Nach historisch schlechtem Wahlergebnis - Bei den Berliner Sozialdemokraten bilden sich zwei Fronten

Di 27.09.16 | 20:50 Uhr
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD, l), unterhält sich am 27.05.2016 auf dem Landesparteitag der SPD in Berlin mit Raed Saleh, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus (Quelle: dpa/Wolfgang Kumm)
Video: Abendschau | 27.09.2017 | D. Knieling und B. Hermel | Bild: dpa

Während die SPD auf eine rot-rot-grüne Regierung hinarbeitet, rumort es innerhalb der Führungsspitze. Nach Sven Kohlmeier, dem rechtspolitischen Sprecher, hat sich nun auch Fraktionschef Raed Saleh zu Wort gemeldet – und dabei indirekt auch den Regierenden Bürgermeister Müller angezählt.

Eine Woche nach der Abgeordnetenhauswahl wird in der Berliner SPD der Ruf nach Konsequenzen aus dem historisch schlechten Abschneiden laut. Der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Sven Kohlmeier, forderte auf seiner Homepage als erster einen inhaltlichen Neuanfang.

Das Wahlergebnis nannte der Abgeordnete aus Marzahn-Hellersdorf ein "Erdbeben" und eine "Katastrophe". Kohlmeier wies darauf hin, dass wesentliche Wahlziele wie die 30-Prozent-Marke verfehlt wurden. Die SPD gewann die Berlin-Wahl mit nur 21,6 Prozent, einem historischen Tiefstwert für eine stärkste Partei in der Bundesrepublik. Zudem hatte man es verpasst, eine Zweierkoalition zu bilden und die AfD aus dem Parlament zu halten.

Von der "Volkspartei" zur "Staatspartei"

Als nächster meldete sich SPD-Fraktionschef Raed Saleh kritisch zu Wort und warnte vor einem "Weiter so". Die SPD befinde sich in einer "existenziellen Krise" und habe den Status als Volkspartei vielerorts verloren, schrieb Saleh im Tagesspiegel (Dienstagsausgabe). Vielmehr seien die Sozialdemokraten zu einer "Staatspartei" geworden, deren Repräsentanten abgehoben und weit weg von den Problemen der Menschen. Während des Wahlkampfs sei ihm aufgefallen, dass die "Leute einen nicht mehr als Sozi aus der Nachbarschaft ansehen", schrieb Saleh in dem Artikel. Eine Ursache für die Wahlschlappe sei die Nähe der Partei zu Lobbyvertretern, so Saleh.

Die Kritik dürfte vor allem auf Bausenator Andreas Geisel zielen, der wegen Parteispenden und einer umstrittenen Baugenehmigung für einen Investor am Leipziger Platz unter Druck steht. Allerdings zählt Geisel zu den engsten Vertrauten von Michael Müller. Dem springt wiederum Christian Gaebler, Kreisvorsitzender von Charlottenburg-Wilmersdorf, bei. "Man kann die Ergebnisse nicht nur an einer Person festmachen. Jemand, der seit fünf Jahren Fraktionsvorsitzender ist, trägt natürlich genauso Anteil wie jemand, der seit einem Jahr Regierender Bürgermeister ist", sagte Gaebler und setzte eine dezente Spitze gegen Saleh.

Saleh lobt explizit Müllers Vorgänger Wowereit

Die Fraktionschef hatte zuvor auch kritisiert, dass sich die Berliner Politik zu häufig mit den hippen Innenstadtbezirken und zu wenig mit der Lebenswirklichkeit der Berliner befasse. Saleh selbst lebt in Spandau am Rand der Hauptstadt. Er warb, die Partei müsse die Stadt "nicht mehr aus der Perspektive der Rathäuser, sondern wieder mit den Augen der Bürgerinnen und Bürger sehen". Auch bundesweit müsse sich die SPD in Inhalten, Stil und Selbstverständnis radikal erneuern, sonst werde sie in Deutschland mittelfristig nicht mehr gebraucht.

Die SPD müsse dringend ihre Glaubwürdigkeit wiedergewinnen, meint ebenfalls Juso-Landeschefin Annika Klose, die auch personelle Konsequenzen nicht ausschließt: "Ich denke nicht, dass irgendjemand ein Interesse daran hat, einen Führungsstreit vom Zaun zu brechen", sagte sie dem rbb. Bei einzelnen Senator-Posten sollte aber noch einmal genau geschaut werden, was in den letzten Jahren verkehrt lief – und diese notfalls neu besetzt werden. Auch Klose dürfte auf Bausenator Geisel abzielen.

Fest steht, dass nun öffentlich über die Krise der Berliner SPD diskutiert wird, noch bevor sich in den nächsten Wochen eine Arbeitsgruppe um die Ursachenforschung kümmert. Und noch während die Parteimitglieder grübeln, worin die Gründe für das schwache Ergebnis liegen, bilden sich zwei Fronten, angeführt von Saleh und Müller. Dazu passend lobte Saleh in seinem Artikel explizit Müllers Vorgänger, Klaus Wowereit, dem es gelungen sei, durch seine Art, die Kluft zwischen den Menschen zu überbrücken.

Wowereit: rot-rot-grüne Koalition als Chance

Der so Gelobte, der sich nur noch selten zum politischen Geschehen in Berlin äußert, bezeichnete im rbb die mögliche rot-rot-grüne Koalition als Chance für die Stadt. Entscheidend sei ein Klima des Vertrauens, sagte Wowereit im Interview bei radioBerlin 88,8. Unterschiedliche Kräfte brächten unterschiedliche Erfahrungen ein, deshalb müsse man kompromissbereit sein und daran denken, wie die Stadt in den nächsten Jahren vorangebracht werden kann.

Die Spitzen von SPD, Linken und Grünen hatten ihren Parteien am Montag die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen empfohlen. Am 27. Oktober soll das neu gewählte Abgeordnetenhaus zum ersten Mal zusammentreten. Eine neue Regierung könnte im November oder in der ersten Dezemberhälfte zusammentreten. Müller peilt den 8. Dezember an.

Mit Informationen von Jan Menzel

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