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Audio: rbb24 Inforadio | 10.03.2023 | Maria Ossowski | Quelle: dpa/M.Brandt

Russischer Regisseur Kirill Serebrennikow

"Sie begehen da gerade Selbstmord mit diesem Krieg"

In Russland wurde der Regisseur Kirill Serebrennikow verfolgt, verhaftet, in Hausarrest gesteckt und sein Theater geschlossen. Seit dem Überfall auf die Ukraine lebt er in Berlin und inszeniert jetzt an der Komischen Oper. Von Maria Ossowski

Er hat fast zwei Jahre auf 40 Quadratmetern gelebt und durfte im Hausarrest die Wohnung nicht verlassen. Per Zoom hat Kirill Serebrennikow 2018 Mozarts Oper "Cosi fan tutte" für die Züricher Oper inszeniert. Das sei Geschenk gewesen, sagt er. Am Samstag feiert das Stück an der Komischen Oper Berlin Premiere.

"Wenn Du überleben willst oder Dich lebendig fühlen willst, wenn Du Dich erholen willst oder Dich heilen willst, dann höre Mozart", so Serebrennikow. "Mozart ist der beste Ko-Autor des Lebens, der beste Ko-Träumer, der beste Freund. In diesen schrecklichen politischen Zeiten braucht man einen Ausweg. Du brauchst eine Art Pille, eine Behandlung, damit diese Bastarde Dich nicht töten. Deshalb ist Mozart der beste Ko-Therapeut."

Direkt-Inszenierung der Züricher Arbeit in Berlin

Serebrennikow inszeniert das Werk jetzt an der Berliner Komischen Oper direkt, als Revival seiner Online-Arbeit für Zürich - und doch ganz anders, mit anderen Sängern. Es sei für ihn, erzählt er, eine neue Produktion und so wichtig, denn Mozart erzählt von komplizierten Seelenlandschaften. Sie sind für den 54-jährigen Starregisseur, dessen Produktionen am mittlerweile geschlossenen Moskauer Gogol-Theater immer ausverkauft waren, das genaue Gegenteil der primitiven Schwarzweiß-Logik eines Krieges, nur mit Töten oder Getötetwerden.

Serebrennikow lebt inzwischen in Berlin. Auf die Frage, worin er den Unterschied zwischen der deutschen und der russischen Gesellschaft sehe, antwortet er: Die Deutschen hätten begriffen, dass Krieg Selbstmord ist und eine Gesellschaft total zerstören kann. "Die Menschen in Russland sind groß geworden mit der ständigen Erinnerung an den Sieg im Zweiten Weltkrieg. Schon als Kinder haben wir ständig über den Sieg gesprochen. Sieg. Sieg. Sieg. Und deswegen denken sie, dass Krieg am Ende Sieg bedeuten kann."

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"Kein Sieg, wenn 20 Millionen getötet wurden"

"Meiner Meinung nach kann man doch nicht den Begriff Sieg benutzen, wenn 20 Millionen Russen im Zweiten Weltkrieg getötet wurden", sagt Kirill Serebrennikow. "Das ist kein Sieg, das ist blutige Hölle, ein Massaker. Aber die offizielle Propaganda nutzt die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs als Grundlage für die Einstellung: Krieg ist nicht schlecht. Und dann wächst der Nationalstolz."

Serebrennikows Produktionen an verschiedenen Theatern in Russland laufen weiter, aber sein Name als Regisseur ist überall getilgt. Er hat, wie viele verfolgte russische Künstler, mittlerweile Russland verlassen und ist nach Deutschland gezogen - was auch nicht immer einfach ist. "Das Leben hier ist für uns alle eine riesige Herausforderung. Die deutsche Gesellschaft ist recht kompliziert. Wir müssen nicht nur die Sprache lernen, sondern auch, wie alles funktioniert, vor allem diese schreckliche Bürokratie", sagt Serebrennikow - betont aber auch: "Zuallererst haben wir hier eine unglaubliche Gastfreundschaft erlebt. Eine Willkommensmentalität, toll! Wir fühlen uns nicht wie Aliens oder wie Leute, die nicht willkommen sind."

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Wenig Hoffnung auf schnelle Lösung

Der Regisseur stammt aus Rostow am Don im Süden Russlands. Dort lebt sein Vater, in dem er täglich per Video verbunden ist. Rostow am Don liegt nah an Donezk, der Vater wohnt also nicht weit von der Frontlinie entfernt. "Wir sind jeden Tag in Kontakt, oft zwei Mal, normal für uns, heute habe ich morgens mit ihm gezoomt", erzählt Serebrennikow. "Er ist 90 Jahre alt, absolut hell im Kopf, keine Demenz, und er sagt: 'Scheißkrieg'."

Die Zukunft in Russland sieht Serebrennikow düster. Die Kriegs-Propaganda habe zu viele Seelen erobert, ist er überzeugt. Sechs Jahre Propaganda habe Hitler gebraucht, um den Weltkrieg zu beginnen - in Russland werde das Volk aber schon seit 20 Jahren indoktriniert. Er glaubt nicht, bald in seine Heimat zurückkehren zu können. "Die Hoffnung sollte zuletzt sterben, aber ich fürchte, es dauert Jahrzehnte, zumindest viele Jahre, um dieses Land zu verändern. Sie begehen da gerade Selbstmord mit diesem Krieg, so eine Einstellung verschwindet nicht in einer Sekunde. Leider."

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.03.2023, 10:25 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

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