EU-Kandidaten treffen auf Berliner Schüler - "Ich finde es sehr aufregend, wählen zu dürfen"

Mi 22.05.24 | 09:20 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Archivbild:28.04.2024, Borkwalde, Brandenburg, Auf einem Plakat wird fuer die Europawahl am 9. Juni 2024 geworben.(Quelle:picture alliance/dpa-Zentralbild/S.Steinach)
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Erstmals dürfen in Deutschland 16-Jährige an der Europawahl teilnehmen. Grund genug für einige Kandidaten sich mit Schülern in Berlin zu treffen. Das Ergebnis: klassischer Frontalunterricht. Vorne wird gesprochen, hinten gelauscht. Von Sebastian Schöbel

Die Hymne der Europäischen Union hallt noch durch die Aula des Heinrich-Schliemann- Gymnasiums, da wird draußen vor der Tür schon eifrig analysiert: Wer sich von den eingeladenen Politiker:innen bei der Podiumsdiskussion zur Europawahl am überzeugendsten präsentiert habe.

Von "da kam ja gar nichts" bis "gut argumentiert" ist alles dabei: Vor allem aber zeigt sich, dass auch 16-Jährige, die bei dieser Europawahl am 9. Juni erstmals abstimmen können, durchaus für Politik interessieren können. Eine Stunde lang lauschen die Klassenstufen 10 und 11 den Ausführungen von Linken, Grünen, SPD, FDP, CDU und AfD. Die Fragen haben sie vorher zusammengestellt: zur Migrationspolitik, Waffenlieferungen an die Ukraine, Klimawandel und den Aufstieg von Rechtspopulisten in Europa.

"Es ist einfach wichtig, dass man sich seine eigene Meinung bilden kann", sagt Leonie Meyer. "Weil man sich selber eigentlich nicht so viel damit beschäftigt und immer nur hört, was die Eltern dazu sagen." Die Teenagerin gehört zu den vielen Erstwähler:innen der anstehenden Europawahl. Am 7. Juni, zwei Tage vor der Wahl, wird sie 16. "Ich finde es wichtig, an der Politik teilzuhaben und meine Meinung dazu abzugeben." Schließlich gehe es um ihre Zukunft.

Viele Fragen, kurze Antworten

Klassenkameradin Gesine Jentsch sieht das genauso. "Natürlich gibt es in unserem Alter auch Leute, die sich nicht gut genug informieren", räumt sie ein. Umso wichtiger sei der direkte Kontakt mit den Kandidat:innen. Die bekommen auf der Bühne in der Aula pro Frage nur ein paar Minuten Zeit, um ihre Argumente vorzutragen.

Christian Arnd von den Linken fordert ein sozialeres Europa, das Asylsuchende nicht im Meer ertrinken lässt und an niemanden Waffen liefert. AfD-Kandidat Alexander Sell wiederum will den EU-Institutionen Kompetenzen entziehen und die Zuwanderung stark einschränken. Für die CDU argumentiert Aileen Weibeler für Asylverfahren außerhalb der EU und technologieoffene Lösungen beim Kampf gegen den Klimawandel.

Grünen-Politiker Can Aru lobt den Green Deal, der auf EU-Ebene auf den Weg gebracht wurde, und bedauert, dass europäische Fördergelder für Frauenhäuser oft nicht bei den Bezirken ankommen. Für FDP-Politikerin Anastasia Vishnevskaya-Mann ist wichtig, das Recht auf Abtreibung als europäisches Grundrecht zu etablieren. Und Gabriele Bischoff, die seit 2019 für die SPD im Europaparlament sitzt, erinnert daran, dass die EU nicht nur ein Binnenmarkt, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist.

Politischen Streit erleben die Schüler nicht

Politischen Streit erleben die Schülerinnen und Schüler von den sechs Gästen nicht - bis auf ein paar Andeutungen, etwa zu den China-Verbindungen des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah oder bürokratische Umweltauflagen der EU. Bisweilen wirkt es wie klassischer Frontalunterricht: Vorne wird gesprochen, hinten wird gelauscht. Hinterher wirken dennoch alle zufrieden.

"Ich fand es klasse", sagt der 16-jährige Khaled. Wahlprogramme hätten er und seine Kumpel bisher nicht gelesen. "Jetzt weiß ich, wo die stehen." Helene, ebenfalls 16 Jahre alt, stimmt zu. "Obwohl die Fragen meist eher nur oberflächlich beantwortet wurden". Vor allem die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine und das Recht auf Abtreibung ist vielen der Schülerinnen und Schülern im Gedächtnis geblieben. "Das hat mich schon zum Nachdenken gebracht", sagt 10.-Klässler Eddy. Und Alma aus der Parallelklasse räumt ein, dass die Veranstaltung durchaus ihre Wahlentscheidung beeinflusst habe. "Denn vorher war ich mir wirklich nicht sicher."

"Wenn da nicht aufgeklärt wird, entsteht ein Ungleichgewicht"

So zivilisiert wie an diesem Tag im Heinrich-Schliemann-Gymnasium geht es im Europawahlkampf allerdings nicht immer zu. Dabei bräuchte es viel mehr solcher Veranstaltungen, sagt Issa Wohlrab. Denn viele seiner Altersgenossen würden sich sonst vor allem über Plattformen wie TikTok, X und Co. informieren, wo extreme Meinungen meist die Oberhand hätten. "Die AfD hat eine extreme Präsenz auf Social Media", so Wohlrab, und zu sehen bekomme man als Jugendlicher dann vor allem ein nationalistisch verklärtes Deutschlandbild. Andere Parteien wiederum seien auf diesen Kanälen, die Jugendliche nutzen, deutlich weniger aktiv. "Wenn da nicht aufgeklärt wird, entsteht ein Ungleichgewicht."

Sendung: rbb 88,8, 21.05.2024, 17:00 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

19 Kommentare

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  1. 19.

    Ich werde per Brief abstimmen un meine freien Tag nicht zu verderben.

  2. 18.

    Stimmt, oder wenn Aussagen zu Deals mit Pfizer auf nach der Wahl verschoben werden und Mails einfach verschwinden. Aber Wirecard ist auch ein gutes Beispiel.....

  3. 17.

    Jeder Partei steht es frei, sich auf tiktok zu präsentieren, egal, was man von der Plattform hält. Tun sie es nicht, entsteht eben ein Ungleichgewicht. Selbst schuld. Mal unabhängig davon merkt die Jugend vermutlich mittlerweile auch selbst, was besser laufen könnte.

  4. 15.

    Steuererhöhungen für GUTE Bildung versprochen und dann? Steuererhöhung ja, gute Bildung nein. Weil...
    Steuern nicht zweckgebunden sind und von Leuten die NICHT wirtschaften können „aufgegessen“ werden.
    Oder wenn konsequent intolerante Wehrdienstverweigerer (manchmal ohne anstrengende Ausbildungsabschlüsse)auf einmal Waffensysteme kennen und liefern wollen.
    Oder , „mit uns gibt es keine Steuererhöhungen und Recht auf Abtreibung“ sind etwas sehr gut Messbares.

  5. 14.

    Ob unsere Jugend heute mit 16 reif genug fürs Wählen ist, möchte ich bezweifeln. In diesem Alter ist man noch sehr beeinflussbar und diverse andere gesetzliche Regelungen berücksichtigen dies. Was den Gesetzgeber getrieben hat, das Wahlalter herab zu setzen, ist nicht stimmig mit anderen gesetzlichen Regelungen. Wenn dann sollte man auch den Rest anpassen, das wäre konsequent.

  6. 12.

    Sehe ich genauso. Die volle Geschäftsfähigkeit erreicht man erst mit dem 18 Lebensjahr nach dem BGB. Auch ist man erst ab dem 18 Lebensjahr voll Strafmündig. Im GG ist geregelt das nur 18 Jährige an den Wahlen für den Bundestag teilnehmen dürfen. Was man sich nun dadurch erhofft ist mir bewusst aber dann bitte auch die volle Straffälligkeit runtersetzen. Wer in der Lage ist eine Partei bzw Interessenvertreter zu wählen, ist sich bewusst was er tut.

  7. 11.

    Es dürfen sogar Menschen wählen, die
    * seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr berufstätig sind
    * über keinerlei politische Bildung verfügen (Gewaltenteilung, Grundrechte, Menschenrechte, Staatsaufbau)
    * eine Partei wählen würden, die entweder rechtsextrem ist (AfD) oder nicht mal ein Programm hat (BSW)
    * nicht mal Strafrecht vom Staatsrecht unterscheiden können

    Noch Fragen?

  8. 9.

    Was für ne Begründung, ganz toll!
    Welches Mädchen wünscht sich nicht mit 16 ein Kind. Es überblickt voll und ganz die Konsequenzen. Wie auch 'ne 16-jährige, die irgendwen wählt, weil sie meint, der ist gut für sie...
    Kinder nee!

  9. 8.

    Mit 16 darf man auch schon Kinder kriegen und arbeiten gehen, warum nicht auch wählen?

  10. 7.

    Die tik tok Jugend darf mit 16 wählen, aber mit 18 noch jugendstrafrecht. Hier stimmt was nicht.

  11. 6.

    Wer hat denn hier was von „gelogen „ geschrieben. Ist ihre Denkweise. Aber auch komisch wenn ein Bundeskanzler in brenzligen Angelegenheiten sich nicht mehr erinnern kann, muss man darüber nachdenken wieso dies so ist und er überhaupt der Richtige für diese Amt ist. Aber die Ergebnisse am 09.06. werden ja zeigen wie der Wähler denkt.

  12. 5.

    Ihr "Wiederspruch" ist eigentlich keiner.
    Wie im Strafrecht sind 16jährige auch bei Wahlen nicht vollumfänglich wahlberechtigt.
    Bundestagswahl... ab 18 Jahre.
    Und es gibt noch diverse Einschränkungen die für 16jährige gelten. Wählbar für den Bundestag... Führerschein usw. usw.

  13. 4.

    Ich gebe Ihnen vollkommen recht. Wählen gehen ist wichtig und richtig. Allerdings glaube ich, dass hierzu eine gewisse Reife, Erfahrung, Selbstreflexion und Bedachtheit von Nöten ist. Und ob die mit 16 Jahren schon vorhanden ist, mag ich zu bezweifeln.

  14. 3.

    Ich kann es eigentlich nicht nachvollziehen. 16 jährige sind wahlberechtigt. Aber in einem anderen Fall sind sie nicht vollkommen strafmündig. Da spricht man ihnen die volle Entwicklung ab. Im folgeschluss ist das für mich ein Wiederspruch.

  15. 2.

    Sie haben offenkundig ein Problem. Parteien und Kandidaten stellen sich zur Wahl und „versprechen“ Dinge, die sie macheh würden, wenn sie gewählt werden. Nach der Wahl geht’s aber meistens nicht, es so umzusetzen, weil fast niemand mehr alleine regieren kann sondern mit andrer koalieren muss. Und da werden Kompromisse nötig. Wenn z.B. jemand verspricht, er wird sich dafür einsetzen, den Mindestlohn anzuheben, aber dafür keine Mehrheit findet, dann hat er vor der Wahl nicht „gelogen“.

  16. 1.

    Ja es es richtig das man sich seine eigene Meinung bilden sollte. Leider haben und können auch die 16 Jährigen sich nicht erinnern was die letzten 40 Jahre oder auch länger den Wählern vor eine Wahl alles versprochen wird. Egal ob EU, Bundestags-, Landtagswahl alle genannten Parteien in diesem Beitrag buhlen um die Wähler und können sich nicht erinnern was sie vor der Wahl gesagt und versprochen haben. Wählen gehen ist richtig, aber wem nur?