Mögliche Parkgebühren für Berliner Innenstadt - "Parkzonen sind für manche das Ende des Abendlandes"

Fr 04.11.16 | 14:43 Uhr | Von Andrea Marshall
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Eine Mitarbeiterin des Berliner Ordnungsamts klemmt ein "Knöllchen" hinter den Scheibenwischer eines Autos (Quelle: imago / Steinach)
Bild: Imago / Steinach

Noch ist nicht bekannt, ob Rot-Rot-Grün tatsächlich fürs Parken innerhalb des gesamten S-Bahn-Rings Geld verlangen will - schon erschallen hitzige "Schikane! Abzocke!"-Rufe. Denn wenn es um (gefühlte) Einschränkungen der Freiheit geht, wird der Berliner Autofahrer zum Wutbürger. Von Andrea Marshall

Viele Metropolen in der westlichen Welt verlangen Geld fürs Parken. "In New York kostet eine Stunde Parken um die 15 Dollar, in Amsterdam um die zehn Euro, in Tokio darf man sich gar kein Auto zulegen, wenn man keinen eigenen Stellplatz nachweisen kann. In Berlin wird viel weniger verlangt, und Anwohner zahlen für die Plakette ganze  85 Cent - im Monat." Der das sagt, hat selbst Erfahrung mit der Einführung von Parkgebühren: Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste, Jens-Holger Kirchner (Grüne), der als neuer Verkehrssenator im Gespräch ist.

An einem Laternenmast in Berlin-Mitte hängt ein Plakat "Parkraumwucher Stoppen!" vom Bürgerentscheid gegen Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung 2008 (Quelle: dpa / Arno Burgi)
Gleich drei Bürgerbegehren gegen Parkgebühren gab es in Berliner Bezirken. Zwei hatten Erfolg.Bild: dpa

Seit 2010 hat Kirchner mehrere zehntausend Parkplätze in seinem Bezirk kostenpflichtig gemacht. In anderen Bezirken - Köpenick (2014) und Charlottenburg-Wilmersdorf (2007) - schmetterten Anwohner per Bürgerentscheide solche Planungen ab. In Mitte scheiterte ein Bürgerentscheid 2008 an nicht ausreichender Gesamtbeteiligung.

Auch jetzt ging eine Welle der Empörung durch Teile der Stadt, als durchsickerte, dass bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Linken und Grünen Fachpolitiker in einer Arbeitsgruppe darüber sprachen, die Berliner Innenstadt innerhalb des gesamten S-Bahn-Rings zu einer einzigen, gebührenpflichtigen Parkzone zu machen. Einzelheiten sind nicht bekannt. Aber sofort kam Gegenwind aus sozialen Netzwerken wie Facebook sowie von CDU und FDP: Von Abzocke und "ideologischer Schikane" der Autofahrer war die Rede. "Reflexhaft" findet Stadtrat Kirchner die Reaktion, auch aus der "Autolobby", wie er sagt: "Für die sind Parkzonen das Ende des Abendlandes."

Befürworter sagen dagegen, mit den Gebühren steuerten weniger Autofahrer kostenpflichtige Zonen an oder sie parkten dort nur für kurze Zeit. Dadurch gebe es weniger "Suchverkehr".

Aufwändig erarbeitete Strategie unter Verschluss

Dabei sind weitere Parkzonen schon seit 2003 unter Rot-Rot und erneut seit 2011 unter Rot-Schwarz zentraler Bestandteil des Stadtentwicklungsplans Verkehr. In einem aufwändigen Abstimmungsprozess über vier Jahre, an dem unter anderem die Bezirke und verschiedene Verbände beteiligt waren, ist auf dieser Grundlage ein Masterplan für Berlin entstanden. Selbst der ADAC hat den Plan begrüßt, allerdings gefordert, die Pendlerströme aus Brandenburg einzubeziehen.

"Strategie Parken Berlin" heißt der Plan. Seit Ende 2015 liegt er fertig in der Schublade – beschlossen hat ihn der rot-schwarze Senat dann aber nicht mehr. "Vorbehalte der CDU-geführten Ressorts konnten nicht aufgelöst werden", sagt Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, zur Begründung.  Möglicherweise sollte das umstrittene Thema auch aus dem Wahlkampf vor der Abgeordnetenhauswahl herausgehalten werden. Aber das sagt Pallgen nicht.

Öffentlich einsehbar ist der Plan nicht. Ob darin auch die jetzt diskutierte "Gesamtparkzone" für alle Gebiete innerhalb des S-Bahn-Rings empfohlen wird, bleibt offen. Im Stadtentwicklungsplan Verkehr von 2011 war vorgesehen, dass die Parkraumbewirtschaftung schrittweise, aber nicht flächendeckend, sondern "auf alle innerstädtische Zielgebiete des Pkw-Verkehrs mit starker Parkraumnachfrage sowie die unmittelbar angrenzenden Wohngebiete" ausgedehnt wird, wie es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Piraten-Politikers Andreas Baum vom Dezember 2015 heißt.

Berliner Aufreger: Hund treten, Baum absägen, Parkplatz wegnehmen

Warum sind Parkzonen in Berlin so heikel? München hat sie, Duisburg schon seit 1956, in Berlin ging die erste Parkraumbewirtschaftung erst 40 Jahre später, nämlich 1996, an den Start, wie Bezirksstadtrat Kirchner erklärt.

Ein Grund für die schwierige Umsetzung von Parkzonen:  Es sind zwölf unterschiedlich regierte Bezirke zuständig, nicht der Senat, weshalb eine einheitliche Strategie schwierig bis unmöglich ist. Vereinheitlicht werden könnten aber die Kriterien für solche Zonen: Der Senat könnte die Bezirke beraten.

Und dann ist da noch die Berliner Mentalität, meint Stadtrat Kirchner. "Für drei Dinge gibt es hier richtig Ärger: Wenn man einen Hund tritt, einen Baum absägt – oder jemandem einen Parkplatz wegnimmt." Letzteres habe mit dem starken Bedürfnis nach Freiheit zu tun. In der "Frontstadt Westberlin" habe die Einstellung vorgeherrscht, dass man, wenn man schon "eingemauert" sei, wenigstens ungehindert Autofahren dürfe, zum Beispiel auch ohne Geschwindigkeitsbegrenzung über die Avus rasen. Im Ostteil der Stadt, damals Hauptstadt der DDR, sei man wiederum an Privilegien gewöhnt gewesen.

Verkehrsexperten und -psychologen äußern sich ähnlich, wenn es um die Frage geht, warum in Deutschland als einziger Industrienation kein Tempolimit auf Autobahnen gilt. Es ist der Freiheitsdrang. Ihn zu beschneiden, löst ähnlich emotionale Reaktionen  aus wie Waffenrechtsänderungen in den USA.

Autofrei Wohnen – aber ungehindert fahren

Stadtrat Kirchner nimmt zugleich widersprüchliche Bedürfnisse der Hauptstädter wahr: "Es gibt die tiefe Sehnsucht nach autofreiem Wohnen. Aber gleichzeitig wollen alle in zehn Minuten mit dem Auto am Alex sein – entgeltfrei. Und wehe, es stehen Ampeln und Baustellen im Weg." Allerdings beobachte er auch Veränderungen bei den Berlinern:  Immer mehr Einwohner verzichteten auf das Auto. Fahrradfahren werde zunehmend beliebter. Der öffentliche Raum gehöre zudem nicht allein den Autofahrern.

Wie die neue Landesregierung mit dieser Gemengelage umgehen will - es bleibt spannend.

Beitrag von Andrea Marshall

8 Kommentare

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  1. 8.

    Lieber P.M.,

    das ist ja genau der Punkt: Ich bin selbst betroffen, und trotzdem schaffe ich mein Auto nicht ab - eben, weil es ganz praktisch ist, für größere Einkäufe, Ausflüge und Reisen ein Auto zur Verfügung zu haben.
    Da viele so denken wie ich, bin ich dafür, dass die Politik die Anreize dafür erhöht, das Auto stehen zu lassen und auf den ÖPNV oder Carsharing umzusteigen. Dazu gehören positive Anreize wie Ausbau des ÖPNV & mehr Park&Ride-Plätze - aber auch "strafende" Anreize wie höhere Kosten fürs Parken erscheinen mir unvermeidbar.

    Wenn ich zB von Bernau aus mit dem Auto zur Arbeit zB nach Prenzlauer Berg pendele, kann ich bislang oft kostenlos in der Nähe meines Büros parken. Zahle ich künftig täglich 8 bis 10 Euro für ein Parkticket fürs Auto, überlege ich mir sehr genau, ob ich nicht doch auf S-Bahn/U-Bahn/Regionalbahn umsteige.

  2. 7.

    Also sollen sie doch das alles so machen, aber bitte dann auch die KFZ Steuer abschaffen. Wir bezahlen dafür, das wir Auto fahren, die Grasfresser und Rasentreter zerstören nur die Grünanlagen, die eigentlich unser Wert sind. Radfahrer in Berlin sind gefährlich, besonders für Fussgänger, sogar einen Toten hat res schon gegeben. Ich jedenfalls betrete schon heute nicht mehr das Gebiet innerhalb des SBahn-Rings nicht mehr, es gehört mir nicht mehr, sondern den Wessis.
    Werner Haus

  3. 6.

    Eins vorab: Ich bin dem Thema gegenüber eher neutral eingestellt und möchte nur kurz meine Meinung dazu kundtun.
    Ich bin 47 und lebe von kleinauf ohne Auto. Ich bin in meinem Leben 6x umgezogen und habe mich immer an einkaufs- und verkehrsgünstigen (und trotzdem ruhigen) Lagen orientiert. Ein Auto lohnt sich nicht. Selbst ein kleiner Motorroller würde mehr rumstehen als fahren. Die Einkäufe sind fußläufig gut zu erledigen (ggf. auch mal mit "Tüten im Bus") und Ausflüge organisiere ich im Voraus mit dem ÖPNV. Ich habe auch noch keine schlechten Erfahrungen im ÖPNV(Taschendiebstahl, Überfälle, etc.) erlebt. Bei Umzügen oder anderen größere Vorhaben wende ich mich an Freunde, die z.T. auch ein Auto anmieten können. Außerdem bin ich ein großer Freund von Fahrgemeinschaften. Und wenn es mal wirklich ungemütlich, unheimlich oder zu lange dauern würde und dennoch bequem sein soll - Geld für ein TAXI ist immer da. Man kann sagen, dass ich mich mit diesen Lebensumständen gut arrangiert habe.

  4. 5.

    Am Kottbusser Tor sind reglemäßig alle Feuerwehrzufahrten zu den Hochhäusern mit mehreren Autos zugeparkt. Falls es mal brent können sich hoffentlich alle Bewohner selbst schnell retten. Gleichzeitig stehen große Parkhäuser direkt am Kottbusser Tor weitgehend leer. Absolute Parkverbote werden hier schon lange nicht mehr geahndet. Neben der Oranienstraße zum Beispiel auch in der Sackgasse der Dresdener Strasse zum Kotti hin (hier parken oft am späteren Tag bis zu 15 Autos im Wendekreis vor einer FEUERWEHRZUFAHRT auch zu einer großen Kita) so dass kein durchkommen mehr ist oder am Bullenwinkel neben dem Oranienplatz oder die Rad- und Fußwege an den Ampeln am Heinrichplatz ... also ohne eine finanzierbare Kontrolle gefährden einige Autofahrer erheblich das Wohl der Allgemeinheit und blockieren ihre eigenen Wege und insbesondere die der anderer Verkehrsteilnehmer.

  5. 4.

    Vielleicht hat das eher mit der Frage zu tun, was alles mit dem Tanken an der Tankstelle (Mineralölsteuer, Krankenkassenbeiträge, ...) bezahlt wird. Dem Pankower Stadtrat Kirchner kann ich nur empfehlen, seine grüne Brille abzunehmen und nicht nur auf ausgewählte, ihn bestätigende Meinungen zu hören, sondern auf alle. Ja, alle wollen ihr Ziel in der Stadt erreichen, aber der ÖPNV ist nicht so gut, dass er dies erfüllt. Und wer will schon mit Einkaufstüten in Bus und Bahn, von Taschendieben bestohlen, in engstem Kontakt mit dem unbekannten Nachbarn nach Hause fahren und dann - weil zur falschen Zeit am falschen Ort - vor die U-Bahn gestoßen werden.
    Und, denken Sie bitte daran, zur Zeit kann ich wegen einer hoffentlich vorübergehenden Erkrankung NICHT lange stehen, was mir keiner ansieht. Woher bekomme ich eine Sitzplatzgarantie, solange andere Taschen und Rucksäcke auf den Sitzen - eigentlich schwarz - mitfahren Lassen?

  6. 3.

    Frishe Luft und ruhe bitte statt Abgässe und Lärm.

  7. 2.

    Lesen Sie Ihren Beitrag noch mal langsam durch, und dann erklären Sie mir doch mal, wie Sie mit Ihrem Verhalten mehr Parkraum schaffen (... und trotzdem schaffe ich mein Auto nicht ab. ... das Auto doch öfter mal stehen zu lassen. ...). Sie sind Ihrer eigenen "Ideologie" erlegen ....

  8. 1.

    Die Zahl der Autos ist in Berlin in den vergangenen zehn Jahren um 100.000 Stück gestiegen - mehr Parkplätze gibt es aber nicht. Die Folgen: vor allem Bewohner aufgewerteter Innenstadt-Gebiete kurven Abends auf der Suche nach einem Parkplatz ewig um den Block - und parken oft genug janz weit draußen. So geht es mir jedenfalls oft - und trotzdem schaffe ich mein Auto nicht ab. Weil (leider!) sehr viele so handeln wie ich, bin ich für die Parkraumbewirtschaftung - weil sie Anreize für Pendler, Shopper und Kneipenbesucher schafft, das Auto doch öfter mal stehen zu lassen.

    Wer diese Idee als Ideologie verhetzt - so wie CDU und FDP - soll gefälligst auch erklären, wie er die Parkplatznot sonst lindern will. Durch unideologisches Nichtstun etwa?

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