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Quelle: dpa/Jens Kalaene

Genossenschaftlicher Wohnungsbau

Wenn 99 Jahre nicht genug sind

Die Nachfrage nach Genossenschaftswohnungen ist riesig. Für Neubauten fehlen den Genossenschaften in Berlin aber Grundstücke. Die hat ihnen das Land zwar jetzt zugesagt – allerdings hat die Sache einen Haken. Von Thorsten Gabriel

Die "Erste Wohnungsgenossenschaft Berlin-Pankow e.G." gehört zu den traditionsreichen Genossenschaften in Berlin. Vor fast 70 Jahren als Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft AWG in der DDR gegründet, firmiert die EWG Pankow seit 1992 unter ihrem heutigen Namen. Rund 3.600 Wohnungen gehören ihr im Berliner Norden – und gerade erst wurden es 40 mehr. In der Dolomitenstraße in Pankow zog die Genossenschaft in 23 Monaten Bauzeit ein neues Wohnhaus hoch. Gleich nebenan werden im Bestand Dachgeschosse aufgestockt.

Viele Genossenschaften haben Aufnahmestopps verhängt

Der Druck, mehr Wohnungen anzubieten, sei enorm, sagt Genossenschaftsvorstand Chris Zell. Er setzt die dreieinhalb tausend Wohnungen in Beziehung zu rund 4.500 Mitgliedern. Nicht alle Genossinnen und Genossen können derzeit mit Wohnraum versorgt werden. So geht es derzeit den meisten Wohnungsgenossenschaften in Berlin. Auch von Nicht-Mitgliedern ist die Nachfrage groß. Dabei gehören den Genossenschaften nur rund zehn Prozent des Wohnungsbestands in Berlin. Viele haben derzeit Aufnahmestopps verhängt.

"Es ist zunehmend so, dass Mietinteressenten gezielt nach Genossenschaftswohnungen suchen und nicht bei den Privaten", sagt Zell, der auch im Verband der Berliner Genossenschaften aktiv ist. "Das spüren wir auch – aber wir können nur das anbieten, was wir haben." Zwar können auch die Genossenschaften angesichts der Lage auf dem Bau nicht mehr preisgünstig bauen, trotzdem gelten sie weiter als "die Guten", bei denen man unbefristet sicher wohnt.

Am ehemaligen Flughafen Tegel soll ein Vorzeigeprojekt entstehen

Das gilt nicht nur für alteingesessene Genossenschaften wie die EWG Pankow. Auch junge, erst vor wenigen Jahren gegründete Genossenschaften würden ihren Bestand gern erweitern. Aber Andreas Barz, der Sprecher des Bündnisses Junge Genossenschaften, spricht eine Binsenweisheit aus, wenn er sagt: "Ohne Grundstücke geht’s nicht." Gleichzeitig hätten die Erfahrungen auf dem freien Markt in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sich Genossenschaften dort nicht mit Grund und Boden versorgen können, "weil wir die exorbitant hohen Baulandpreise nicht bezahlen können."

Auf den Senat waren alte wie neue Genossenschaften lange Zeit nicht gut zu sprechen. Zwar hatte auch die vorherige rot-rot-grüne Landesregierungen den Genossenschaften günstige landeseigene Baugrundstücke versprochen. Doch oft war das Angebot an wirklich brauchbaren Flächen rar und die Förderprogramme waren so kompliziert gestrickt, dass manche Genossenschaft daran zu scheitern drohte.

"Die Erfahrungen sind desaströs in den letzten Jahren", sagt Barz. "Wir hoffen, dass das jetzt mit dem Kurt-Schumacher-Quartier besser läuft." Denn dort, am ehemaligen Flughafen Tegel, soll in mehrfacher Hinsicht ein Vorzeigeprojekt entstehen – unter anderem auch, weil den Genossenschaften 25 Prozent der Fläche angeboten werden. So soll es künftig bei jedem Stadtquartier sein. Darauf haben sich Senat und Genossenschaften beim Wohnungsbündnis der Regierenden Bürgermeisterin verständigt.

Die Sorge der Genossenschaften vor dem "Heimfall"

Allerdings hat die Sache aus Perspektive der Genossenschaften einen Haken: Berlin verkauft seine Grundstücke im Regelfall nicht mehr, sondern vergibt sie nur noch per Erbbaupacht. Das ist zwar billiger als ein Kauf, Genossenschaftsvorstand Zell gibt aber zu bedenken, dass ein Erbbauzins "auch nicht billig" sei. Wenn der Erbbauzins im Laufe der Jahre steige, müsse das auch finanziert werden – und würde sich letztlich auch durch steigende Mieten bemerkbar machen. Außerdem könne eigenes Bauland bei der Finanzierung von Bauvorhaben von Vorteil sein, "was die Beleihungswerte anbelangt". Da sei man beim Erbbaurecht "schon ein bisschen eingeschränkt", resümiert Zell.

Dazu kommt, dass den Genossenschaften in Tegel bislang nur Erbbauverträge über 90 Jahre angeboten wurden. Üblich sind eigentlich 99. Wenig erquicklich finden die Genossenschaften auch das, was im Erbbaurecht unter dem Begriff "Heimfall" verstanden wird: Enthält der Vertrag keine Verlängerungsoption, fällt anschließend nicht nur das Grundstück zurück ans Land, sondern auch die darauf gebauten Immobilien.

Dafür müssen die Genossenschaften zwar eine Entschädigung erhalten, trotzdem widerspräche diese Befristung dem Genossenschaftsgedanken, geben alte wie junge Genossenschaften zu bedenken: Irgendwann würden Genossinnen und Genossen dann doch einen Eigentümerwechsel erleben, selbst wenn es nicht ein privater Investor, sondern "nur" das Land wäre.

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Der Senat zeigt sich kompromissbereit

Trotzdem haben sie mit dem Erbbaurecht mittlerweile Frieden geschlossen, hoffen allerdings darauf, möglichst gute Konditionen herausschlagen zu können. "Zumindest eine Verlängerung der Laufzeit, zum Beispiel um 30 Jahre nach 99 sollte es sein, so dass man wenigstens eine gewisse Sicherheit hat", sagt Chris Zell. Andreas Barz von den Jungen Genossenschaften legt sogar noch etwas drauf: "99 Jahre plus eine Verlängerungsoption von 99 Jahren ist das absolute Minimum."

Der Senat zeigt sich in Gestalt des Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel durchaus kompromissbereit. "Wir sind bereit über längere Laufzeiten zu reden", sagt der SPD-Politiker. Er verstehe außerdem, dass die Genossenschaften über die Vertragslaufzeit auch "eine gewisse Sicherheit über die Zinshöhe" haben wollten. Das müsse mit der Senatsfinanzverwaltung besprochen werden. "Aber ich glaube, wenn wir das im Grundsatz so machen, wissen die Genossenschaften, worauf sie sich einlassen. Wir wollen, dass sie bauen."

Am Schumacher-Quartier in Tegel wird sich in den kommenden Wochen zeigen, ob Senat und Genossenschaften zueinander finden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.09.2022, 07:00 Uhr

Beitrag von Thorsten Gabriel

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