Notfallplan aktiviert - Berlin findet kaum noch freie Plätze für Geflüchtete

Do 28.07.22 | 15:00 Uhr
  9
Bis zu 900 Schlafplätze sollen in diesem Zelt in Tegel geschaffen werden.
Video: rbb24 Abendschau | 27.07.2022 | Bild: dpa/Frederic Kern

In der Hauptstadt wird es immer schwieriger, für geflüchtete Menschen eine Unterkunft zu finden. Bereits Anfang Juli war die Lage angespannt. Nun aktiviert Berlin Stufe 1 seines Notfallplans und prüft auch den Aufbau weiterer Zelte zur Unterbringung.

Die Behörden in Berlin stehen vor immer größeren Problemen bei der Unterbringung von Geflüchteten. Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) sagte am Mittwoch, dass sich die ohnehin schon angespannte Situation zuletzt dramatisch zugespitzt habe. Man werde nun Stufe 1 eines Notfallplans in Kraft setzen.

Geplant sei demnach unter anderem, ein großes Zelt mit rund 900 Schlafplätzen zu öffnen, das bislang noch als Reserve auf dem Gelände des Ukraine-Ankunftszentrums in Tegel steht. Außerdem solle die Anmietung von Übernachtungsplätzen in Hostels geprüft werden, ebenso die Aufstellung von weiteren Zelten in der Stadt.

"Die letzten Schritte der Einrichtung brauchen eine Vorlaufzeit von 24 Stunden. Wir waren immer sehr froh, dass man diese Option hat. Gleichwohl, es ist nicht der Unterbringungsplatz, den wir gerne hätten", räumte Kipping ein.

Gemeinschaftsunterkünfte fast vollständig belegt

Wie das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten zuletzt mitteilte, kamen neben Geflüchteten aus der Ukraine zuletzt auch rund 1.000 Asylsuchende aus weiteren Ländern im Monat nach Berlin. Aktuell seien noch 326 freie Plätze in Gemeinschaftsunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen frei. Dann sei die Gesamtkapazität von 24.500 Plätzen ausgeschöpft.

In den vergangenen zehn Arbeitstagen haben sich laut Kipping 712 Asylsuchende im Ankunftszentrum in Reinickendorf gemeldet, 215 von ihnen seien in andere Bundesländer gegangen, 495 in Berlin geblieben. Das sind mehr als der Anteil von 5,2 Prozent, den das bundesweite Verteilsystem "Easy" ("Erstverteilung Asylbegehrende") nach dem "Königsteiner Schlüssel" für Berlin vorsieht.

Tendenz bei Zuzügen Geflüchteter steigend

Bereits Anfang Juli hatte Sozialsenatorin Kipping im Hinblick auf die Unterbringung von Geflüchteten Alarm geschlagen. Zum damaligen Zeitpunkt erklärte Kipping, dass nur noch 850 freie Plätze zur Unterbringung in Berlin verfügbar seien.

Inzwischen habe man zwar ein Containerdorf am ehemaligen Flughafen Tempelhof reaktiviert und 330 Plätze geschaffen. Am 1. August solle zudem eine neue Unterkunft in Lichtenberg mit 385 weiteren Plätzen öffnen. Das würde aber nicht reichen, zumal die Tendenz bei den Zuzügen geflüchteter Menschen ohnehin wieder steigend sei.

Als möglichen nächsten Schritt für den Fall, dass sich die Situation nicht bessert, stellte Kipping als Stufe 2 des Notfallplans die Feststellung einer "Gefahrenlage" in Aussicht. Dann könne die Akquise bezugsfertiger Unterkünfte schneller gehen, auch werde dann die Anmietung von Hostels oder Hotels geprüft.

Flüchtlingsrat fordert Anmietung von Wohnungen

Der Berliner Flüchtlingsrat hat den von Kipping in Kraft gesetzten Notfallplan hingegen kritisiert. Zelte seien für die Beherbergung schutzsuchender Menschen ungeeignet, erklärte die Sprecherin des Flüchtlingsrat, Almaz Haile, am Donnerstag. Sie forderte, stattdessen Ferienwohnungen und Businessappartements für Geflüchtete anzumieten. Zudem müsse der Senat alle freien und freiwerdenden Wohnungen der städtischen Gesellschaften an Menschen aus Sammelunterkünften vergeben. Geflüchtete müssten einen Wohnberechtigungsschein (WBS) erhalten.

"Einen Tiefpunkt bei der Aufnahme Asylsuchender erreichte Berlin mit der Nutzung der Hangars des stillgelegten Flughafen Tempelhof als Unterkunft für neu ankommende Geflüchtete in den Jahren 2016 bis 2018", erklärte Haile weiter. "Dass dem Senat jetzt wieder nichts besseres einfällt, als Menschen auf ehemaligen Flughäfen und in Zelten unterzubringen, ist mehr als enttäuschend."

Kipping fordert Bundesländer auf, weitere Geflüchtete aufzunehmen

Die Lage hat sich laut Kipping aus zwei Gründen zuletzt zugespitzt. Viele Privatpersonen, die zunächst geholfen und Wohnraum bereitgestellt hätten, kämen nun an Belastungsgrenzen.

Darüber hinaus müsse Berlin derzeit mehr Asylbewerber aufnehmen, weil "fast alle anderen Bundesländer" aus dem bundesweiten Verteilsystem "Easy" ausgestiegen seien. Die Länder seien bereits durch die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine überlastet. Insofern gebe es nun "faktisch einen Aufnahmestopp für Menschen, die Erstanträge auf Asyl stellen". Das müsse Berlin nun "abfedern". Allein im Juli seien über 450 zusätzlich unterzubringende Geflüchtete gezählt worden, so die Sozialverwaltung.

Kipping forderte am Mittwoch die anderen Bundesländer auf, zum Verteilsystem nach dem sogenannten "Königsteiner Schlüssel" zurückzukehren. Nach diesem System werden Asylbewerber entsprechend der Einwohnerzahl auf die Länder verteilt, Berlins Anteil liegt bei gut fünf Prozent. "Wir müssen hier zu politischen Lösungen kommen", so Kipping. Gerade jetzt seien Solidarität und Mitgefühl gefragt. Bayern und Hamburg hätten sich Stand Mittwoch wieder angemeldet, auch Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz machten beim Verteilsystem aktuell mit.

FDP: Kipping hätte schneller handeln müssen

Berlin habe seit Jahresbeginn 2.400 zusätzliche Unterkunftsplätze geschaffen. Das Akquise-Team habe über 50 Objekte im Detail geprüft und bei mehreren auch große Fortschritte gemacht, es seien Bestandsgebäude und modulare Unterkünfte reaktiviert worden. "Aber bis so ein Objekt an den Start gehen kann, sind nicht nur harte Verhandlungen zu führen, weil wir als Land Berlin wirtschaften müssen. Sondern es sind auch die verschiedensten Genehmigungen einzuholen."

Tobias Bauschke, sozialpolitischer Sprecher der oppositionellen FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, sagte allerdings, Kipping hätte schneller vorankommen müssen: "Das Verhalten von Katja Kipping zeigt, dass sie eigentlich das letzte halbe Jahr wenig getan hat. Wir hatten im Januar mal den Tiefstand, was die freien Plätze angeht. Man hätte ein halbes Jahr Zeit gehabt, Möglichkeiten zu schaffen."

mit Informationen von Kirsten Buchmann

Sendung: rbb24 Abendschau, 27.07.2022, 19:30 Uhr

Die Kommentarfunktion wurde am 27.07.2022 um 12:31 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

9 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 9.

    warum muss es Berlin sein? anderswo werden Häuser abgerissen, Schulen geschlossen, Verwaltungsmitarbeiterstellen nicht mehr besetzt. PC falsch übersetzt.
    Das Chaos nutzt nur den Feinden der Demokratie. Selbsthilfe ist nicht erwünscht gar verboten.
    Dank der Deutschen Bürokratie!

  2. 8.

    Da es sich bei den Geflüchteten aus der Ukraine vorwiegend um Frauen mit ihren Nachwuchs handelt, wäre für diese Gruppe der beste Weg, nicht einfach eine Umferteilung einzufordern, sondern andere Bundesländer zu bitten, den Frauen mit Kindern eine Infrastruktur (Kitas, Schulen, Wohnungen) anzubieten.
    In Tschechien haben sich die geflüchteten Familien auch vorwiegend in Prag und Umgebung aufhalten wollen, es wurde eben nicht zwanghaft umverteilt, sondern Anreize angeboten, und das Problem hat sich auf diesen Wege gelöst.

  3. 7.

    Ich habe den Eindruck, die Solidarität schwindet. Da muss der rbb wohl nachlegen mit negativen Berichten.

  4. 6.

    Privathaushalte, die Ukrainer aufgenommen haben, wollen Geld vom Staat? Hoffentlich wird beachtet, dass Gelder für die Unterbringung steuerpflichtig sind.

    Einnahmen aus Vermietung

  5. 5.

    Wenn es für Berlin zu viele Geflüchtete werden, dann muss man dafür sorgen, dass etliche in andere Städte fahren. Wenn man VERNÜNFTIG mit den Menschen redet, geht sehr viel. Berlin ist so schon nicht mehr in der Lage, seinen Aufgaben gegenüber den Bürgern voll nachzukommen (Zustand an den Bürgerämtern z.B. ,Rettungsdienste usw). Aber das ist wohl nicht so attraktiv für die Politik Machenden. Political Korrectness kann auch nach hinten losgehen.

  6. 4.

    Hilfe für Geflüchtete ist gut und schön. Solange der Flüchtling aber bestimmt wo er leben will, wird es immer wieder zu solchen Situationen kommen. Es können nun mal nicht alle in die Großstädte.

  7. 3.

    Tja und in Brandenburg lässt man die Privathaushalte, die Geflüchtete aufgenommen haben, hängen. 4 Monate ohne Unterstützung, Arbeitserlaubnis oder sonst irgendwas - und kein Ende in Aussicht. Nur bei den Rechnungen sind sie schnell…

  8. 2.

    Wieso erkennt dieser Senat nicht, dass jetzt schon nichts mehr geht in dieser Stadt.
    Nicht mehr lange und wir sind ein einziges Armen Haus.
    Damit ist auch niemand geholfen.

  9. 1.

    Es sind Ferien, die Schulen und die meisten
    Sporthallen stehen noch 4 Wochen leer.
    Das SEZ befindet sich wieder in
    Landesbesitz, das ICC, diverse ex-
    Verwaltungsgebäude, Bundeswohnungen
    und Fremd-Arbeiter-Heime steht Alles
    leer.
    Einfach mal anfangen ?
    Kein Personal,
    kein Geld,
    kein Politiker- Wille.
    Hört Auf Zu Jammern.

Nächster Artikel