Analyse | Unions Aus in der Europa League - Der Erfolg frisst seine Kinder

Fr 17.03.23 | 07:33 Uhr | Von Ilja Behnisch
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Union Berlin scheidet im Achtelfinale der EuroLeague aus. (Foto: Image/xMatthiasxKochx)
Audio: rbb24 Inforadio | 17.03.2023 | Lars Becker | Bild: Image/xMatthiasxKochx

Es war ein bitterer Abend für den 1. FC Union. Die Europa-Reise der Köpenicker ist nach dem 0:3 bei Saint-Gilloise im Achtelfinale beendet. Das Team kann seine Müdigkeit nur noch selten kaschieren. Von Ilja Behnisch

Irgendwo muss man ja anfangen, warum nicht beim Anagramm-Generator? Treffer für "Union Berlin: Lob inner Uni", "Leb in Rio Nun" und "Lob, nein Ruin". Und voila, schon ist man im Thema, denn das Märchen, dass da "Union Berlin in Europa" heißt, es hat ein vorläufiges Ende gefunden und kein sonderlich glückliches. 0:3 (0:1) hieß es nach dem vierten Duell des Jahres gegen den belgischen Vertreter Union Saint-Gilles. Aus im Achtelfinale der Europa League.

Die Enttäuschung darüber war den Berliner Spielern nach Schlusspfiff in den Gesichtern abzulesen, und das hinreißend groß. Insbesondere Abwehrchef Robin Knoche schien von einer solchen Leere heimgesucht, dass man umgehend eine Spenden-Hotline für ihn einrichten wollte, um sein Glückskonto aufzufüllen.

Dreifach-Belastung fordert ihren Tribut

Es war aber auch ein Abend zum Vergessen. Einer, der zudem beunruhigend über das eigentliche Spiel hinauswies. Denn Union Berlin, so scheint es, wird vom eigenen Erfolg gefressen. Zuvorderst ist da die Müdigkeit, die spätestens am vergangenen Spieltag in Wolfsburg bereits Einzug gehalten hatte in diese Mannschaft, vermutlich aber schon weit früher.

Verwunderlich ist das nicht, die Dreifach-Belastung aus Meisterschaft, DFB- und Europapokal fordert ihren Tribut. Zumal bei einer Mannschaft wie Union, deren Erfolg enorm von athletischen Komponenten abhängig ist. So ist die Mannschaft von Trainer Urs Fischer jene mit der zweithöchsten Laufleistung der Bundesliga (2846,1 Kilometer; nach dem 1. FC Köln mit 2852,9 Kilometer). In der Europa League hatte bis dato kein Team mehr Tacklings vollführt als die Berliner (137 - und damit acht mehr als Manchester United auf Rang zwei).

Zum Teil behäbiges Schema F

Die gute Nachricht: Bei gegnerischem Ballbesitz kann Union die Müdigkeit noch kaschieren. Die Abläufe sitzen, das Herzstück der Abwehr um Diogo Leite, Robin Knoche, Danilho Doekhi und Sechser Rani Khedira ist enorm (aufeinander) eingespielt. Die schlechte Nachricht: Bei eigenem Ballbesitz schleicht sich zunehmend der Fehlerteufel ein. Vor allem Diogo Leite zeigte sich wie schon am vergangenen Bundesliga-Wochenende in Wolfsburg punktuell unkonzentriert. So wie beim 0:1 durch Teddy Teuma (18.), als der Portugiese zu passiv auf ein unglückliches Zuspiel durch Robin Knoche reagierte und so für einen Ballverlust im eigenen Strafraum sorgte.

Doch die Berliner Müdigkeit war auch in der Offensive spürbar. Während die Belgier immer mal wieder einen Übersteiger oder einen No-Look-Pass einstreuten, war bei Union vieles von einem behäbigem Schema F geprägt. Kaum einmal gelang etwas Überraschendes oder gar Temporeiches. Darüber konnte auch die noch recht schwungvolle erste Viertelstunde nicht hinwegtäuschen, in der die Mannschaft von Trainer Urs Fischer nach Ballgewinn sofort den Steilpass versuchte und zumindest Linksverteidiger Jerome Roussillon so etwas wie Wirbel verursachte.

Fünftes Spiel ohne Sieg in Folge

Doch spätestens mit dem Rückstand hielt sie endgültig Einzug, die Müdigkeit. Saint-Gilloise verteidigte nun noch tiefer als ohnehin schon, lauerte auf Konter und überließ den Gästen aus Deutschland die schier unlösbare Frage: Was tun mit dem Ball? So traf Diogo Leite mit seinen diagonalen Verlagerungsbällen zwar punktgenau auf Köpfe, zum Leidwesen seiner Mitspieler jedoch zumeist belgische.

Während Jerome Roussillon fortan Flanken auf einen kopfballstarken Stürmer schlug, den nur er zu sehen schien, während der neutrale Zuschauer zeitgleich gesteigertes Mitleid mit Sven Michel entwickeln musste. Roussillons Gegenüber, Rechtsverteidiger Josip Juranovic, hatte zwar einen schönen Freistoß im Programm (21.), der nur knapp das Tor verfehlte. Dafür verfehlte er im Versuch, das Spiel über seine Bahn anzukurbeln, auch immer wieder seine Vorder- und Nebenleute. Wobei ein weiteres Problem der aktuellen Unioner Formkrise (fünftes Spiel ohne Sieg in Folge) ersichtlich wurde: fehlendes Verständnis.

Das Ende der Gewissheit

Lange Zeit schien es bei Union nahezu egal, wer denn nun tatsächlich aufläuft. Eine Achse aus Knoche, Khedira, Becker war und ist nahezu immer gesetzt. Aber ob der Außenverteidiger nun Trimmel, Gießelmann oder Ryerson hieß, spielte über Jahre offenbar keine sonderlich große Rolle. Zumeist waren die Herren nicht einmal auf eine Seite festgelegt. Union hatte, Urs Fischer und seiner Akribie sei Dank, einen klaren Spielplan, den die Spieler perfekt und scheinbar im Schlaf umzusetzen wussten. Eine Gewissheit, die immer mehr ins Wanken geriet, zuletzt und beim Spiel gegen Saint-Gilloise zuweilen fast schon ins Gegenteil kippte.

Insbesondere Morten Thorsby und Aissa Laidouni auf den eher offensiven Mittelfeldpositionen wirkten oft wie Fremdkörper, die erst noch verstehen müssen, was ihre Mitspieler wann machen und was das System von Urs Fischer von ihnen verlangt. Doch auch die Neuzugänge auf den Außen, Roussillon und Juranovic, wirkten in Belgien Union untypisch fremd im Team. Womöglich auch, weil ihr Trainer zuletzt darauf verzichtete, im Sturm auf mindestens einen Spieler zu setzen, der mit der Notfalloption "hoher Ball" zumindest theoretisch vertraut ist. Der ursprünglich für diese Rolle vorgesehene Jordan scheint seinen Kredit momentan verspielt zu haben. Er kam in Belgien erst in der 56. Minute ins Spiel. Doch auch mit dem US-Amerikaner kam Union über die 90 Minuten gesehen auf gerade einmal 29 Prozent gewonnener Kopfball-Duelle. Eine für das Unioner Spiel alarmierende Zahl.

In der Bundesliga wartet jetzt Eintracht Frankfurt

Doch es gibt Hoffnung am Horizont. Der Spielplan der Fußball-Bundesliga meint es gut mit den Berlinern. Am Sonntag zu Gast im Stadion An der Alten Försterei: Eintracht Frankfurt. Die ebenfalls müde wirkten zuletzt und mit einem 0:3 aus Neapel anreisen, von wo aus sich der amtierende Europa League-Sieger aus der Champions League verabschiedete. Und falls das keinen Mut macht, hilft der Anagramm-Generator für "Eintracht Frankfurt": "Frank ruft Trance Hit." In Köpenick werden sie schon wissen, was das bedeutet.

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.03.2023, 07:16 Uhr

Beitrag von Ilja Behnisch

15 Kommentare

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  1. 15.

    Nur der Klassenerhalt zählt hat Urs Fischer gesagt. So isses. Eisern Union

  2. 14.

    Ich bin kein Fussballfan im generellen, da es sich in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr in eine Geldmaschine verwandelt hat, aber Union hat mich persönlich dem Sport wieder näher gebracht. Ich mag dieses bodenständige kämpfen um die Bälle. Und wie wir Menschen eben so sind, warten wir ja nur auf eine Niederlage, Misserfolg oder Fehler um dann sagen zu können, wir haben es ja gewusst. Sind die Spieler müde? Bestimmt....ist das normal, wenn man keine 30 Jahre erste Liga spielt, bestimmt!

  3. 13.

    Ist das jetzt Arroganz, Überheblichkeit oder was auch immer.
    Als ob Union diese Spiele locker gewinnen würde.
    Gerade gegen Augsburg hat Union kaum was gerissen.

  4. 12.

    Hertha wird sicher nicht aufgrund von mangelndem Siegeswillen des FC Union bangen müssen. Wettbewerbsverzerrung kenne ich eigentlich nur von den Bayern, und auch nur dann, wenn sie schon Meister sind. Deren Arbeitsverweigerung hätte Hertha im letzten Jahr tatsächlich fast das Genick gebrochen. Bei Union gehe ich allerdings davon aus, dass der Club ein eigenes Interesse an der Teilnahme an internationalen Wettbewerben und einer möglichst guten Abschlussplatzierung hat. Ob die tatsächlichen Ergebnisse dann gut oder schlecht für Hertha sind, ist irrelevant, denn Hertha muss selbst beweisen, dass es für die erste Liga reicht.

  5. 11.

    Ich stehe keiner Mannschaft nahe. Aber das gestern war peinlich unfair, mit viel zu vielen Fouls, da war nix eisern drann, grade mal blech auch Köpenick…..

  6. 10.

    Das gestrige war das 37. Punktspiel in dieser Saison, und die Mannschaft hängt aktuell etwas durch. Was angesichts der Spielphilosophie, also des aufwendigen Spielstiels des FCU nicht allzu sehr überraschen dürfte.

    Die Analyse von Ilja Behnisch ist ziemlich akkurat. Der FCU steckt infolge des doch immer noch unglaublichen Erfolgs der letzten Jahre m. E. gerade in einer Umbruchphase und damit auch in einer gewissen "Zwickmühle". Man möchte natürlich das bewährte Erfolgskonzept weiterfahren, sich aber auch weiterentwickeln. Und die anvisierte Hinwendung zu mehr "Spiel mit dem Ball" braucht natürlich Zeit, die man aber aufgrund des engen Spielplans einfach nicht hat. Das Zwischenergebnis dieser Entwicklung war gestern Abend gegen einen eingespielten Gegner ziemlich gut ablesbar.

    Wir Unioner blicken aber immer frohgemutes in die Zukunft - wat sonst!

  7. 9.

    Kein Pyro, kein Krawall, geht doch Reisekader.

  8. 8.

    auf die bundesliga konzentrieren...nicht nach den sternen greifen...
    klassenerhalt anstreben...und erhalten...
    bayern...und anderen bundesliga mannschaften brauchten für europa zig...jahre...
    unveu

  9. 7.

    über das Ausscheiden bin ich überhaupt nicht unglücklich - jede Niederlage in der Bundesliga schmerzt dagegen sehr. Vielmehr bin ich stolz und dankbar über das Erreichte. Wegfall der zusätzlichen Belastung kann sich nur positiv auf den Bundesliga-Alltag auswirken. Saint Gilloise darf sich jetzt an Bayer Leverkusen abarbeiten - das braucht kein Unioner.

  10. 6.

    Ja, Trollo. Das gestrige Spiel von Union war nicht gut... und was soll´s?
    Die Jungs haben sehr vielen Menschen in Berlin bereits unvergessliche europäische Abende geschenkt und Berlin als ganzes und allein würdig in Europa verteten. Ein Grund mehr stolz zu sein auf das, was der Verein mit seinen Möglichkeiten erreicht hat und noch wird. Nun heisst es Konzentration auf die Liga. Ich möchte nächste Saison wieder europäisch mit meinen Jungs und denen auf dem Feld feiern in der Alten Försterei. "Europapokal - Europapo, Europapokal-Europapo..."
    Eisern!

  11. 5.

    ich kann jetzt nur raten, daß die Hertha Fans mit Häme sehr vorsichtig sein sollen. Ich kann es auch begründen. Sie spielen noch gegen Hoffenheim und Augsburg. Da braucht Ihr die Eisernen, damit sie euch helfen.

  12. 4.

    Bis letzte Woche hat sich Köpenick noch ganz gut gehalten in Europa auch wenn oft eine Menge Glück dabei war. Aber wie heißt es immer: Glück muss man sich verdienen. Was sie gestern abgeliefert haben war richtig schlecht und das gegen einen Gegner der nicht Spitze in Europa ist und in der nächsten Runde auch ausscheiden wird.
    Grüße in die Alte Trösterei.

  13. 3.

    Scheint die Belastung (Europa, Pokal, BL) war zu groß. Während der andere Berliner Verein sich zurück legt und allenfalls Kraft aufwenden, mal wieder nicht abzusteigen.
    Danke FCU für Spielfreude, Charakter, Siegeswillen, Zusammenhalt.
    Manchmal klappt es eben nicht. Vielleicht im nächsten Jahr.

  14. 2.

    Eisern Union!
    Bin voller Stolz und dankbar für die schönen Erlebnisse.

  15. 1.

    Eisern Union! Die Jungs sind ja nicht in diese Saison mit dem Ziel gestartet dort zu stehen wo man heute steht. Aber man hat sich von Jahr zu Jahr stetig gesteigert. Man ist mittlerweile erfolgsverwöhnt und man kann eben nicht jedes Spiel gewinnen. Hey - wir haben sogar Ajax früher rausgeworfen. Es geht weiter und man hat sich auch mal Ruhe verdient. Die Bundesliga ist wichtiger.

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