Infrastruktur, Arbeitsmarkt, Landwirtschaft - Wohin die EU-Milliarden in Brandenburg fließen

So 26.05.19 | 08:40 Uhr
Bildkombination: Das Hans Otto Theater, Schiffbauergasse, in Potsdam. Die Mitarbeiterin Dörte Feldt am 09.11.2005 von der Firma Allresist GmbH im brandenburgischen Strausberg. (Quelle: dpa/Bildagentur-online/Patrick Pleul)
Bild: dpa/Bildagentur-online/Patrick Pleul

Für viele ist die EU ein Bürokratie-Monster, das den zulässigen Krümmungsgrad von Gurken und andere Absurditäten festlegt. Dabei findet "Europa" direkt vor der Haustür statt: Rund 2,3 Milliarden Euro Fördermittel sind seit 2014 in Projekte in der Mark geflossen.

Wer in Brandenburg auf Straße oder Schiene unterwegs ist, der "er-fährt" Europa: Denn viele Bauprojekte werden mit Unterstützung der EU realisiert. Auch High-Tech, wie zum Beispiel resistente, lichtempfindliche Lacke für die Chipherstellung aus Strausberg, der neue Spielplatz im Stechliner Ortsteil Menz, das Qualitätssiegel für Beelitzer Spargel oder die Revitalisierung des Kultur- und Wirtschaftsstandorts Schiffbauergasse in Potsdam: All diese völlig unterschiedlichen Projekte sind auch mit Geld aus Brüssel entstanden.

Durch den Brexit verliert Brandenburg Geld

In der laufenden Förderperiode von 2014 bis 2020 erhält Brandenburg knapp 2,3 Milliarden Euro aus Brüssel, etwa für die Landwirtschaft, neue Straßen oder den Tourismus.

Bislang gilt Brandenburg - ebenso wie ganz Ostdeutschland mit Ausnahme von Berlin und dem Raum Leipzig - als Übergangsregion, die von der EU gefördert wird. Das soll so bleiben, doch das Budget wird durch den geplanten Austritt Großbritanniens geringer, Förderprioritäten sollen anders gesetzt werden. Deshalb werden die EU-Fördermittel für die Länder ab 2021 voraussichtlich drastisch sinken. Das Brandenburgische Finanzministerium geht von Reduzierungen im dreistelligen Millionenbereich pro Jahr aus.

Insgesamt könnten die Fördergelder für die Periode von 2021 bis 2027 um bis zu 60 Prozent auf rund eine Milliarde Euro sinken - zugunsten anderer, weniger entwickelter Regionen.

Wirtschaftsminister wirbt für Obergrenze bei Kürzungen

Mitte Mai kündigte Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) jedoch an, Brandenburg werbe derzeit dafür, dass die Fördergelder in keiner europäischen Region um mehr als ein Viertel gekürzt werden. Für diesen Vorschlag gebe es in Brüssel viel Unterstützung. Brandenburgs Europaminister Stefan Ludwig (Linke) will sich außerdem dafür einsetzen, dass Fördermittel künftig einfacher beantragt werden können. Auch die Kontrollen durch das Land und die EU sollen ab 2021 vereinfacht werden.

Zudem könnten die Kürzungen durch andere Hilfen wie jene für den anstehenden Strukturwandel in der Lausitzregion aufgefangen werden.

Regionalfonds: Infrastruktur, Forschung, Innovation

Im Einzelnen stammen die EU-Fördergelder, die nach Brandenburg fließen, aus drei Töpfen: aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), aus dem Sozialfonds (ESF) und aus dem Fonds zur Entwicklung ländlicher Räume (ELER).

Tulpen und Narzissen blühen vor der Stadtmauer mit der Alte Bischofsburg auf dem Gelände der Landesgartenschau in Wittstock/Dosse (Quelle: dpa/Büttner).Auch die Landesgartenschau in Wittstock/Dosse profitiert von EU-Geldern

Tiernahrung aus Insekten und Bodenanalyse in Echtzeit

Über den EFRE unterstützt die EU die wirtschaftliche Entwicklung in allen EU-Ländern und Regionen. Dazu zählen unter anderem die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftswachstum, Verbesserung der Lebensqualität und nachhaltige Entwicklung. Brandenburg stehen für die Förderperiode von 2014 bis 2020 insgesamt 846 Millionen Euro zur Verfügung. Beim Einsatz der Mittel setzt Brandenburg den Fokus auf die Stärkung von angewandter Forschung, Entwicklung und Innovation, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), Maßnahmen zur Minderung des CO2-Ausstoßes sowie eine nachhaltige Stadt-Umland-Entwicklung.

Ein Beispiel für den Einsatz von EFRE-Geldern in Brandenburg sind der Umbau und die Sanierung des ehemaligen Gauss-Gymnasiums in Frankfurt (Oder). Die aus zwei Altbauten und einem Plattenbau bestehende Schule wurde komplett umgebaut und saniert – nun wird der Gebäudekomplex für die neue Volkshochschule genutzt. Damit bekam nicht nur stadthistorisch wertvolle Bausubstanz eine neue Nutzung. Die bisherigen Angebote wurden auch an einem zentralen, barrierefreien Standort gebündelt.

Gefördert werden aber auch innovative Unternehmen, wie EntoNative aus Nuthetal, das gesunde und nachhaltige Tiernahrung aus Insekten entwickelt hat sowie Hightech-Projekte, wie die Sensor-Technologie zur Bodenanalyse in Echtzeit des Potsdamer Unternehmens Stenon oder die Gesundheits-App für Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen des ebenfalls in Potsdam ansässigen Unternehmens Breazy Health.

Zu den EFRE-geförderten Projekten der nachhaltigen Stadtentwicklung gehören zum Beispiel der Hochwasserschutz und die Sanierung des Clara-Zetkin-Parks in Wittenberge, für die vor wenigen Tagen die Fördermittelbescheide übergeben wurden, sowie die Landesgartenschau, die derzeit in Wittstock/Dosse läuft.

Im Vergleich zur vorangegangenen Förderperiode von 2007 bis 2013 wurde das Geld aus dem EFRE besonders stark gekürzt: von 1,5 Milliarden auf nur noch 846 Millionen Euro. Wie sich die erwarteten Kürzungen in der nächsten Förderperiode auf den Fonds für regionale Entwicklung auswirken werden, ist noch unklar.

Sozialfonds: Wichtige Finanzspritze für den Arbeitsmarkt

Auch in vielen brandenburgischen Arbeitsplätzen und Weiterbildungsmaßnahmen steckt "Europa". Dafür sorgt der Europäische Sozialfonds (EFS). Für die Verbesserung der Beschäftigungs- und Bildungschancen sowie der Armutsbekämpfung stehen dem Land Brandenburg in der Förderperiode von 2014 bis 2020 insgesamt rund 362 Millionen Euro zur Verfügung. Die Mittel werden unter anderem für bessere Qualität der Bildung und soziale Eingliederung eingesetzt.

Brandenburgs Arbeitsministerin Susanna Karawanskij (Linke) würdigte im April die besondere Bedeutung des ESF für die positive Entwicklung des Arbeitsmarktes in Brandenburg. "Ganz klar: Ohne die Unterstützung der EU würde der Brandenburger Arbeitsmarkt heute nicht in einer so guten Verfassung sein. Wir setzen das Geld erfolgreich ein. Das belegen die Arbeitsmarktzahlen. Waren im Jahr 2013 noch über 132.300 Menschen ohne Arbeit, so sank diese Zahl bis 2018 deutlich um 37 Prozent auf rund 83.700. Aber es gibt noch viel zu tun", so die Ministerin.

Fachkräftemangel und Langzeitarbeitslose als Herausforderung

Eine der größten Herausforderungen auf dem Brandenburger Arbeitsmarkt ist heute die Fachkräftesicherung. Auch hier spielen ESF-Mittel eine wichtige Rolle. Mit ihrer Hilfe können beispielsweise kleinere Betriebe unterstützt werden, junge Menschen auszubilden und langfristig zu binden. Aber auch die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit gehört weiter zu den großen Herausforderungen der Brandenburger Arbeitspolitik. Entsprechend stecken Gelder aus dem Sozialfonds in dem Programm "Integrationsbegleitung für Langzeitarbeitslose und Familienbedarfsgemeinschaften" des brandenburgischen Arbeitsministeriums.

Mit einem Mähdrescher wird auf einem Feld Getreide geerntet (Quelle: dpa/Okapia).350 Millionen Euro pro Jahr bekommen Brandenburgs Bauern von der EU

Unter dem gemeinsamen Dach finden sich mehr als 30 Einzelprojekte, die Angebote zur Entwicklungsförderung für Langzeitarbeitslose und deren Familien unterbreiten. Es ist mit rund 40 Millionen Euro die größte Fördermaßnahme des Landes gegen Langzeitarbeitslosigkeit und Armut. Zu den Projekten gehört das Schulungszentrum der bam GmbH Elsterwerda. Hier werden langzeitarbeitslose Menschen unterstützt und qualifiziert, um ihnen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und wieder eine würdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Darüber hinaus steckt ESF-Geld aber auch in Programmen für Berufseinsteiger, Unternehmensgründer, zur beruflichen Weiterbildung und zur Förderung von Flüchtlingen, um diesen den Einstieg in der Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Im Vergleich zur Förderperiode 2007-2013 musste Brandenburg auch bei den Geldern aus dem EFS einen starken Rückgang um 58 Prozent von 620 auf 362 Millionen Euro hinnehmen. Ein weiterer Rückgang in der kommenden Förderperiode von 2021 bis 2027 ist zu erwarten.

Agrarfonds: Geld für Bauern, Naturschutz und nachhaltige Regionalentwicklung

Sehr viel Geld aus Brüssel steckt in Brandenburgs Äckern und in der Tierzucht. 365 Millionen Euro fließen - pro Jahr - zwischen 2014 und 2020 als Direktzahlungen an die Bauern. Das ist eine Riesensumme, wenn auch zehn Prozent weniger als in der vorherigen Förderperiode. Die leichte Kürzung betraf vor allem Großbetriebe, die in Brandenburg zahlreich sind. Sie hatten zuvor aber überdurchschnittlich von den Zuschüssen profitiert.

Damit sich die Bauern und andere Landbewohner wohlfühlen – und auf dem Land wohnen bleiben - unterstützt die zweite Säule der EU-Agrarförderung im weitesten Sinne die Lebensqualität. Der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) bezuschusst Förderprogramme für nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und ländliche Entwicklung. Dazu gehören unter anderem die Förderung einzelner landwirtschaftlicher Betriebe bei Investitionen, Maßnahmen zur Verbesserung des Naturerbes, Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebiete, Ausgleichszahlungen für Landwirte, die in Natura 2000 Gebieten wirtschaften oder Investitionen in den Hochwasserschutzes.

Die Bundesländer Brandenburg und Berlin erhalten zwischen 2014 und 2020 gemeinsam rund 1,05 Millarden Euro an Fördermitteln aus dem ELER. Das Gebiet der 14 begünstigten Regionen umfasst gut 94 Prozent der Fläche Brandenburgs und ist Heimat von fast 1,4 Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburgern.

Durch große Glasfenster kann man die Produktion in der Gläsernen Molkerei in Münchehofe beobachten (Quelle: dpa/Settnik).
Die Gläserne Molkerei in Münchehofe (Dahme-Spreewald) | Bild: dpa/Bernd Settnik

"Alte Försterei" als beispielhaftes Projekt

Ein Projekt, das mit ELER-Geldern gefördert wurde, ist ein integratives Mehrgenerationen-Projekt für junge Familien und Senioren, das auf dem Gelände der "Alten Försterei" im Zentrum des Ortes Kolpin (Oder-Spree) entstanden ist. Mit den Mitteln konnte eine zweite Wohngemeinschaft für acht Demenzkranke eingerichtet werden. In einer kleinen Gruppe wird gezielt auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner eingegangen.

Weitere Beispiele sind der Umbau und die Sanierung der alten Gutsscheune Paretz zum Veranstaltungsort für künstlerische und soziale Aktivitäten in Ketzin (Havelland), der Aufbau der Waldbauernschule in Walsleben (Ostprignitz-Ruppin), wo Waldbesitzer lernen können, verantwortungsvoll, effizient und nachhaltig mit den ihnen anvertrauten Ressourcen umzugehen oder der Gläsernen Molkerei in Münchehofe (Dahme-Spreewald), einer Bio-Molkerei mit gläsernem Gang, durch den die Besucher den Verarbeitungsprozess der Milch beobachten können.

Im brandenburgischen Alltag steckt also viel mehr Europa als mancher denkt.

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