rbb24
  1. rbb|24
  2. Sport
Audio: rbb24 Inforadio | 17.03.2023 | Lars Becker | Quelle: Image/xMatthiasxKochx

Analyse | Unions Aus in der Europa League

Der Erfolg frisst seine Kinder

Es war ein bitterer Abend für den 1. FC Union. Die Europa-Reise der Köpenicker ist nach dem 0:3 bei Saint-Gilloise im Achtelfinale beendet. Das Team kann seine Müdigkeit nur noch selten kaschieren. Von Ilja Behnisch

Irgendwo muss man ja anfangen, warum nicht beim Anagramm-Generator? Treffer für "Union Berlin: Lob inner Uni", "Leb in Rio Nun" und "Lob, nein Ruin". Und voila, schon ist man im Thema, denn das Märchen, dass da "Union Berlin in Europa" heißt, es hat ein vorläufiges Ende gefunden und kein sonderlich glückliches. 0:3 (0:1) hieß es nach dem vierten Duell des Jahres gegen den belgischen Vertreter Union Saint-Gilles. Aus im Achtelfinale der Europa League.

Die Enttäuschung darüber war den Berliner Spielern nach Schlusspfiff in den Gesichtern abzulesen, und das hinreißend groß. Insbesondere Abwehrchef Robin Knoche schien von einer solchen Leere heimgesucht, dass man umgehend eine Spenden-Hotline für ihn einrichten wollte, um sein Glückskonto aufzufüllen.

0:3 im Achtelfinal-Rückspiel

Die Unioner Europa-Reise ist nach Niederlage bei St. Gilloise beendet

Für Union Berlin ist das europäische Abenteuer beendet. Die Köpenicker verloren am Donnerstag das Achtelfinal-Rückspiel der Europa League bei St. Gilloise mit 0:3. Ein Abwehrfehler leitete die Niederlage ein.

Dreifach-Belastung fordert ihren Tribut

Es war aber auch ein Abend zum Vergessen. Einer, der zudem beunruhigend über das eigentliche Spiel hinauswies. Denn Union Berlin, so scheint es, wird vom eigenen Erfolg gefressen. Zuvorderst ist da die Müdigkeit, die spätestens am vergangenen Spieltag in Wolfsburg bereits Einzug gehalten hatte in diese Mannschaft, vermutlich aber schon weit früher.

Verwunderlich ist das nicht, die Dreifach-Belastung aus Meisterschaft, DFB- und Europapokal fordert ihren Tribut. Zumal bei einer Mannschaft wie Union, deren Erfolg enorm von athletischen Komponenten abhängig ist. So ist die Mannschaft von Trainer Urs Fischer jene mit der zweithöchsten Laufleistung der Bundesliga (2846,1 Kilometer; nach dem 1. FC Köln mit 2852,9 Kilometer). In der Europa League hatte bis dato kein Team mehr Tacklings vollführt als die Berliner (137 - und damit acht mehr als Manchester United auf Rang zwei).

Zum Teil behäbiges Schema F

Die gute Nachricht: Bei gegnerischem Ballbesitz kann Union die Müdigkeit noch kaschieren. Die Abläufe sitzen, das Herzstück der Abwehr um Diogo Leite, Robin Knoche, Danilho Doekhi und Sechser Rani Khedira ist enorm (aufeinander) eingespielt. Die schlechte Nachricht: Bei eigenem Ballbesitz schleicht sich zunehmend der Fehlerteufel ein. Vor allem Diogo Leite zeigte sich wie schon am vergangenen Bundesliga-Wochenende in Wolfsburg punktuell unkonzentriert. So wie beim 0:1 durch Teddy Teuma (18.), als der Portugiese zu passiv auf ein unglückliches Zuspiel durch Robin Knoche reagierte und so für einen Ballverlust im eigenen Strafraum sorgte.

Doch die Berliner Müdigkeit war auch in der Offensive spürbar. Während die Belgier immer mal wieder einen Übersteiger oder einen No-Look-Pass einstreuten, war bei Union vieles von einem behäbigem Schema F geprägt. Kaum einmal gelang etwas Überraschendes oder gar Temporeiches. Darüber konnte auch die noch recht schwungvolle erste Viertelstunde nicht hinwegtäuschen, in der die Mannschaft von Trainer Urs Fischer nach Ballgewinn sofort den Steilpass versuchte und zumindest Linksverteidiger Jerome Roussillon so etwas wie Wirbel verursachte.

Keine Tickets und Betretungsverbote

Wie europäische Auswärtsreisen für Fans und Klubs zunehmend erschwert werden

Keine Tickets für Frankfurt-Fans in Neapel, Betretungsverbote für Union-Fans in Belgien – internationale Auswärtsreisen werden zunehmend vorab erschwert. Doch ist das angemessen - und vor allem rechtmäßig? Von Jakob Lobach

Fünftes Spiel ohne Sieg in Folge

Doch spätestens mit dem Rückstand hielt sie endgültig Einzug, die Müdigkeit. Saint-Gilloise verteidigte nun noch tiefer als ohnehin schon, lauerte auf Konter und überließ den Gästen aus Deutschland die schier unlösbare Frage: Was tun mit dem Ball? So traf Diogo Leite mit seinen diagonalen Verlagerungsbällen zwar punktgenau auf Köpfe, zum Leidwesen seiner Mitspieler jedoch zumeist belgische.

Während Jerome Roussillon fortan Flanken auf einen kopfballstarken Stürmer schlug, den nur er zu sehen schien, während der neutrale Zuschauer zeitgleich gesteigertes Mitleid mit Sven Michel entwickeln musste. Roussillons Gegenüber, Rechtsverteidiger Josip Juranovic, hatte zwar einen schönen Freistoß im Programm (21.), der nur knapp das Tor verfehlte. Dafür verfehlte er im Versuch, das Spiel über seine Bahn anzukurbeln, auch immer wieder seine Vorder- und Nebenleute. Wobei ein weiteres Problem der aktuellen Unioner Formkrise (fünftes Spiel ohne Sieg in Folge) ersichtlich wurde: fehlendes Verständnis.

Das Ende der Gewissheit

Lange Zeit schien es bei Union nahezu egal, wer denn nun tatsächlich aufläuft. Eine Achse aus Knoche, Khedira, Becker war und ist nahezu immer gesetzt. Aber ob der Außenverteidiger nun Trimmel, Gießelmann oder Ryerson hieß, spielte über Jahre offenbar keine sonderlich große Rolle. Zumeist waren die Herren nicht einmal auf eine Seite festgelegt. Union hatte, Urs Fischer und seiner Akribie sei Dank, einen klaren Spielplan, den die Spieler perfekt und scheinbar im Schlaf umzusetzen wussten. Eine Gewissheit, die immer mehr ins Wanken geriet, zuletzt und beim Spiel gegen Saint-Gilloise zuweilen fast schon ins Gegenteil kippte.

Insbesondere Morten Thorsby und Aissa Laidouni auf den eher offensiven Mittelfeldpositionen wirkten oft wie Fremdkörper, die erst noch verstehen müssen, was ihre Mitspieler wann machen und was das System von Urs Fischer von ihnen verlangt. Doch auch die Neuzugänge auf den Außen, Roussillon und Juranovic, wirkten in Belgien Union untypisch fremd im Team. Womöglich auch, weil ihr Trainer zuletzt darauf verzichtete, im Sturm auf mindestens einen Spieler zu setzen, der mit der Notfalloption "hoher Ball" zumindest theoretisch vertraut ist. Der ursprünglich für diese Rolle vorgesehene Jordan scheint seinen Kredit momentan verspielt zu haben. Er kam in Belgien erst in der 56. Minute ins Spiel. Doch auch mit dem US-Amerikaner kam Union über die 90 Minuten gesehen auf gerade einmal 29 Prozent gewonnener Kopfball-Duelle. Eine für das Unioner Spiel alarmierende Zahl.

Leistungsdruck im Nachwuchsfußball

Der harte Weg zum zerplatzten Traum

Der Beruf des Profifußballers ist für viele Heranwachsende ein großer Traum. Wer den Weg einschlagen will, muss allerdings großem Leistungsdruck und mentaler Belastung standhalten. Im Nachwuchsfußball versucht man gegenzusteuern. Von Lukas Witte

In der Bundesliga wartet jetzt Eintracht Frankfurt

Doch es gibt Hoffnung am Horizont. Der Spielplan der Fußball-Bundesliga meint es gut mit den Berlinern. Am Sonntag zu Gast im Stadion An der Alten Försterei: Eintracht Frankfurt. Die ebenfalls müde wirkten zuletzt und mit einem 0:3 aus Neapel anreisen, von wo aus sich der amtierende Europa League-Sieger aus der Champions League verabschiedete. Und falls das keinen Mut macht, hilft der Anagramm-Generator für "Eintracht Frankfurt": "Frank ruft Trance Hit." In Köpenick werden sie schon wissen, was das bedeutet.

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.03.2023, 07:16 Uhr

Beitrag von Ilja Behnisch

Artikel im mobilen Angebot lesen