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Video: rbb|24 | 21.04.2021 | Quelle: dpa/Marijan Murat

Interview | Berliner Abiturient

"Es ist schwierig zu arbeiten, wenn sich Lehrer gar nicht melden"

Berliner Abiturienten schreiben ab Mittwoch ihre vorgezogenen Prüfungen. Einer von ihnen ist Nepomuk Biehl. Im Interview beklagt er, dass das Abitur nach gut einem Jahr Corona-Pandemie "nicht sehr fair" ablaufen werde. Es profitierten gut ausgestattete Schüler.

rbb|24: Herr Biehl, Sie schreiben ab Mittwoch Ihre Abiturprüfungen. Wie geht es ihnen damit?

Nepomuk Biehl: Insgesamt ist es eine unglaublich schwierige Situation. Es ist eine echte Ausnahmesituation. Sie ist auch, was das Abitur betrifft, nochmal anders als im letzten Jahr, denn letztes Jahr fing die Pandemie ja gerade erst an, als die Prüfungen begannen. Wir sind ja jetzt schon ein Jahr dabei. Es ist viel Unterricht ausgefallen oder wurde digital gegeben. Das ist schon eine wirklich sehr besondere Lage. Trotzdem muss ich sagen, dass die Maßnahmen der Senatsverwaltung und auch das Verständnis, dass die Lehrer und Lehrerinnen uns entgegenbringen, schon ziemlich groß sind. Deswegen habe ich gar nicht so ein schlechtes Gefühl, was die Abiturprüfungen betrifft.

Zur Person

Abiturient aus Berlin

Nepomuk Biehl

Nepomuk Biehl, geb. 2003, geht auf das Lilienthal-Gymnasium in Berlin-Lichterfelde und ist Mitglied im Landesschüler*innenausschuss.  

Sie haben den Unterrichtsaufall und den Distanzunterricht schon angesprochen. Wie kann man sich Ihre Abiturvorbereitung in den vergangenen Monaten vorstellen?

Das zweite und das vierte Semester wurden zum Großteil online unterrichtet. Dabei geht schon relativ viel verloren, weil man nicht im direkten Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern ist. Jetzt in den letzten Wochen hatten wir Repetitorien in unseren Prüfungsfächern. Das hat mir – und bestimmt auch vielen anderen Schülerinnen und Schülern – echt geholfen. Das gibt es sonst auch nicht für die Abiturienten. Da hatten wir dann sogar vielleicht einen kleinen Vorteil. Aber es ist tatsächlich grundsätzlich viel Unterricht weggefallen. Das ist gerade für Schüler, die zu Hause nicht die optimale familiäre oder technische Situation haben, ein großer Nachteil für die Prüfungen.

Kennen Sie andere Abiturienten, bei denen alles total anders lief als bei Ihnen?

Ja, absolut. Die Diskrepanzen zwischen den Bezirken und auch den einzelnen Schulen sind sehr groß. Das liegt, glaube ich, daran, dass die Senatsverwaltung viele wichtige Entscheidungen, auf die Schulen abgewälzt hat. Und die Schulen somit während der Pandemie ganz oft selbst entscheiden mussten, wie sie was machen. Meine Schule hat beispielsweise relativ früh wieder Präsenzunterricht in den Prüfungsfächern für uns angeboten. Es gab aber auch Schulen, die früh wieder Präsenzunterricht in allen Fächern angeboten haben. Und es gab Schulen, die gar keinen Präsenzunterricht angeboten haben. Das führt dazu, dass manche Schüler besser auf die Abiturprüfungen vorbereitet sind als andere. Da fehlen dann die Vergleichbarkeit und auch irgendwie die Fairness.

Das wäre meine nächste Frage: Wie fair ist das?

Das ist nicht sehr fair. Letztendlich glaube ich aber, dass die Abiturprüfungen für Schülerinnen und Schüler, die jetzt viel Zeit im Distanzunterricht zu Hause verbracht haben, auch eine Chance darstellen, sich zu verbessern und jetzt die Leistung zu bringen, die sie davor vielleicht nicht gebracht haben. Aber die Maßnahmen, die getroffen wurden, um die Abiturprüfungen zu erleichtern – wir haben ja jetzt mehr Wahlmöglichkeiten und mehr Bearbeitungszeit und es gab auch die erwähnten Repetitorien – stellen ja schon die Möglichkeit dar, die fehlende Chancengleichheit auszugleichen.

Welche Schüler profitieren von der jetzigen Situation?

Gut ausgestattete Schüler, Schüler, die zu Hause einen Ort haben, an dem sie gut lernen können. Und vielleicht auch Schüler, die schriftlich besser arbeiten als mündlich. Das ist genau ein Schülertyp – und die anderen Schüler wurden extrem benachteiligt. Ich beispielsweise bin, wie wohl die meisten, einer der Schüler, die schriftlich schlechter als mündlich sind. Das war im Online-Unterricht schwierig.

Haben Sie Sorge, lebenslang auf einem "besonderen" Abitur zu sitzen?

Die Sorge hätte ich gehabt, wenn wir ein Durchschnittsabitur bekommen hätten. Das hätte den Abschluss schon irgendwie entwertet. Dann hätten bestimmt alle gesagt, wir hätten ihn ohne Prüfung hinterhergeschmissen bekommen. Aber in der jetzigen Lage – wir haben dann schließlich während einer globalen Pandemie Abitur gemacht - muss das ja nicht nur negativ gesehen werden, sondern vielleicht auch als Leistung. Dass wir das geschafft haben, während dieser besonderen Situation diese Prüfung abzulegen.

Hätte es für Sie eine Exit-Strategie gegeben?

Ja, wir hatten ja ein Rücktrittsrecht vom Senat. Da wurde, glaube ich, auch die Frist verlängert. Und für die, die zurückgetreten sind, wird das Jahr, das sie wiederholen, nicht auf die maximale Verweildauer angerechnet. Das haben auch viele Schüler und Schülerinnen wahrgenommen.

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Was hätte anders und besser laufen sollen?

Es waren mehrere Dinge echt schwierig. Einmal war der Online-Unterricht vor allem im ersten Lockdown echt nicht so gut, wie er hätte sein können. Es ist schon klar, dass da alle lernen mussten, aber das war in vielen Fächern echt unter aller Sau, was wir da bekommen haben. Das war im zweiten Lockdown dann besser, da hatten sich alle dran gewöhnt. Aber es ist echt schwierig zu arbeiten, wenn sich Lehrer gar nicht melden, sie kein Feedback geben, keinen guten Unterricht machen. Viele haben ja auch immer nur das gleiche gemacht – Blätter gesendet – und sich keine neuen digitalen Unterrichtsformen ausgedacht, die spannend waren.

Für uns gibt und gab es auch kaum Studienberatung oder überhaupt Beratung, was man jetzt machen kann. Normalerweise hätten wir die vergangenen Wochen ganz viel im Austausch mit irgendwelchen Centern und Beraterinnen und Beratern gestanden, die einem zeigen, was man alles machen kann. Die einem helfen dabei, was man für ein Stipendium und einen passenden Lebenslauf und so weiter machen muss. Das hat vollkommen gefehlt. Viele, das merke ich auch bei meinen Mitschülerinnen und Mitschülern, stecken in einer gewissen Orientierungslosigkeit.

Außerdem gab es entweder zu wenig Angebote oder Zugang zu Angeboten für die mentale Gesundheit. Wir selbst haben eine Umfrage zur mentalen Belastung im Home-Schooling gemacht. Die Ergebnisse waren echt schockierend. Viele Schüler wussten nicht, wohin sie sich bei psychischen Problemen wenden konnten. Und viele gaben auch an, unter dem Home-Schooling psychisch zu leiden. Das hätte man definitiv früher erkennen und digital zugängliche Angebote schaffen sollen.

Was zudem oft unterschätzt wird ist, wie sehr uns Freizeitangebote fehlen. Auch als Ausgleich zum dauerhaften Lernen und vor dem Computer sitzen. Das macht das alles noch deutlich schwieriger.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Sendung: Antenne Brandenburg, 19.04.2021, 15:20 Uhr

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