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Quelle: imago images/PEMAX

Ende der Kernkraft

Der Rückbau des Atomkraftwerks Rheinsberg und der lange Weg zurück zur grünen Wiese

Das Kernkraftwerk in Rheinsberg war das erste, das in der DDR errichtet wurde. Nach der Wende wurde es abgeschaltet. Dann begann der Rückbau. Er zeigt, wie schwierig es ist, eine radioaktiv kontaminierte Anlage zu entsorgen. Von Andreas B. Hewel

Das Gelände ist immer noch vollständig abgeschirmt. Eine rund zwei Meter hohe Mauer umgibt das Areal, gekrönt von Stacheldraht und Meldedrähten. Der Zugang zum einstigen Kernkraftwerk Rheinsberg (Ostprignitz-Ruppin) wird immer noch streng kontrolliert. Einzig an der abgeblätterten Farbe an der Mauer kann man erahnen, dass die Betriebszeit des Kernkraftwerks schon lange vorbei ist.

Rückbau dauert länger als die Betriebszeit

So hat das Bundesland Brandenburg eine eigene Stromgewinnung aus Kernkraft nie erlebt. Kurz vor der Wiedervereinigung und der Gründung des Landes wurde in Rheinsberg im Sommer 1990 das einzige Kernkraftwerk auf Brandenburger Gebiet abgeschaltet. Sicherheitsbedenken führten damals dazu, dass das erste Kernkraftwerk der DDR zwei Jahre früher als geplant stillgelegt wurde.

24 Jahre lang, von 1966 bis 1990, hatte der Druckwasserreaktor bis zu 80 Megawatt Strom erzeugt, genug um damals eine Stadt wie Potsdam versorgen zu können. Schon wenige Jahre nach der Abschaltung begann das letzte Kapitel der Geschichte des Kernkraftwerks Rheinsberg. 1995 startete der Rückbau des Atommeilers. Das Ziel: eine grüne Wiese.

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Erhard Geisler hat 26 Jahre lang im Auftrag der Landesregierung den Rückbau des Kernkraftwerkes überwacht, bis er Ende 2021 in den Ruhestand ging. Der Atomphysiker hatte in den 1980er Jahren selbst am Kernkraftwerk gearbeitet. Nach dessen Abschaltung übernahm er die Kontrolle über den Rückbau.

Die Aufgabe war immens. Doch dass dies eine Lebensaufgabe für ihn werden würde, damit hatte er nicht gerechnet. "Es gab mal so Deadlines", sagt Geisler fast lakonisch, "mal war es 2010, mal war es 2015. Nach meiner Kenntnis ist jetzt die nächste Deadline so Ende der 2030er Jahre." Erst dann also soll der Rückbau des Kernkraftwerkes abgeschlossen sein. Das wäre weit mehr als 40 Jahre nach der Stilllegung. Damit übersteigt die Zeit des Rückbaus des Kernkraftwerkes deutlich die eigentliche Betriebszeit.

Die Leitwarte des stillgelegten Kernkraftwerkes in Rheinsberg aufgenommen am 02.07.2015. | Bild:dpa/B.Settnik | Quelle: dpa/B.Settnik

Unerwartete Kontaminierungen erschweren den Rückbau

Das Kernkraftwerk Rheinsberg war ein Kraftwerk der ersten Generation. Das machte und macht beim Rückbau besondere Schwierigkeiten. Denn beim Bau des Kraftwerkes hatte man damals nicht bedacht, wie man die Anlage später wieder zurückbauen kann. Später, bei neueren Kernkraftwerken, wurden Demontage-Pläne eine Voraussetzung, um überhaupt zugelassen zu werden.

So aber waren hier um den Reaktor herum zum Beispiel meterdicke Betonwände, die zum Teil deutlich höher kontaminiert waren als erwartet. "Das heißt, alles zurück, neu prüfen, neu entscheiden", sagt Geisler. "Das ist sicherlich nicht immer zur Freude der Ingenieure vor Ort, aber das ist nun mal Behördenaufgabe." Das aber verzögert natürlich den Rückbau.

Das Kernkraftwerk in Rheinsberg aufgenommen am 02.07.2015. | Bild:dpa/B.Settnik | Quelle: dpa/B.Settnik

Selbst der Castor kam an seine Grenzen

Am heikelsten aber war unter anderem die Bergung der Brennstäbe und das Verladen des Castor-Behälters. Denn das konnte nicht wie sonst bei anderen Rückbauarbeiten unter einer abschirmenden Wasseroberfläche gemacht werden, sondern musste trocken bewerkstelligt werden. Und auch als der Castorbehälter beladen war, gab es eine weitere Hürde. Der Behälter musste 19 Meter nach oben gehoben werden. Dafür aber ist er gar nicht ausgelegt.

Für Erhard Geisler war das eine technische Herausforderung, die ihn noch heute ernst werden lässt. "Was passiert, wenn dann doch die Sicherheitsvorrichtungen versagen und der Castor mehr als neun Meter herunterfällt? Die Sicherheitsprüfung des Castors war auf neun Meter Sturz ausgerichtet. Was würde passieren, wenn er ausklinken würde, obwohl er das nicht darf?" Das Problem wurde gemeistert. 2007 wurde der Reaktorblock des Kernkraftwerkes abtransportiert. Es zeigt aber auch, wie schwierig jeder einzelne Schritt beim Rückbau eines Kernkraftwerks ist.

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Jedes Kernkraftwerk ist anders

Eine Blaupause für den Rückbau auch anderer Kernkraftwerke aber, so Geisler, sei Rheinsberg nicht. Jedes Kernkraftwerk sei anders und weise andere Probleme auf. Bestenfalls seien die Erfahrungen aus Rheinsberg hilfreich für andere Rückbauvorhaben.

Eines aber hält Geisler bei allen anderen Anlagen für wichtig: Mit dem Rückbau sollte man nach der Stilllegung nicht lange warten. "Das Ziel sollte wirklich sein", mahnt Geisler, "es so zügig wie möglich zu tun. Denn ein Handicap ist, dass die erfahrenen Personen, die Kenntnis von der Anlage haben, in Rente gehen. Die Erfahrung, eine laufende Anlage zu kennen, ist durch nichts aufzuwiegen. Deshalb kann man nur den Rat geben: so zügig wie möglich."

Ein Reaktorgefäß aus dem stillgelegten AKW Rheinsberg. | Bild:dpa/S.Sauer | Quelle: dpa

Das Beispiel Rheinsberg zeigt: Der Rückbau aller Kernkraftwerke in Deutschland wird noch viele Jahrzehnte dauern. Das betont auch Wolfram König, der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, kurz BASE. "Über viele Jahrzehnte müssen nun die offenen Fragen gelöst werden, die während des Atomzeitalters in Deutschland nicht beantwortet worden sind", klagt König. "Den gut sechs Jahrzehnten, in denen die Atomenergie zur Stromerzeugung genutzt wurde, stehen noch mindestens weitere 60 Jahre bevor, die wir für den Rückbau und die langzeitsichere Lagerung der Hinterlassenschaften benötigen werden."

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Weltweit gibt es noch kein Endlager

Diese Hinterlassenschaften sind der radioaktive Abfall sowohl der Brennstäbe selbst als auch des kontaminierten Materials. Ein Endlager für das hochradioaktive Material gibt es bis heute nicht. Denn die Anforderungen an ein solches Endlager sind erheblich. Mindestens eine Million Jahre lang müsse das Material dort sicher eingelagert werden können. Das heißt, es muss sicher sein, ohne dass sich irgendjemand darum kümmert. Und es muss mindestens 300 Meter unter der Oberfläche sein.

Seit Jahren lotet das BASE geeignete Standorte aus. Theoretisch könnte da auch Brandenburg in Frage kommen. Tonsteine im Westen und Norden des Landes könnten geeignet sein und kristallines Felsgestein im Süden. Doch auch in fast allen anderen Bundesländern gibt es theoretisch geeignete Regionen. Entschieden ist noch lange nichts. Selbst oberirdische Erkundungen haben noch nicht begonnen, geschweige denn Bohrungen.

Riesige Menge an radioaktivem Abfall

Die Abfallmenge ist enorm, die man bundesweit bewältigen muss. Allein 1.900 Behälter mit hochradioaktivem Material sind zu lagern. Zudem braucht man ein Lager für gut 600.000 Kubikmeter von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen. Eine riesige Menge. Außer Frage steht, dass dies nur unter der Erde geschehen kann. "Die Endlagerung in tiefen geologischen Schichten bietet dafür die nach wie vor sicherste Lösung", sagt BASE-Präsident König. "Erst wenn dies dauerhaft gewährleistet ist, ist der Atomausstieg vollständig umgesetzt."

So gut möglicherweise der radioaktive Abfall aber auch in tiefen Endlagern abgeschirmt werden wird, die Strahlung dort wird bleiben. So ist in den Brennstäben unter anderem Uran 238. Dessen Halbwertszeit beträgt knapp 4,5 Milliarden Jahre. Das entspricht fast dem gesamten Alter der Erde. Danach ist noch immer die Hälfte des Uran-Isotops vorhanden.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 14.04.2023, 19.30 Uhr

Beitrag von Andreas B. Hewel

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