rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Quelle: imago/Sabine Brose

Senat: Wer nicht bar zahlen kann, darf mitfahren

Lücke im Kleingedruckten der BVG verlockt zur Busfahrt ohne Ticket

In BVG-Bussen können Tickets seit 2020 nicht mehr bar bezahlt werden. Der Senat möchte das "schnellstmöglich" ändern. Auch die BVG hat ein Interesse an einer Neuregelung, denn durch eine Lücke im Kleingedruckten können verhinderte Barzahler offenbar umsonst fahren. Von F. Steinberg

Durch eine Lücke in den Tarif-Regeln der Verkehrsbetriebe Berlin-Brandenburg (VBB) können Fahrgäste - zumindest theoretisch - die BVG-Busse in Berlin auch ohne Ticket nutzen. Das geht aus Aussagen der Senatsverwaltung für Verkehr hervor, über die zuerst die "Berliner Zeitung" am Freitag berichtete.

Im Detail geht es um Fahrgäste, die nur mit Bargeld bezahlen können oder wollen, deren Geld aber nicht angenommen wird. Dazu teilte die Senatsverwaltung in Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zum Thema mit, es sei die "Einschätzung des Senats (…), dass Fahrgäste, die nicht unbar zahlen können, trotzdem zu befördern sind".

Nachfolgeregelung für Neun-Euro-Ticket

Giffey spricht sich für 29-Euro-Ticket aus

Wie die Berliner Verkehrssenatorin hat sich nun auch die Regierende Bürgermeisterin Giffey für ein 29-Euro-Ticket ausgesprochen - als temporäres Nachfolgemodell für das Neun-Euro-Ticket. Noch fehlt aber die Einigung darüber mit Brandenburg.

Keine Barzahlung in BVG-Bussen mehr möglich

Hintergrund der Anfrage durch die AfD-Abgeordneten Marc Vallendar und Gunnar Lindemann [pardok.berlin.de] sind eingeschränkte Bezahlmöglichkeiten bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), die zu Beginn der Corona-Pandemie eingeführt wurden. Seit März 2020 können Fahrgäste im Bus keine Tickets mehr mit Münzen und Scheinen kaufen. Damit solle direkter Kontakt vermieden werden, so die Argumentation damals. Möglich sind seitdem nur noch Kartenzahlung oder digitale Tickets. Das sei sicher, schnell und einfach, bewirbt die BVG auch jetzt noch das Verfahren. Vor allem gebe es "keine lästige Kleingeldsuche mehr".

Tatsächlich dürften Busfahrerinnen und -fahrer dadurch Zeit und Nerven sparen. Menschen aber, die zum Beispiel keine EC-Karte nutzen oder mit Handy-Tickets nicht klarkommen, stehen seitdem aber vor einem Problem: Zu Fuß gehen? Oder ohne Ticket mitfahren und vielleicht als "Schwarzfahrer" erwischt werden? Denn Ticket-Automaten, an denen sie alternativ mit Geld einen Fahrschein hätten kaufen können, gibt es im Bus und an den Haltestellen für gewöhnlich nicht.

"Dennoch gilt die Beförderungspflicht"

Nach Ansicht der Verkehrsverwaltung muss die BVG diese Fahrgäste auch ohne Ticket befördern - und verweist dazu auf die geltenden VBB-Beförderungsbedingungen, die auch für die BVG gelten. "Die VBB-Tarifbestimmungen implizieren, dass in den Bussen Bargeldverkauf möglich ist", teilte Sprecher Jan Thomsen an Freitag rbb|24 mit. "Ist dies nicht der Fall, gilt dennoch die Beförderungspflicht."

Mit "implizieren" bezieht sich Thomsen darauf, dass es in den VBB-Beförderungsbedingungen tatsächlich nur indirekte Verweise darauf gibt, dass die BVG eine Barzahlung anbietet oder anbieten müsste. Der konkrete Satz, dass die BVG Tickets gegen Bargeld verkaufen muss, findet sich nicht.

In Paragraf 6 heißt es zunächst, dass die Verkehrsunternehmen Tickets "auch in elektronischer Form (…) ausgegeben" können. Im Umkehrschluss wäre der Regelfall also ein "nicht-elektronisches" Ticket. Hieße: Es muss also mehr als nur digitale Tickets geben. Dazu kommen in Paragraf 7 weitere Hinweise, dass auch Bargeld beim Ticketverkauf eine Rolle spielt: Da wird darauf hingewiesen, dass der Fahrer nicht mehr als 20 Münzen akzeptieren muss, Ein-Cent-Münzen noch weniger. Scheine über zehn Euro müssten nicht gewechselt werden, wird erklärt. Und sogar seltene Fälle werden abgehandelt: Kann bei großen Scheinen kein Rückgeld gegeben werden, muss der Fahrer "dem Fahrgast eine Quittung über den zurückbehaltenen Betrag ausstellen".

Letzte Fahrt für Berlkönig

So soll der neue BVG-Rufbus den Berliner Osten erschließen

Das Projekt Berlkönig endet in Berlin, aber ein neuer BVG-Rufbus ist schon geplant. Er soll den Osten der Stadt besser anbinden. Allerdings wird er mit weniger Fahrzeugen loslegen, als bisher angekündigt – was auf Kritik stößt. Von Tobias Schmutzler

Dass der Fahrgast mit seinem Klimpergeld nun nicht kilometerweit zum nächsten Automaten laufen muss, ist nach VBB-Beförderungsbedingungen aber auch klar: "Sind (…) an Haltestellen keine (…) Fahrausweisautomaten vorhanden, so sind die Fahrausweise (…) beim Fahr- oder Servicepersonal (…) im Verkehrsmittel zu erwerben", stellt Paragraf 6 klar.

VBB-Beförderungsregeln nicht angepasst

Aus all dem folgert die Senatsverkehrsverwaltung, dass "gemäß den VBB-Bestimmungen Fahrgäste zu befördern sind, die keine Kartenzahlung im Bus leisten können", wie Sprecher Thomsen rbb|24 mitteilte.

Grundsätzlich sei es rechtlich durchaus möglich, dass Verkehrsunternehmen in Deutschland eine rein bargeldlose Zahlung anbieten - das müsse dann aber auch in die jeweiligen Beförderungsbedingungen aufgenommen werden, antwortete die Senatsverkehrsverwaltung die Abgeordneten. Bei der VBB sei "dies bislang nicht erfolgt".

Senat fordert Wiedereinführung der Barzahlung

Laut Sprecher Jan Thomsen drängt der Senat inzwischen auf eine Wiedereinführung von Cash im Bus. Bisher habe es sich nur um ein "Erprobungsprojekt" gehandelt. Jetzt wolle der Senat "schnellstmöglich" zusätzlich zur Kartenzahlung wieder einen parallelen Bargeldverkauf von Tickets in Bussen erreichen. Die Verkehrsverwaltung sei "mit der BVG hier in intensiven Gesprächen".

BVG-Sprecher Jannes Schwentu bestätigte am Freitag gegenüber rbb|24: "Zur Klärung sind wir schon mit der zuständigen Behörde in Terminabstimmungen." Zu Details, wie es die BVG gerne hätte, sagte Schwentu aber nichts.

BVG verspricht "Augenmaß" bei Kontrollen

Unklarheiten in den Beförderungsbedingungen dürften dem Senat bei den Verhandlungen in die Hände spielen. Zwar distanziert sich die Senatsverwaltung vom Begriff "legal schwarzfahren", wie die "Berliner Zeitung" die Möglichkeiten der Fahrgäste beschreibt. "Fahrgäste müssen ein gültiges Ticket erwerben", betont Sprecher Thomsen. Aber die beschriebene Situation sei nunmal die "derzeitige Rechtslage".

Die BVG bekräftigt, dass ein gültiger Fahrausweis Vorschrift sei - lässt aber selbst durchblicken, dass auch sie eine Rechtslücke sieht. So teilte BVG-Sprecher Schwentu mit: "Bei Fahrscheinkontrollen im Bus gehen wir natürlich mit dem gebotenen Augenmaß vor und verweisen Fahrgäste ohne kontaktlose Zahlmöglichkeit im Zweifelsfall auf die nächste Kaufmöglichkeit."

Bis zu einer Klärung können Fahrgästen in Berlin offensichtlich aus vier Tarifzonen wählen: A, B, C oder neu im Angebot: rechtliche Grauzone.

Die Kommentarfunktion wurde am 11.09.2022 um 12:22 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Friederike Steinberg

Artikel im mobilen Angebot lesen