendschau | 27.07.2022 | Quelle: dpa/Frederic Kern

Notfallplan aktiviert

Berlin findet kaum noch freie Plätze für Geflüchtete

In der Hauptstadt wird es immer schwieriger, für geflüchtete Menschen eine Unterkunft zu finden. Bereits Anfang Juli war die Lage angespannt. Nun aktiviert Berlin Stufe 1 seines Notfallplans und prüft auch den Aufbau weiterer Zelte zur Unterbringung.

Die Behörden in Berlin stehen vor immer größeren Problemen bei der Unterbringung von Geflüchteten. Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) sagte am Mittwoch, dass sich die ohnehin schon angespannte Situation zuletzt dramatisch zugespitzt habe. Man werde nun Stufe 1 eines Notfallplans in Kraft setzen.

Geplant sei demnach unter anderem, ein großes Zelt mit rund 900 Schlafplätzen zu öffnen, das bislang noch als Reserve auf dem Gelände des Ukraine-Ankunftszentrums in Tegel steht. Außerdem solle die Anmietung von Übernachtungsplätzen in Hostels geprüft werden, ebenso die Aufstellung von weiteren Zelten in der Stadt.

"Die letzten Schritte der Einrichtung brauchen eine Vorlaufzeit von 24 Stunden. Wir waren immer sehr froh, dass man diese Option hat. Gleichwohl, es ist nicht der Unterbringungsplatz, den wir gerne hätten", räumte Kipping ein.

Gemeinschaftsunterkünfte fast vollständig belegt

Wie das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten zuletzt mitteilte, kamen neben Geflüchteten aus der Ukraine zuletzt auch rund 1.000 Asylsuchende aus weiteren Ländern im Monat nach Berlin. Aktuell seien noch 326 freie Plätze in Gemeinschaftsunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen frei. Dann sei die Gesamtkapazität von 24.500 Plätzen ausgeschöpft.

In den vergangenen zehn Arbeitstagen haben sich laut Kipping 712 Asylsuchende im Ankunftszentrum in Reinickendorf gemeldet, 215 von ihnen seien in andere Bundesländer gegangen, 495 in Berlin geblieben. Das sind mehr als der Anteil von 5,2 Prozent, den das bundesweite Verteilsystem "Easy" ("Erstverteilung Asylbegehrende") nach dem "Königsteiner Schlüssel" für Berlin vorsieht.

Tendenz bei Zuzügen Geflüchteter steigend

Bereits Anfang Juli hatte Sozialsenatorin Kipping im Hinblick auf die Unterbringung von Geflüchteten Alarm geschlagen. Zum damaligen Zeitpunkt erklärte Kipping, dass nur noch 850 freie Plätze zur Unterbringung in Berlin verfügbar seien.

Inzwischen habe man zwar ein Containerdorf am ehemaligen Flughafen Tempelhof reaktiviert und 330 Plätze geschaffen. Am 1. August solle zudem eine neue Unterkunft in Lichtenberg mit 385 weiteren Plätzen öffnen. Das würde aber nicht reichen, zumal die Tendenz bei den Zuzügen geflüchteter Menschen ohnehin wieder steigend sei.

Als möglichen nächsten Schritt für den Fall, dass sich die Situation nicht bessert, stellte Kipping als Stufe 2 des Notfallplans die Feststellung einer "Gefahrenlage" in Aussicht. Dann könne die Akquise bezugsfertiger Unterkünfte schneller gehen, auch werde dann die Anmietung von Hostels oder Hotels geprüft.

Flüchtlingsrat fordert Anmietung von Wohnungen

Der Berliner Flüchtlingsrat hat den von Kipping in Kraft gesetzten Notfallplan hingegen kritisiert. Zelte seien für die Beherbergung schutzsuchender Menschen ungeeignet, erklärte die Sprecherin des Flüchtlingsrat, Almaz Haile, am Donnerstag. Sie forderte, stattdessen Ferienwohnungen und Businessappartements für Geflüchtete anzumieten. Zudem müsse der Senat alle freien und freiwerdenden Wohnungen der städtischen Gesellschaften an Menschen aus Sammelunterkünften vergeben. Geflüchtete müssten einen Wohnberechtigungsschein (WBS) erhalten.

"Einen Tiefpunkt bei der Aufnahme Asylsuchender erreichte Berlin mit der Nutzung der Hangars des stillgelegten Flughafen Tempelhof als Unterkunft für neu ankommende Geflüchtete in den Jahren 2016 bis 2018", erklärte Haile weiter. "Dass dem Senat jetzt wieder nichts besseres einfällt, als Menschen auf ehemaligen Flughäfen und in Zelten unterzubringen, ist mehr als enttäuschend."

Kipping fordert Bundesländer auf, weitere Geflüchtete aufzunehmen

Die Lage hat sich laut Kipping aus zwei Gründen zuletzt zugespitzt. Viele Privatpersonen, die zunächst geholfen und Wohnraum bereitgestellt hätten, kämen nun an Belastungsgrenzen.

Darüber hinaus müsse Berlin derzeit mehr Asylbewerber aufnehmen, weil "fast alle anderen Bundesländer" aus dem bundesweiten Verteilsystem "Easy" ausgestiegen seien. Die Länder seien bereits durch die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine überlastet. Insofern gebe es nun "faktisch einen Aufnahmestopp für Menschen, die Erstanträge auf Asyl stellen". Das müsse Berlin nun "abfedern". Allein im Juli seien über 450 zusätzlich unterzubringende Geflüchtete gezählt worden, so die Sozialverwaltung.

Kipping forderte am Mittwoch die anderen Bundesländer auf, zum Verteilsystem nach dem sogenannten "Königsteiner Schlüssel" zurückzukehren. Nach diesem System werden Asylbewerber entsprechend der Einwohnerzahl auf die Länder verteilt, Berlins Anteil liegt bei gut fünf Prozent. "Wir müssen hier zu politischen Lösungen kommen", so Kipping. Gerade jetzt seien Solidarität und Mitgefühl gefragt. Bayern und Hamburg hätten sich Stand Mittwoch wieder angemeldet, auch Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz machten beim Verteilsystem aktuell mit.

FDP: Kipping hätte schneller handeln müssen

Berlin habe seit Jahresbeginn 2.400 zusätzliche Unterkunftsplätze geschaffen. Das Akquise-Team habe über 50 Objekte im Detail geprüft und bei mehreren auch große Fortschritte gemacht, es seien Bestandsgebäude und modulare Unterkünfte reaktiviert worden. "Aber bis so ein Objekt an den Start gehen kann, sind nicht nur harte Verhandlungen zu führen, weil wir als Land Berlin wirtschaften müssen. Sondern es sind auch die verschiedensten Genehmigungen einzuholen."

Tobias Bauschke, sozialpolitischer Sprecher der oppositionellen FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, sagte allerdings, Kipping hätte schneller vorankommen müssen: "Das Verhalten von Katja Kipping zeigt, dass sie eigentlich das letzte halbe Jahr wenig getan hat. Wir hatten im Januar mal den Tiefstand, was die freien Plätze angeht. Man hätte ein halbes Jahr Zeit gehabt, Möglichkeiten zu schaffen."

mit Informationen von Kirsten Buchmann

Sendung: rbb24 Abendschau, 27.07.2022, 19:30 Uhr

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