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Das Ehepaar Riedel in ihrem Laden | Quelle: Ulrich Bentele

Corona und der Einzelhandel

"Dann wäre mein Lebenswerk brutal beendet"

Geschlossene Geschäfte, verzögerte Staatshilfen. Viele Händler kämpfen in der Pandemie um ihre berufliche Existenz, etwa die Potsdamer Modeverkäuferin Marianne Riedel. Profiteur der Krise ist der Onlinehandel. Vielen Innenstädten droht hingegen eine Verödung. Von Ulrich Bentele

Der Herbst wird schwarz. Jedenfalls, was die Mode betrifft. Marianne Riedel steht mit ihrem Mann Jürgen in einem großen Showroom in Kleinmachnow. Es ist Mitte Februar. Die Inhaberin der Potsdamer Modeboutique "Society Mode" schaut auf die teuren Fashion-Teile auf den Kleiderständern: Verschiedenste Schwarz-Schattierungen geben den Farbtrend der Herbst-Winter-Kollektion vor. Die Modehändlerin ist heute hier, um zu ordern. Das Problem: Ihre Kassen sind weitgehend leer. "Es bewegt sich alles auf sehr dünnem Eis", sagt sie. "Aber wir brauchen die neue Ware. Wenn wir jetzt nichts bestellen, haben wir im kommenden Jahr auch nichts zu verkaufen."

Seit gut zwei Monaten ist ihr Geschäft in der Potsdamer Innenstadt geschlossen. Die Umsätze liegen nahe bei Null, dagegen stehen Fixkosten von rund 18.000 Euro monatlich. Und die Auszahlungen der angekündigten staatlichen Überbrückungshilfen verzögern sich.

Handelsverband: "Immer mehr Händlern geht die Luft aus"

"In Berlin und Brandenburg gibt es weit über 200.000 Arbeitsplätze, die im Bereich Handel verwurzelt sind, und ein Großteil davon ist in großer Gefahr", sagt Björn Fromm, Präsident des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. Er bezeichnet die Situation des Einzelhandels als dramatisch. "Es geht allen mehr und mehr die Luft aus. Und ohne Hilfen, die endlich ankommen müssen: Echte November-, Januar-, Februar-, Märzhilfen - wie auch immer sie heißen - ohne diese wird der Handel so nicht wieder öffnen."

Dabei ergibt der Blick auf die Fakten ein vielschichtiges Bild. Denn wo es in der Pandemie Verlierer gibt, finden sich auch Gewinner. Das gilt auch für den Einzelhandel. Während etwa der Textil- und Schuhhandel 2020 ein Umsatzminus von 23,4 Prozent verzeichnen musste, konnte der Internet- und Versandhandel um satte 24,1 Prozent zulegen. Insgesamt gab es für den Einzelhandel im Corona-Jahr 2020 sogar ein reales Plus von 3,9 Prozent.

Discounter dürfen Kleidung weiterhin legal verkaufen

Marianne Riedel hilft das wenig. Fast täglich ist sie mit ihrem Mann im Laden, jede Woche dekoriert sie ihre Schaufenster um. Ab und an kommt eine Bestellung per Telefon, doch der Umsatz liegt mehr als 80 Prozent unter Normalniveau. 200 Quadratmeter hat das Geschäft, Kundinnen und Kunden drängelten sich hier auch sonst nie dicht an dicht. Die Menschen, die hier einkaufen, schätzen Riedels Expertise, ihre kompetente Beratung in Stilfragen. Seit 1994 verkauft sie in Potsdam Mode. Doch im Lockdown darf hier keiner rein, trotz Hygienekonzept.

Wer heute Kleidung shoppen will, kann das dennoch tun, nicht nur online. "Die ganzen Discounter verkaufen ja nicht nur Lebensmittel, sie verkaufen auch Textilien und dürfen das legal", sagt Marianne Riedel - und sie ärgert sich sichtlich darüber. "Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen da aufeinanderhängen! Das steht doch in keinem Verhältnis, und es ist auch ungerecht uns gegenüber."

Online-Händler sind Profiteure der Krise

Neben Lebensmittelketten sind es vor allem die großen Online-Plattformen, die von der Krise profitieren. Viele stationäre Einzelhändler verkaufen im Lockdown vermehrt auch über Online-Marktplätze, etwa bei Amazon. Irgendwie müssen die vollen Lager ja geleert werden, auch wenn die Margen - im Handel ohnehin nicht so üppig - noch geringer ausfallen. Denn die großen Online-Riesen nehmen teils üppige Provisionen.

Björn Fromm vom Handelsverband Berlin-Brandenburg sieht die übermächtige Online-Konkurrenz auch aus einem anderen Grund kritisch. Die Ausgangsbedingungen seien einfach unfair. So zahle Amazon etwa nach wie vor viel zu wenig Steuern in Deutschland - und könne auch deshalb oft die günstigsten Preise anbieten. "Unternehmen müssen Steuern und Abgaben zahlen, und wir werden wirklich nur einen fairen Wettbewerb erzeugen, wenn diese Online-Marktplätze steuerlich an die Ketten gelegt werden."

Der Online-Handel in Deutschland wird in diesem Jahr laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel erstmals die Grenze von 100 Milliarden Euro überspringen. Und nicht nur die Jungen kaufen im Internet. Fast jeder dritte Onlinekäufer war 2020 älter als 60 Jahre alt.

Viele stationäre Händler haben es dagegen in den vergangenen Jahren versäumt, sich online ein zusätzliches Standbein aufzubauen. Doch ohne online wird es in Zukunft nicht gehen. Das weiß auch Jürgen Riedel. "Wir haben jetzt im Lockdown noch einmal eine Investition in den Internetshop getätigt. Wir wissen, dass wir da keinen großen Gewinn machen werden. Aber wir wollen natürlich im Internet präsent sein." 5.000 Euro zusätzlich haben die Riedels für ihre neue Webseite investiert. Viel Geld in Zeiten leerer Kassen. Und beim Preiskampf mit den großen Online-Plattformen wird ihr kleiner Webshop ohnehin kaum eine Chance haben. Das Geschäftsmodell bei "Society Mode" ist die persönliche Kundenbindung und eine kompetente Beratung vor Ort, nicht das billigste Angebot.

Quelle: Ulrich Bentele

Innenstädten droht eine Verödung nach der Pandemie

Während viele stationäre Einzelhändler eine Pleite fürchten, verlieren auch die Innenstädte in der Pandemie massiv an Attraktivität: Um 80 Prozent gingen dort die Besuche 2020 zurück. "Die Verödung eines Stadtzentrums wäre gerade nach so einer Krise wirklich ein Sinnbild dafür, wie diese Pandemie durch die ganze Gesellschaft und durch die Stadt gefegt ist“, warnt die Stadtplanerin Cordelia Polinna vom Berliner Unternehmen Urban Catalyst. Ihre mittelfristige Prognose ist eher pessimistisch. "Wenn erst einmal ein, zwei, drei Geschäfte geschlossen sind, dann leiden natürlich auch die in der unmittelbaren Nachbarschaft. Das könnte durchaus eine Abwärtsspirale lostreten."

Im Showroom in Kleinmachnow inspiziert Marianne Riedel derweil die schönsten Teile der kommenden Herbst-Kollektion. Ihre Stimmung schwankt zwischen Hoffnung und Zukunftsangst. "Also wenn wir nicht bald Hilfen bekommen, sehe ich mein persönliches Lebenswerk dann auch ganz brutal beendet.“ Ihre Hoffnung liegt auf der Überbrückungshilfe 3. Die Voraussetzung für Unterstützung liegt bei den Riedels vor, betriebliche Fixkosten sollen erstattet werden. Unklar ist aber nach wie vor, wann diese Zahlungen tatsächlich eintreffen. Die Zeit drängt.

Ehemann Jürgen legt die Hand um die Schulter seiner Frau. Er denkt nicht ans Aufgeben und verbreitet Zuversicht. "Wenn die Überbrückungshilfe bald kommt, werden wir es auf jeden Fall schaffen. Ich sage immer, man darf die Lust nicht verlieren. Und den Glauben daran, dass es irgendwann auch wieder besser wird."

Sendung: Im rbb Fernsehen: "Zukunft Einzelhandel - was kommt, wenn Corona geht?" Ein Film von Ulrich Bentele, Dienstag, 23. Februar 2021, 21:00 Uhr

Beitrag von Ulrich Bentele

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