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Video: rbb24 Abendschau | 24.09.2022 | Quelle: dpa/Annette Riedl

Parteitag der Berliner Linke

Die Wagenburg gegen Wagenknecht

Auf ihrem Parteitag wollen die Berliner Linken über die Bewältigung der Energiekrise diskutieren. Streit ist dabei kaum zu erwarten, man ist sich weitgehend einig - und im Senat auch erfolgreich. Trotzdem fürchtet die Partei vor allem: sich selbst. Von Sebastian Schöbel

Wer die Berliner Linken auf ihre 12 Prozent Stimmenanteil beim aktuellen BerlinTrend anspricht, bekommt eine bescheidene Antwort: Zum Glück sind es nicht weniger. Denn obwohl durch die Energiekrise gerade ur-linke Forderungen nach Staatshilfe, Preisregulierung und Vergesellschaftung großer Unternehmen in aller Munde sind, zum Teil sogar umgesetzt werden, profitiert die Linkspartei davon politisch derzeit kaum.

Darüber können auch Momente wie jüngst im Berliner Abgeordnetenhaus nicht hinwegtäuschen: Da forderte CDU-Chef Kai Wegner die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey von der SPD auf, im Bund "für einen echten Energiepreisdeckel" zu kämpfen. "Und einen Mietendeckel", schallte es Wegner aus den Reihen der Linken entgegen. Eine süffisante Erinnerung an die Zeit, als den Christdemokraten Forderungen nach staatlichen Eingriffen in den Markt noch nicht so leicht über die Lippen kamen. "Wir fühlen uns bestätigt", fasste Linken-Chefin Katina Schubert vor dem Parteitag die politische Debatte zusammen.

BerlinTrend

Mehr als drei Viertel der Berliner befürworten 29-Euro-Ticket

Lange wurde um das 29-Euro-Ticket in Berlin gestritten - dass es nun kommt, stößt bei den meisten Berlinern auf Zustimmung. Der aktuelle BerlinTrend zeigt zudem, dass die Menschen wegen der Energiekrise Konsumverhalten und Gewohnheiten ändern.

Stagnation bei 12 Prozent

Dass es in den Umfragen trotzdem nicht nach oben geht, schreiben die Berliner Linken vor allem ihrer Bundespartei zu – und ganz besonders der tief zerstrittenen Bundestagsfraktion. Das Lager um Sahra Wagenknecht hält weiterhin am pro-russischen Kurs fest, Wagenknecht unterstrich das zuletzt erst wieder in einer umstrittenen Rede im Bundestag. "Das bewegt alle Mitglieder der Partei", sagt Schubert.

Der Berliner Landesverband hatte sich früh klar positioniert und den russischen Angriffskrieg als solchen verurteilt. Doch Schubert verhehlt nicht, dass mit Putins Aggression vor allem für ältere Linke ein Weltbild zusammenbricht.

Dabei geht die Gefahr einer Spaltung der Linken längst nicht mehr nur vom pro-russischen Kurs prominenter Mitglieder aus. So berichtet Parteigeschäftsführer Sebastian Koch von einer Rundmail, die kürzlich an Funktionsträger der Partei verschickt wurde - mit dem Aufruf, eine neue linke Formation zu bilden. "Das ist für uns ein Problem", sagt Koch, auch wenn dieser spezielle Versuch, Unruhe zu stiften, wohl kaum Erfolg gehabt haben dürfte: Man habe die Mail zu einer Webseite der Querdenker-Szene zurückverfolgen können, so Koch. Gehostet wird sie auf einem Server, der in Russland steht.

Reihen schließen und Wagenknecht isolieren

Wie tief die Wagenknecht-Sympathie in der Berliner Linkspartei ist, vermag sie nicht zu sagen, so Schubert. Einen Parteiausschluss der ewig querschießenden Saarländerin sei aber auch "nicht das Mittel der Wahl". Schubert setzt stattdessen auf "inhaltliche Profilierung", bei der Wagenknecht und Co ins Abseits gedrängt würden. Die "guten" Linken, könnte man sagen, wollen die Reihen schließen - und die Spalter müssen draußen bleiben.

Trotzdem ist der Parteiführung sehr daran gelegen, dass Thema beim Parteitag möglichst zu umschiffen. Stattdessen soll es im Andel’s Hotel an der Landsberger Allee um das Kernthema der Linken gehen: die Bewältigung der Energiekrise. Man müsse zusehen, "alle über den Winter zu bekommen", sagt Schubert.

In seinem Leitantrag listet der Parteivorstand zahlreiche Forderungen auf. Die meisten richten sich an den Bund: Preisregulierung für Strom und Gas, Verbot von Wohnungskündigungen, Übergewinnsteuer für Konzerne, Fortführung des Neun-Euro-Tickets. Sozialhilfeempfänger und Studierende mit Bafög sollen mehr Geld bekommen, und jedem Haushalt mit kleinem oder mittlerem Einkommen soll ein Energiegeld in Höhe von 125 Euro plus 50 Euro pro Haushaltsmitglied ausgezahlt werden, und zwar monatlich. In Berlin will die Linke zudem die Gasag vergesellschaften.

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Das Entlastungspaket kommt an – aber nicht bei allen im Senat

Vom 29-Euro-Ticket bis zum Kündigungsmoratorium – den Berliner:innen gefällt, was der Senat in der Krise auf den Weg bringt. Die Zustimmung zu ihrer praktischen Politik kann die Koalition aber nicht in Wählerstimmen ummünzen. Mit einer Ausnahme. Von Jan Menzel

RGR-Koalition erfüllt auch Wünsche der Linken

Überraschend ist das alles nicht – zumal einige Wünsche der Partei von der Berliner Regierungskoalition bereits umgesetzt wurden, zumindest teilweise. Das 29-Euro-Ticket tragen die Linken mit, auch wenn ihnen die Genese als SPD-Alleingang nicht geschmeckt hat. Zudem soll es ein Kündigungsmoratorium für landeseigene Wohnungen geben, und der Fonds für die Entlastungsmaßnahmen des Senats soll auf bis zu 1,5 Milliarden Euro aufgestockt werden, per Nachtragshaushalt. Mit kleinen Abstrichen ist sich die rot-grün-rote Koalition bei der Krisenbewältigung weitgehend einig.

Dennoch wird die Linke versuchen, sich beim Parteitag auch von ihren Koalitionspartnern abzuheben. Nicht ohne Grund hält Sozialsenatorin Katja Kipping die Hauptrede: Die ehemalige Co-Vorsitzende der Bundes-Linken ist in den vergangenen Monaten zum Zugpferd ihrer Partei in Berlin geworden. Erst organisierte sie ziemlich erfolgreich die Unterbringung und Verteilung tausender Flüchtlinge aus der Ukraine, nun will sie sich als Macherin in der Energiekrise beweisen. Das von Kipping ins Leben gerufene "Netzwerk der Wärme" ist explizit auch als soziales Projekt angelegt: Zusammenrücken, solidarisch sein, gemeinsam den Winter überstehen.

Kipping selbst beschreibt es stets als Kernaufgabe ihrer Sozialverwaltung. Man kann es aber auch als Gegenentwurf zu Giffeys "Herzenssache"-Kampagne sehen: Das Image der sich auch um die Schwächsten kümmernden Politikerin wollen die Linken nicht allein der Sozialdemokratin Giffey überlassen.

Linke will sich Doppelspitze geben

Da kommt es vielleicht gerade richtig, dass die Linke auf dem Parteitag beschließen will, künftig von einer Doppelspitze geführt zu werden. Als Misstrauensvotum gegen die bisherige Landeschefin Katina Schubert wolle man das keineswegs verstanden wissen, heißt es von der Abgeordneten Franziska Brychcy, deren Bezirksverband in Steglitz-Zehlendorf den Antrag gestellt hatte. Es gehe vielmehr darum, dem Vorbild anderer Landesverbände zu folgen und "diversere Erfahrungen und Perspektiven" in der Spitze zu haben. Manche in der Partei schauen in dieser Frage auch Richtung Enteignungsinitiative: Deren Anliegen wird das politische Jahr 2023 maßgeblich bestimmen – und die Linken erhoffen sich, damit ihre Anhänger zu mobilisieren, vielleicht sogar mit einer Person, die diese Ziele in die Parteiführung trägt.

Die Doppelspitze soll aber auch "eine wahrnehmbarere Außenwirkung" der Linken erreichen. Was geneigte Beobachter zu Katja Kipping zurückbringen könnte. Die weist jegliche Ambitionen, die Berliner Linken führen zu wollen, weit von sich. Gewählt wird der neue Parteivorstand allerdings ohnehin erst im Februar 2023. Bis dahin kann viel passieren.

Sendung: rbb24 Inforadio, 24. September 2022, 7 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

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