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Quelle: dpa/B. Pedersen

Interview | Beben durch Konzertbesucher in Berlin

"Am Wannsee haben wir tatsächlich auch eine Erschütterung gemessen"

Konzertbesucher sollen in Berlin-Tempelhof ein Beben ausgelöst haben. Noch in Wannsee konnte Seismologe Marco Bohnhoff eine Erschütterung nachweisen. Im Interview erklärt er, wo die Unterschiede zu einem echten Erdbeben liegen und was der Vorfall mit Pudding zu tun hat.

Fans der britischen Rockband "Florence and The Machine" wissen, was kommt, wenn die Sängerin bei dem Song "Dog Days are over" anfängt zu zählen: "One, two, three" - und alle springen in die Luft. So geschah es auch am Freitag in Berlin bei einem Konzert auf dem Tempelhofer Feld. Die dadurch ausgelöste Erschütterung soll noch im zwei Kilometer Luftlinie entfernten Neukölln zu spüren gewesen sein. Ob das wirklich möglich ist, hat rbb|24 Marco Bohnhoff, Professor für Seismologie, am Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam gefragt.

rbb: Können Konzertbesucher wirklich ein Erdbeben in Berlin ausgelöst haben?

Marco Bohnhoff: Dass ein Erdbeben im wissenschaftlichen Sinn ausgelöst wurde, kann man ausschließen. Bei einem Erdbeben verschieben sich zwei Gesteinsblöcke ruckartig gegeneinander, wodurch Energie in Form von seismischen Wellen freigesetzt wird. Dies ist in diesem Fall nicht geschehen.

Es ist aber wahrscheinlich, dass durch das Springen mehrerer Leute eine resonanzartige Erschütterung angeregt wurde. Wenn da wirklich tausende Menschen zur gleichen Zeit auf einer riesigen Betonplatte hüpfen und diese in Schwingung versetzen, finde ich das auch nicht verwunderlich. Durch das Hüpfen ist gleichförmig Energie in den Untergrund eingedrungen und hat sich ausgebreitet, und das kann auch gemessen werde. An unserer seismologischen Messstation am Wannsee haben wir tatsächlich auch eine Erschütterung gemessen, allerdings mit sehr geringer Amplitude.

Zur Person

Sie konnten das wirklich noch am Wannsee messen?

Ja, das ist aber auch ein hochsensibles Gerät. Damit können wir weltweit jedes Erdbeben ab einer Magnitude von über 5 messen. Also zum Beispiel auch Erdbeben in Japan oder Südamerika, können dann hier am Wannsee nachgewiesen werden.

Am Freitagabend hatten wir da um circa zwei Minuten vor neun Uhr einen Ausschlag, der wahrscheinlich durch das Konzert ausgelöst wurde. Nicht so ein herzschlagartiger Ausschlag wie bei einem Erdbeben. Es war eher wie ein Zug, der vorbeifährt, langsam lauter wird und dann wieder abzieht. Ein Erdbeben wäre eher wie ein lauter Knall, der dann langsam ausschwingt.

Anwohner berichteten, ihre Wohnung habe wegen der Erschütterung geschwankt. Haben 30.000 Konzertbesucher:innen so viel Power?

Also dass Häuser merklich geschwankt haben, kann man ausschließen. Eine von der Decke hängende Lampe hat vielleicht gewackelt, oder auch ein Glas im Schrank etwas vibriert.

Andere Messstationen von Hobbyforschern, die näher am Tempelhofer Feld stehen, haben ja Schwingungen dieses Ereignisses aufgezeichnet und daraus eine Magnitude von 1,4 berechnet. Weil die Erschütterung an der Oberfläche ausgelöst wurde, kann es sein, dass das so einen Effekt hatte. Ein natürliches Erdbeben merkt man aber erst ab Stärke 2, da es ja in einigen Kilometern Tiefe stattfindet.

Eines der letzten Erdbeben, das man vielleicht noch in Erinnerung hat, war zum Beispiel 2016 in Amatrice in Italien. Da wurde eine Magnitude von 6 aufgezeichnet, das ist ein Maß für die Energie, die freigesetzt wird. Das fand auch dicht an der Erdoberfläche statt und das hatte so viel Kraft, dass auch Ortschaften aus dem Mittelalter größtenteils in sich zusammengefallen sind.

Das Erdbeben 2011 in Japan lag bei 9. Das hört sich nicht viel an, dabei ist es aber wichtig zu wissen, dass die Werte auf der Richter-Skala exponentiell ansteigen. Von Magnitude 1 bis zu 2 wird also 30-mal mehr Energie freigesetzt, auf der Stufe 1 bis 3 ist es dann bereits 900-mal, nämlich 30 mal 30-fach, mehr Energie.

Gibt es in Berlin und Brandenburg denn natürliche Erdbeben, die man vielleicht gar nicht bemerkt?

Berlin und Brandenburg ist eine quasi erdbebenfreie Region. Über menschliche Zeiträume gab es in Berlin nie ein Erdbeben. Das naheste sind Erschütterungen aus Kupferminen in Polen, das kann man in seltenen Fällen, nachts, wenn alles ruhig ist, auch mal in Berlin spüren, aber mehr dann auch nicht. Ganz Nordostdeutschland ist Teil eines Sedimentbeckens. Also wir sitzen auf einem zehn Kilometer mächtigen Sedimentpudding, und darunter beginnt erst die Erdkruste, in der typischerweise Erdbeben auftreten. Wir sind aber auch weit von aktiven tektonischen Plattengrenzen entfernt, durch die bei einem Aufeinandertreffen und Verschieben dann auch Erdbeben auftreten.

Was ist denn mit anderen Großveranstaltungen, Demonstrationen oder so etwas wie die Love Parade - müsste es da dann nicht auch regelmäßig zu solchen Erschütterungen kommen?

Es kommt darauf an, dass alle zur selben Zeit springen. Also es müssen wirklich alle innerhalb einer Zehntelsekunde gleichzeitig springen. Wenn viele Menschen sich zwar gleichzeitig bewegen aber viele kleine Schritte machen, dann gleicht sich das wieder aus und es ist ein großes Rauschen. Ich kann allerdings daran erinnern, dass das z.B. auch mal 1988 bei einem Prince-Konzert in Hamburg passiert ist. Der Untergrund spielt natürlich auch eine Rolle. Wenn sie im Märkischen Sand hüpfen, dann ist die Dämpfung stärker. Wenn bei dem Konzert aber alle Leute auf einer dicken Betonplatte standen, dann breitet sich die Energie auf jeden Fall stärker aus. Und beim Tempelhofer Feld handelt es sich ja um einen ehemaligen Flughafen, mit großen Flächen, die betoniert sind.

Wie spannend ist das für Sie als Wissenschaftler? Werden Sie bei folgenden Konzerten jetzt genauer hinschauen?

Man kann das schon mal machen. Hätten wir vorher von der Hüpfaktion gewusst, dann hätten wir eventuell ein paar Seismometer-Stationen aufbauen können. Aber wissenschaftlich ist das für uns nicht wahnsinnig interessant. Wir versuchen hier in Potsdam ja letztlich, Erdbebenprozesse zu erforschen und Konzepte zu erarbeiten, um den geologischen Untergrund nachhaltig zu nutzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Mara Nolte

Sendung: Radioeins, 11.06.2022, 16 Uhr

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