Interview | Beben durch Konzertbesucher in Berlin - "Am Wannsee haben wir tatsächlich auch eine Erschütterung gemessen"

Mo 13.06.22 | 18:37 Uhr
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Das Publikum feiert beim Tempelhof-Sounds Festival auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof. (Quelle: dpa/B. Pedersen)
Bild: dpa/B. Pedersen

Konzertbesucher sollen in Berlin-Tempelhof ein Beben ausgelöst haben. Noch in Wannsee konnte Seismologe Marco Bohnhoff eine Erschütterung nachweisen. Im Interview erklärt er, wo die Unterschiede zu einem echten Erdbeben liegen und was der Vorfall mit Pudding zu tun hat.

Fans der britischen Rockband "Florence and The Machine" wissen, was kommt, wenn die Sängerin bei dem Song "Dog Days are over" anfängt zu zählen: "One, two, three" - und alle springen in die Luft. So geschah es auch am Freitag in Berlin bei einem Konzert auf dem Tempelhofer Feld. Die dadurch ausgelöste Erschütterung soll noch im zwei Kilometer Luftlinie entfernten Neukölln zu spüren gewesen sein. Ob das wirklich möglich ist, hat rbb|24 Marco Bohnhoff, Professor für Seismologie, am Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam gefragt.

rbb: Können Konzertbesucher wirklich ein Erdbeben in Berlin ausgelöst haben?

Marco Bohnhoff: Dass ein Erdbeben im wissenschaftlichen Sinn ausgelöst wurde, kann man ausschließen. Bei einem Erdbeben verschieben sich zwei Gesteinsblöcke ruckartig gegeneinander, wodurch Energie in Form von seismischen Wellen freigesetzt wird. Dies ist in diesem Fall nicht geschehen.

Es ist aber wahrscheinlich, dass durch das Springen mehrerer Leute eine resonanzartige Erschütterung angeregt wurde. Wenn da wirklich tausende Menschen zur gleichen Zeit auf einer riesigen Betonplatte hüpfen und diese in Schwingung versetzen, finde ich das auch nicht verwunderlich. Durch das Hüpfen ist gleichförmig Energie in den Untergrund eingedrungen und hat sich ausgebreitet, und das kann auch gemessen werde. An unserer seismologischen Messstation am Wannsee haben wir tatsächlich auch eine Erschütterung gemessen, allerdings mit sehr geringer Amplitude.

Zur Person

Prof. Dr. Marco Bohnhoff ist Leiter der Sektion "Geomechanik und Wissenschaftliches Bohren" am Deutschen Geoforschungszentrum GFZ Potsdam und Professor für Experimentelle- und Bohrlochseismologie in gemeinsamer Berufung mit der Freien Universität Berlin.

Sie konnten das wirklich noch am Wannsee messen?

Ja, das ist aber auch ein hochsensibles Gerät. Damit können wir weltweit jedes Erdbeben ab einer Magnitude von über 5 messen. Also zum Beispiel auch Erdbeben in Japan oder Südamerika, können dann hier am Wannsee nachgewiesen werden.

Am Freitagabend hatten wir da um circa zwei Minuten vor neun Uhr einen Ausschlag, der wahrscheinlich durch das Konzert ausgelöst wurde. Nicht so ein herzschlagartiger Ausschlag wie bei einem Erdbeben. Es war eher wie ein Zug, der vorbeifährt, langsam lauter wird und dann wieder abzieht. Ein Erdbeben wäre eher wie ein lauter Knall, der dann langsam ausschwingt.

Anwohner berichteten, ihre Wohnung habe wegen der Erschütterung geschwankt. Haben 30.000 Konzertbesucher:innen so viel Power?

Also dass Häuser merklich geschwankt haben, kann man ausschließen. Eine von der Decke hängende Lampe hat vielleicht gewackelt, oder auch ein Glas im Schrank etwas vibriert.

Andere Messstationen von Hobbyforschern, die näher am Tempelhofer Feld stehen, haben ja Schwingungen dieses Ereignisses aufgezeichnet und daraus eine Magnitude von 1,4 berechnet. Weil die Erschütterung an der Oberfläche ausgelöst wurde, kann es sein, dass das so einen Effekt hatte. Ein natürliches Erdbeben merkt man aber erst ab Stärke 2, da es ja in einigen Kilometern Tiefe stattfindet.

Eines der letzten Erdbeben, das man vielleicht noch in Erinnerung hat, war zum Beispiel 2016 in Amatrice in Italien. Da wurde eine Magnitude von 6 aufgezeichnet, das ist ein Maß für die Energie, die freigesetzt wird. Das fand auch dicht an der Erdoberfläche statt und das hatte so viel Kraft, dass auch Ortschaften aus dem Mittelalter größtenteils in sich zusammengefallen sind.

Das Erdbeben 2011 in Japan lag bei 9. Das hört sich nicht viel an, dabei ist es aber wichtig zu wissen, dass die Werte auf der Richter-Skala exponentiell ansteigen. Von Magnitude 1 bis zu 2 wird also 30-mal mehr Energie freigesetzt, auf der Stufe 1 bis 3 ist es dann bereits 900-mal, nämlich 30 mal 30-fach, mehr Energie.

Wir sitzen auf einem zehn Kilometer mächtigen Sedimentpudding, und darunter beginnt erst die Erdkruste.

Marco Bohnhoff

Gibt es in Berlin und Brandenburg denn natürliche Erdbeben, die man vielleicht gar nicht bemerkt?

Berlin und Brandenburg ist eine quasi erdbebenfreie Region. Über menschliche Zeiträume gab es in Berlin nie ein Erdbeben. Das naheste sind Erschütterungen aus Kupferminen in Polen, das kann man in seltenen Fällen, nachts, wenn alles ruhig ist, auch mal in Berlin spüren, aber mehr dann auch nicht. Ganz Nordostdeutschland ist Teil eines Sedimentbeckens. Also wir sitzen auf einem zehn Kilometer mächtigen Sedimentpudding, und darunter beginnt erst die Erdkruste, in der typischerweise Erdbeben auftreten. Wir sind aber auch weit von aktiven tektonischen Plattengrenzen entfernt, durch die bei einem Aufeinandertreffen und Verschieben dann auch Erdbeben auftreten.

Was ist denn mit anderen Großveranstaltungen, Demonstrationen oder so etwas wie die Love Parade - müsste es da dann nicht auch regelmäßig zu solchen Erschütterungen kommen?

Es kommt darauf an, dass alle zur selben Zeit springen. Also es müssen wirklich alle innerhalb einer Zehntelsekunde gleichzeitig springen. Wenn viele Menschen sich zwar gleichzeitig bewegen aber viele kleine Schritte machen, dann gleicht sich das wieder aus und es ist ein großes Rauschen. Ich kann allerdings daran erinnern, dass das z.B. auch mal 1988 bei einem Prince-Konzert in Hamburg passiert ist. Der Untergrund spielt natürlich auch eine Rolle. Wenn sie im Märkischen Sand hüpfen, dann ist die Dämpfung stärker. Wenn bei dem Konzert aber alle Leute auf einer dicken Betonplatte standen, dann breitet sich die Energie auf jeden Fall stärker aus. Und beim Tempelhofer Feld handelt es sich ja um einen ehemaligen Flughafen, mit großen Flächen, die betoniert sind.

Wie spannend ist das für Sie als Wissenschaftler? Werden Sie bei folgenden Konzerten jetzt genauer hinschauen?

Man kann das schon mal machen. Hätten wir vorher von der Hüpfaktion gewusst, dann hätten wir eventuell ein paar Seismometer-Stationen aufbauen können. Aber wissenschaftlich ist das für uns nicht wahnsinnig interessant. Wir versuchen hier in Potsdam ja letztlich, Erdbebenprozesse zu erforschen und Konzepte zu erarbeiten, um den geologischen Untergrund nachhaltig zu nutzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Mara Nolte

Sendung: Radioeins, 11.06.2022, 16 Uhr

22 Kommentare

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  1. 22.

    Hallo Steffen! Ganz genauso ist es. Die Gegebenheiten haben sich komplett verändert. Von daher gehen Kommentare mit "Augen auf bei der Wohnortwahl" völlig am Problem vorbei. Aber viele Forenteilnehmer sind zu jung um zu verstehen wie die Gegebenheiten in West-Berlin waren. Ich (Jahrgang 70) lebe mein ganzes Leben im Neu-Westend Kiez und kann sagen, dass es früher in der Waldbühne keine 33 Konzerte gab. Nach den Stones war die Waldbühne sogar über viele Jahre geschlossen.

  2. 21.

    Sie müssten schreiben "einer MIR komplett unbekannten Gruppe". Florence and the machine sind schon recht populär bei Menschen, die sich in den letzten 10 Jahren auch mal mit moderner Musik beschäftigt haben.

  3. 20.

    Wenn ich in einer Stadt lebe muss ich damit rechnen das es laut und auch ungemütlich sein kann, erst recht wenn ich in speziellen Gegenden lebe. Dazu kommt der Wandel der Zeit und dieser Wandel ist in der Regel nicht so wie ich es mir erhoffe.
    Also Augen auf bei seinen Entscheidungen.

  4. 19.

    Schon mal überlegt, dass sich in der Zwischenzeit auch die Voraussetzungen geändert haben könnten? Als die frühen Mieter damals nach Tegel gezogen sind, flog da nicht alle drei Minuten eine Maschine über ihre Köpfe. Im Waldstadion gab es meines Wissens nicht immer drei Konzerte je Woche. In Friedrichshain sind nicht jede Nacht Touristenhorden grölend durch die Straßen gezogen, um von einem Späti zum nächsten zwecks Nachschlagbeschaffung zu gelangen. Es ist schon was dran, vieles ist rücksichtsloser und exzessiver geworden und wird damit erst zum Problem für die Anwohner.

  5. 18.

    Die meisten Einrichtungen welche Kultur und Sport und andere Veranstaltungen beherbergen stehen länger als ein Großteil der Anwohner. Gerade das gesamte Areal um das Olympiastadion hat wohl kaum noch Anwohner, welche vor dem Bau dort gewohnt haben. Also hat jeder Anwohner sein Schicksal selbst gewählt.

  6. 17.

    Meine Güte, was wird hier aus einer Mücke wieder ein Elefant gemacht indem ein unwichtiges Konzert einer vollkommen unbekannten Truppe künstlich aufgebauscht wird. Ist schon wieder Sommerloch oder was soll dieses überflüssige Thema?

  7. 16.

    >"Ja, da haben sie Recht. So'n Springen kann was auslösen ... Zerrungen, Muskelfaserrisse, rutschende Toupets, rausfallende Gebisse..."
    Oder wie die Tochter einer Arbeitskollegin auf nem Konzert vorigen Monat beim ekstatischen Hüpfen das Hüftgelenk ausgekugelt ist und diese Partynacht endete auf einer Trage der DRK-Sanitäter. Nächste Woche gleich ein Termin beim Orthopäden... Gesundheitsrisiken bei "Erschütterungs"-Konzerten sollte Mann/Frau/Es nicht unterschätzen! ;-)))

  8. 15.

    Achtung bei der Wahl des Wohnortes. Sie wussten doch sicher, dass Sie in Waldbühnennähe ziehen, also was jammern Sie jetzt? Soo schlimm kann es wohl nicht sein, denn anscheinend wohnen Sie immer noch dort

  9. 14.

    Was könnten wir lernen?
    Wenn sich sehr viele Menschen in Einigkeit zusammenschliessen, dann kann auch endlich mal ein politisches Erdbeben möglich sein! Bezahlbare Mieten und ÖPNV, Sozialstaat der den Namen auch verdient, Grundeinkommen ...usw., usw....gern auch nochmal in die Beiträger der Autoraserfetischisten reinlesen....

  10. 13.

    Ja, da haben sie Recht. So'n Springen kann was auslösen ... Zerrungen, Muskelfaserrisse, rutschende Toupets, rausfallende Gebisse - alles persönliche Katastrophen.

  11. 12.

    >"Und die Alten haben früher auch den Kopf geschüttelt und haben sich aufgeregt."
    Ick sach Ihnen... da haben wir Jugendgang mit dem Sternrekorder die Musike aber sowas von laut aufgedreht beim Jugendtreff an der Teppichklopf-Stange... Bässe als Fachbegriff gabs für uns damals noch gar nicht... und Bässe beim Sternrekorder ja eh nicht ;-))) Und die härteste Partydroge war mal ne versteckte Flasche Wodka... 1 Flasche für alle 10! Geht das heute noch so? ;-))

  12. 11.

    Das war früher auch schon genau so. Je lauter um so besser. Und die Alten haben früher auch den Kopf geschüttelt und haben sich aufgeregt.
    :))

  13. 10.

    Mich verwundert doch sehr, dass Sie dort hingezogen sind, denn schließlich gibt es schon seit 1962 in der Waldbühne Konzerte !!

  14. 9.

    >"Alles muss maßlos übertrieben werden. Hauptsache immer lauter, größer, schneller."
    Ist leider so heutztage im Jugendleben: Es muss immer ein Kick mehr sein, sonst ist ja nicht cool und instagramable. Das fängt bei noch mehr Bässen an, geht über einfache Partydrogen bis dann zu harten Sachen und endet schlimmsten Falls in der Leitplanke vom Kleinwagen dann bei nem Wettrennen mit nem AMG Boliden. Mal so als allgemeine Schwarzmalerei und nicht repräsentativ für die breite Masse... ;-))

  15. 8.

    Also Falk, ich gehe mal stark davon aus, dass es die Waldbühne dort länger gibt als dich. Man überlegt sich doch vorher wo man hinzieht...genau wie die ganzen zugezogenen Juppies,die die Szene in Friedrichshain zerstören weil es ihnen in der Straße, in die sie vor drei Jahren gezogen sind, plötzlich zu laut geworden ist.
    Nicht persönlich bzw. böse gemeint aber für mich echt unverständlich! Bin übrigens in den frühen 80ern geborener Friedrichshainer und wohne jetzt anner Försterei-beides laut;-)

  16. 7.

    >"Unfassbar! Alles muss maßlos übertrieben werden."
    Dafür is dit ja Berlin! Und gut, dass sich solche Extasen und anderes mehr an Absonderlichkeiten auf diesen Punkt Berlin konzentrieren. So haben wir hier in der normalen Welt drumher unsere Ruhe vor sowas ;-)))

  17. 6.

    Kinders, ein Kuhschwanz wackelt auch und fällt nicht ab.

  18. 5.

    Nicht lustig, wer weiß was das auslöst. Ich hab genug von Katastrophen.

  19. 4.

    Unfassbar! Alles muss maßlos übertrieben werden. Hauptsache immer lauter, größer, schneller. Auf die Anwohner und die Tiere wird keine Rücksicht mehr genommen. Wir am Olympiastadion können davon ein Lied singen. Alleine in der Waldbühne sind im Sommer 33 Konzerte, dazu noch die Soundchecks und Proben. Teilweise sind es 3 Konzerte pro Woche. Und wir dürfen die Fenster bei der Wärme schließen im nicht den Lärm um die Ohren gepfeffert zu bekommen. An gemütliche Balkonabende ist nicht zu denken.

  20. 3.

    Da ist man ja ganz erschüttert ;-)

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