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Video: rbb24 Abendschau | 08.09.2022 | Quelle: dpa/H. Schmidt

Datenrecherche zu Fachkräftemangel

Wo eine Stellenbesetzung zehn Monate dauert

Die Gesellschaft wird immer älter und in immer mehr Branchen werden dringend Mitarbeiter:innen gesucht. In Berlin macht sich der Fachkräftemangel schon bemerkbar - und in Brandenburg ganz besonders. Von Götz Gringmuth-Dallmer

Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften wird in einer Branche ganz besonders deutlich: In der Altenpflege kommen in Brandenburg auf 100 gemeldete offene Stellen nach aktuellen Zahlen 23 Arbeitslose, die sich für solch eine Stelle interessieren. Damit steht dieser Wirtschaftszweig in Brandenburg an der Spitze.

Sie ist damit jedoch nicht allein, es werden von Jahr zu Jahr mehr. Denn die Zahl der Berufsgruppen in Berlin und Brandenburg, in denen von Firmen Mitarbeitende gesucht werden, steigt weiter. Wie eine Auswertung von Daten der Arbeitsagentur zeigt, die rbb|24 vorgenommen hat, gibt es in Brandenburg in mindestens 44 Berufsgruppen zu wenige Arbeitslose, um die gemeldeten offenen Stellen zu besetzen (Stand Juli 2022). Im Juli 2017 waren dagegen nur in 16 Berufsgruppen zu wenige Arbeitskräfte auf dem Markt.

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Besonders groß ist die Lücke in Brandenburg bei Pflegeberufen, in der Mechatronik, der Medizin- und Energietechnik, der Pharmazie, bei Rettungsdiensten, aber auch bei Klempnerei und Klimatechnikberufen.

Deutlich weniger dramatisch liest sich die Statistik für Berlin. Hier fallen zurzeit nur zwölf Berufsgruppen in diese Kategorie, vor fünf Jahren waren es noch sieben. Auch hier gehören Berufe in der Altenpflege, Klempner und Sanitärberufe sowie in der Medizintechnik dazu.

Wie groß der Bedarf an Fachkräften oder wie groß die Lücke zwischen angebotenen Arbeitsstellen und Arbeitskräften, die diese Stelle besetzen könnten, wirklich ist, kann nur annähernd beziffert werden. Unternehmen sind nicht verpflichtet, offene Stellen an die Arbeitsagentur zu melden. Die weiß nur, wie viele Menschen in bestimmten Berufsgruppen nach einem Arbeitsplatz suchen. Experten gehen dann von einem Mangel aus, wenn auf 100 offene Arbeitsstellen für Fachkräfte weniger als 200 Arbeitslose kommen.

Ein weiteres Indiz für den Mangel an Arbeitskräften ist die sogenannte Vakanzzeit, also die Zeit, die es benötigt, eine Stelle wieder neu zu besetzen. Auch hier dauert es oftmals mehrere Monate, bis die Firmen jemanden für eine offene Stelle gefunden haben. Am längsten dauert es nach den jüngsten Statistiken in Brandenburg bei Bodenverlegern: 313 Tage, also etwa zehn Monate.

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Der Arbeitsmarktforscher Holger Seibert vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema. Für ihn liegt der Hauptgrund in der demografischen Entwicklung in den östlichen Bundesländern: "Die Menschen im Alter bis 30 Jahre sind deutlich weniger als die, die 55 Jahre und älter sind." Dadurch würden weniger Menschen auf dem Arbeitsmarkt nachkommen. "Das wird sich weiter verschärfen", so Seibert.

Denn die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter geht weiter zurück, damit schrumpft auch das sogenannte Erwerbspersonenpotential. Die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen, so Seibert, sei aber immer noch da. Für Brandenburg werde es so bleiben, weil immer mehr Ältere in den Ruhestand gingen, als Jüngere nachwüchsen. Zudem gebe es wachsende Probleme, Jugendliche für die Ausbildung zu finden.

Nur drei von zehn Stellen für Experten werden gemeldet

Regina Flake, Arbeitsmarktexpertin vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, geht nach eigenen Angaben inzwischen davon aus, dass die oben genannte Berechnung von 2:1 nicht mehr für alle Qualifikationsniveaus zutrifft. "Stellen für Akademiker werden oft nicht der Arbeitsagentur gemeldet", so Flake. "Hier kann deshalb schon von einem Fachkräftemangel sprechen, wenn es drei gemeldete arbeitslose Akademiker für eine offene Stelle gibt."

So differenziert das IW inzwischen bei den Meldequoten nach Anforderungsniveaus. Demnach lag die Meldequote im Jahr 2020 bei Helfern bei 55,7 Prozent - etwa 56 von 100 offenen Stellen werden der Arbeitsagentur also tatsächlich gemeldet. Bei Fachkräften sind es 53,7 Prozent, bei Spezialisten 48,5 Prozent und bei Experten gerade mal 30,1 Prozent.

Dazu kommt noch ein weiteres Problem in der offiziellen Statistik, wie das IW in einem Report von 2020 an folgendem Beispiel beschrieben hat: Eine offene Stelle für einen Land- und Baumaschinen-Mechatroniker kann beispielsweise nicht ohne Weiteres mit einem arbeitslosen Zweirad-Mechatroniker besetzt werden, auch wenn beides Berufe der Fahrzeugtechnik sind. Wenn in der Statistik also 10 offenen Stellen für Mechatroniker 20 arbeitlose Mechatroniker gegenüberstehen, muss es noch lange nicht zusammenpassen.

35 Prozent der offenen Stellen in der Region konnten nicht besetzt werden

Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) am Institut der Deutschen Wirtschaft beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Fachkräftemangel. Es hat eine recht komplexe und ausgefeilte Methode entwickelt, um die vorhandenen Zahlen zu analysieren. Das Ergebnis unterscheidet sich am Ende nicht wesentlich von den Zahlen der Arbeitsagentur: In Berlin und Brandenburg fehlen zunehmend Fachkräfte und Experten über viele Branchen hinweg.

Besonders in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege, der Informatik, der Bauelektrik und der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik fehlen Fachkräfte und Expert:innen (Informatik). So konnten 2021 35 Prozent der offenen Stellen, bei denen Experten gesucht wurden, in der Region Berlin-Brandenburg nicht besetzt werden.

Bei Stellen für qualifizierte Arbeitskräfte, für Fachkräfte und Spezialisten konnte ein Viertel bis ein Fünftel der Stellen nicht neu besetzt werden. Nur bei Helfertätigkeiten, für die es in der Regel keine Ausbildung benötigt, gab es keine Probleme, offene Stellen neu zu besetzen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.09.2022, 6 Uhr

Beitrag von Götz Gringmuth-Dallmer

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