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Quelle: dpa/Luka Dakskobler

Kommentar | Streit um Astrazeneca

Niemand hat das Recht auf einen Lieblingsimpfstoff

Jüngere in Berlin sollen nur mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft werden. Das sorgt für heftige Debatten, weil zuerst Wahlfreiheit beim Impfstoff versprochen worden war. Tatsächlich zeigt sich damit, wie schnell wir jegliches Maß verloren haben. Ein Kommentar von Sebastian Schöbel

Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als wir dem potenziell tödlichen Coronavirus gegenüberstanden, und außer einem dünnen Stück Stoff im Gesicht keine Waffen zur Gegenwehr hatten? Als wir uns fast hysterisch vor die Füße der Virologen warfen und um Impfstoff bettelten? Während draußen auf den Straßen die Corona-Leugner mit Vegan-Köchen und Kaisertreuen paradierten und sich in "Lockdown-istan" wähnten?

Die Corona-Leugner sind zwar noch da, aber inzwischen haben wir größere Probleme: Wir haben fast mehr Impfstoffe zur Auswahl als Käse-Sorten im Supermarkt. Doch statt sich über dieses Wunder der Wissenschaft zu freuen, wird rumgemeckert. Als ob man Impfstoffe wie schnöde Konsumartikel behandeln kann.

"Wie, den haben sie nur in einer Farbe? Und nur ohne Geschmack? Unerhört!"

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Astrazeneca für Jüngere

Berlin beendet für Unter-65-Jährige Wahlfreiheit bei Impfstoffen

Gesundheitssenatorin kommuniziert unglücklich

In Berlin wurde dieser Effekt von der Gesundheitsverwaltung noch befeuert: Die hatte zunächst Wahlfreiheit bei den Impfstoffen versprochen und auch umgesetzt – gegen den Rat von Experten, aber auch nachvollziehbar, damit sollte nämlich die Impfbereitschaft erhöht werden. Bis mit Astrazeneca ein Mittel kam, das nur eingeschränkt empfohlen wird. Daraufhin wurde festgelegt: Die 18- bis 65-Jährigen sollen vorrangig diesen Impfstoff erhalten, während die Älteren weiterhin mit den Mitteln von Moderna und Biontech/Pfizer geimpft werden. Auch das war sinnvoll.

Doch statt einfach offen zu kommunizieren, dass unter diesen Umständen eine freie Auswahl der Impfstoffe natürlich passé ist, eierte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci trotz mehrfacher Nachfrage herum, verwies auf die Ständige Impfkommission, sprach aber weiter kryptisch davon, dass "alles bleibt wie es ist". Während im Hintergrund fix die Online-Terminvergabe umgestellt wurde, weil die nämlich noch möglich machte, was längst nicht mehr möglich sein sollte: die freie Wahl des Impfzentrums und damit des Impfstoffs.

Deutlich zu sagen, dass der Astrazeneca-Impfstoff nun mal nicht für jeden empfohlen wird, man ihn aber auch nicht wegschmeißen will und deswegen die Wahlfreiheit nicht mehr sinnvoll ist, wäre ehrlich und richtig gewesen. Ähnlich wie bei der verbockten Berliner Impfstoffproduktion beweist Kalayci erneut, dass Krisenkommunikation nicht ihre Stärke ist.

Impfen ist nicht wie Shopping

Jetzt ist der Ärger natürlich umso größer, mancher spricht schon von "Ungerechtigkeit": Wieso bekomme ich plötzlich nicht mehr den Impfstoff meiner Wahl? Nur weil ich jung und gesund bin?

Weil die Pandemie-Bekämpfung nicht nach den Regeln der Konsumgesellschaft funktionieren kann. Eine Einladung zum Impfen ist kein austauschbares Produkt, sondern ein wertvolles Privileg. Millionen von Menschen bangen um ihre Existenz, quälen sich durch den Lockdown und warten auf eine Impfung - in dem Wissen, noch sehr lange nicht an der Reihe zu sein.

Wer aus Sorge vor Nebenwirkungen von einer Impfung derzeit ganz absieht, setzt sich und andere einem Risiko aus.

Und wer mit einem bestätigten Impftermin in der Hand meckert, weil der Impfstoff der Wahl nicht angeboten wird, verhält sich einfach nur unsozial.

Hinweis: Wir haben im letzten Satz das Wort "asozial" durch das Wort "unsozial" ersetzt. Gemeint war ein unsolidarisches, nicht soziales Verhalten. Das Wort "asozial" ist durch eine besonders menschenverachtende Verwendung von den Nationalsozialisten historisch belastet. Wir bedanken uns ausdrücklich für den Hinweis eines Lesers.

Die Kommentarfunktion wurde am 18.02.2021 um 08:04 Uhr geschlossen

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