Senat: Wer nicht bar zahlen kann, darf mitfahren - Lücke im Kleingedruckten der BVG verlockt zur Busfahrt ohne Ticket

Sa 10.09.22 | 17:06 Uhr | Von Friederike Steinberg
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Symbolbild: Fahrgäste eines BVG-Busses (Quelle: imago/Sabine Brose)
Bild: imago/Sabine Brose

In BVG-Bussen können Tickets seit 2020 nicht mehr bar bezahlt werden. Der Senat möchte das "schnellstmöglich" ändern. Auch die BVG hat ein Interesse an einer Neuregelung, denn durch eine Lücke im Kleingedruckten können verhinderte Barzahler offenbar umsonst fahren. Von F. Steinberg

Durch eine Lücke in den Tarif-Regeln der Verkehrsbetriebe Berlin-Brandenburg (VBB) können Fahrgäste - zumindest theoretisch - die BVG-Busse in Berlin auch ohne Ticket nutzen. Das geht aus Aussagen der Senatsverwaltung für Verkehr hervor, über die zuerst die "Berliner Zeitung" am Freitag berichtete.

Im Detail geht es um Fahrgäste, die nur mit Bargeld bezahlen können oder wollen, deren Geld aber nicht angenommen wird. Dazu teilte die Senatsverwaltung in Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zum Thema mit, es sei die "Einschätzung des Senats (…), dass Fahrgäste, die nicht unbar zahlen können, trotzdem zu befördern sind".

Keine Barzahlung in BVG-Bussen mehr möglich

Hintergrund der Anfrage durch die AfD-Abgeordneten Marc Vallendar und Gunnar Lindemann [pardok.berlin.de] sind eingeschränkte Bezahlmöglichkeiten bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), die zu Beginn der Corona-Pandemie eingeführt wurden. Seit März 2020 können Fahrgäste im Bus keine Tickets mehr mit Münzen und Scheinen kaufen. Damit solle direkter Kontakt vermieden werden, so die Argumentation damals. Möglich sind seitdem nur noch Kartenzahlung oder digitale Tickets. Das sei sicher, schnell und einfach, bewirbt die BVG auch jetzt noch das Verfahren. Vor allem gebe es "keine lästige Kleingeldsuche mehr".

Tatsächlich dürften Busfahrerinnen und -fahrer dadurch Zeit und Nerven sparen. Menschen aber, die zum Beispiel keine EC-Karte nutzen oder mit Handy-Tickets nicht klarkommen, stehen seitdem aber vor einem Problem: Zu Fuß gehen? Oder ohne Ticket mitfahren und vielleicht als "Schwarzfahrer" erwischt werden? Denn Ticket-Automaten, an denen sie alternativ mit Geld einen Fahrschein hätten kaufen können, gibt es im Bus und an den Haltestellen für gewöhnlich nicht.

"Dennoch gilt die Beförderungspflicht"

Nach Ansicht der Verkehrsverwaltung muss die BVG diese Fahrgäste auch ohne Ticket befördern - und verweist dazu auf die geltenden VBB-Beförderungsbedingungen, die auch für die BVG gelten. "Die VBB-Tarifbestimmungen implizieren, dass in den Bussen Bargeldverkauf möglich ist", teilte Sprecher Jan Thomsen an Freitag rbb|24 mit. "Ist dies nicht der Fall, gilt dennoch die Beförderungspflicht."

Mit "implizieren" bezieht sich Thomsen darauf, dass es in den VBB-Beförderungsbedingungen tatsächlich nur indirekte Verweise darauf gibt, dass die BVG eine Barzahlung anbietet oder anbieten müsste. Der konkrete Satz, dass die BVG Tickets gegen Bargeld verkaufen muss, findet sich nicht.

In Paragraf 6 heißt es zunächst, dass die Verkehrsunternehmen Tickets "auch in elektronischer Form (…) ausgegeben" können. Im Umkehrschluss wäre der Regelfall also ein "nicht-elektronisches" Ticket. Hieße: Es muss also mehr als nur digitale Tickets geben. Dazu kommen in Paragraf 7 weitere Hinweise, dass auch Bargeld beim Ticketverkauf eine Rolle spielt: Da wird darauf hingewiesen, dass der Fahrer nicht mehr als 20 Münzen akzeptieren muss, Ein-Cent-Münzen noch weniger. Scheine über zehn Euro müssten nicht gewechselt werden, wird erklärt. Und sogar seltene Fälle werden abgehandelt: Kann bei großen Scheinen kein Rückgeld gegeben werden, muss der Fahrer "dem Fahrgast eine Quittung über den zurückbehaltenen Betrag ausstellen".

Dass der Fahrgast mit seinem Klimpergeld nun nicht kilometerweit zum nächsten Automaten laufen muss, ist nach VBB-Beförderungsbedingungen aber auch klar: "Sind (…) an Haltestellen keine (…) Fahrausweisautomaten vorhanden, so sind die Fahrausweise (…) beim Fahr- oder Servicepersonal (…) im Verkehrsmittel zu erwerben", stellt Paragraf 6 klar.

VBB-Beförderungsregeln nicht angepasst

Aus all dem folgert die Senatsverkehrsverwaltung, dass "gemäß den VBB-Bestimmungen Fahrgäste zu befördern sind, die keine Kartenzahlung im Bus leisten können", wie Sprecher Thomsen rbb|24 mitteilte.

Grundsätzlich sei es rechtlich durchaus möglich, dass Verkehrsunternehmen in Deutschland eine rein bargeldlose Zahlung anbieten - das müsse dann aber auch in die jeweiligen Beförderungsbedingungen aufgenommen werden, antwortete die Senatsverkehrsverwaltung die Abgeordneten. Bei der VBB sei "dies bislang nicht erfolgt".

Senat fordert Wiedereinführung der Barzahlung

Laut Sprecher Jan Thomsen drängt der Senat inzwischen auf eine Wiedereinführung von Cash im Bus. Bisher habe es sich nur um ein "Erprobungsprojekt" gehandelt. Jetzt wolle der Senat "schnellstmöglich" zusätzlich zur Kartenzahlung wieder einen parallelen Bargeldverkauf von Tickets in Bussen erreichen. Die Verkehrsverwaltung sei "mit der BVG hier in intensiven Gesprächen".

BVG-Sprecher Jannes Schwentu bestätigte am Freitag gegenüber rbb|24: "Zur Klärung sind wir schon mit der zuständigen Behörde in Terminabstimmungen." Zu Details, wie es die BVG gerne hätte, sagte Schwentu aber nichts.

BVG verspricht "Augenmaß" bei Kontrollen

Unklarheiten in den Beförderungsbedingungen dürften dem Senat bei den Verhandlungen in die Hände spielen. Zwar distanziert sich die Senatsverwaltung vom Begriff "legal schwarzfahren", wie die "Berliner Zeitung" die Möglichkeiten der Fahrgäste beschreibt. "Fahrgäste müssen ein gültiges Ticket erwerben", betont Sprecher Thomsen. Aber die beschriebene Situation sei nunmal die "derzeitige Rechtslage".

Die BVG bekräftigt, dass ein gültiger Fahrausweis Vorschrift sei - lässt aber selbst durchblicken, dass auch sie eine Rechtslücke sieht. So teilte BVG-Sprecher Schwentu mit: "Bei Fahrscheinkontrollen im Bus gehen wir natürlich mit dem gebotenen Augenmaß vor und verweisen Fahrgäste ohne kontaktlose Zahlmöglichkeit im Zweifelsfall auf die nächste Kaufmöglichkeit."

Bis zu einer Klärung können Fahrgästen in Berlin offensichtlich aus vier Tarifzonen wählen: A, B, C oder neu im Angebot: rechtliche Grauzone.

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Beitrag von Friederike Steinberg

67 Kommentare

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  1. 67.

    Antwort auf Toberg
    Sehe ich genauso und niemand kann gezwungen werden teures Bankkonto zu führen um dann sein verdientes Geld den Banken in den Rachen zu schmeißen.

  2. 66.

    Antwort an Hoppla
    Schon mal daran gedacht das jemand spontan den Bus nutzen möchte?
    Wo ist auf einmal das Problem Bar zu zahlen funktioniert schon ewig auf einmal soll es ein Problem sein?

  3. 65.

    Antwort an Eiskalle
    Ich habe meist auch Ticket zum abstempeln dabei, aber es gibt Situationen da will man spontan fahren und hat vielleicht gerade keines dabei.

  4. 64.

    Antwort auf Tourist
    Ich weiß nicht woher Sie kommen aber es gibt Ihnen kein Recht uns Deutsche zu beschimpfen.
    Es gibt keine Kontopflicht denn das kostet Geld was Geringverdiener gerne einsparen indem Sie kein Konto haben und eine Lohntüte erhalten zum Monatsende.
    Jedenfalls bei mir und Kollegen ist es so, warum soll ich der Bank die mir nichts gibt sondern fordert mein hart verdientes Geld überlassen.
    Aber mich interessiert woher kommen Sie?

  5. 62.

    Da wird man für Sie bestimmt eine Ausnahme machen...."Seit März 2020 können Fahrgäste im Bus keine Tickets mehr mit Münzen und Scheinen kaufen. "

  6. 61.

    Ich fahre selten Bus , aber es muss möglich sein gegen Bargeld ein Ticket zu erwerben.
    Keiner kann gezwungen werden eine Ec-oder Kreditkarte zu besitzen.
    Also langsam hört es auf .
    Leute geht dagegen vor .

  7. 60.

    Ich glaube nicht das sie zu entscheiden haben wie Unternehmen zu handeln haben. Auch 2022 wird mit Bargeld gehandelt. Ball mal flach halten. Ich entscheide wie ich bezahle , nicht sie. Alles klar?

  8. 59.

    Nun wissen wir jedenfalls alle, wie man legal Schwarzfahren kann. Aber kontrolliert wird in Bussen ja ohnehin wenig.

  9. 58.

    Hat nicht jeder ein Konto und eine EC Karte.? Im Bus vorne nurauflegen und alles ist gut. Wie heben denn die Menschen Geld ab? Auch mit Karte. Sollte also einfach sein auch für meine 90 jährige Mutter gibt es nichts einfacheres.

  10. 56.

    Bargeld ist gesetzliches Zahlungsmittel. Wenn die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder ohne Maske möglich ist habe ich wie immer einen Fünf- und Zehneuroschein und 20 und 10 Centstücke in der Tasche. Damit klappt das Bezahlen in Bar immer.

  11. 55.

    Auf dem Bild ist eine Frau mit weißer Hose zu sehen. Da die nicht für BVG-Sitze u.ä. geeignet ist, weil Leute auf den Sitzen sonstwas machen, muss es eine Notfallfahrt sein. Die geht natürlich auch mit Trinkgeld?

  12. 54.

    RG = Rot/Grün?
    Und sind Trinkgelder für den Busfahrer erlaubt? Was nicht erlaubt ist ist: Wahlschleichwerbung...;-)

  13. 53.

    Und so wie Sie es beschreiben war es schon immer bei der BVG. Als wir noch als Zugabfertiger auf dem Bahnhof waren und es kamen Fahrgäste zu uns an die Scheibe und sagten das Sie kein Fahrschein lösen können, egal warum, Automat defekt oder nicht genug Kleingeld dann wurden sie gebeten am Endbahnhof oder Umsteigebahnhof das Ticket nachzulösen.
    In meinen Anfangsjahren konnte ich sogar als Zugabfertiger noch einen Fahrschein verkaufen.

  14. 52.

    Ja, die Werbungen finde ich auch ganz toll und witzig.
    Wer kein Ticket hat zum Mitfahren muss halt laufen oder Fahrradfahren. Nur wer genug kriminelle Energie hat, sucht und findet überall Schlupflöcher, aber wehe, wenn ER/SIE/ES drann genommen wird, dann ist es genau dieses Klientel, das die Politik und die Gesellschaft für schuldig hält!

  15. 51.

    Erfahrung: Fahrgäste mit Bargeld werden freundlich und unkompliziert zur Mitfahrt eingeladen. Die Aussage , dass keine Bezahlkarte vorhanden sei, reicht. Die Leute wollten ja eigentlich bezahlen ... Also zurück zum normalen Ticketverkauf! X mal so erlebt.

  16. 50.

    Als ich vor kurzem im Bus Bar zahlen wollte, habe ich zum ersten mal erfahren, dass es nicht mehr geht. Habe den Fahrer einfach nett gefragt, ob ich die 3 Stationen zur S-Bahn trotzdem mitfahren durfte und dort den Fahrschein kaufen. War kein Problem.

  17. 49.

    "Bargeld ist Mist! "
    Meinen Sie?
    Warum eigentlich?
    Es ist das gesetzliche Zahlungsmittel
    Es schützt unsere Privatsphäre.
    Es kann nicht einfach von einer Bank, einer Behörde oder einem Diktator vereinnahmt werden.
    Es garantiert die finanzielle und informative Autonomie des Individuums.
    Es erleichtert die Einhaltung der Finanzdisziplin (Plastikgeld sitzt lockerer) also es hilft die Verschuldung zu verhindern.
    Es bringt den Kindern, die "haptisch denken" die Vorstellung vom Wert der Dinge und Leistungen bei.
    Es stellt das Äquivalent unserer Arbeit dar ohne dass wir unzählige Vermittler und Finanzdienstleister benötigen.
    Es ist klimafreundlicher und nachhaltiger als das elektronische Geld das die unzählige Elemente der elektrisch gestützter Infrastruktur benötigt.
    Dies alles spricht dafür Bargeld zu behalten.
    Warum soll es also Mist sein?

  18. 48.

    Schön blöd von mir, ein Monatsabo zu nutzen und dafür zu bezahlen. Ohne Fahrausweis geht's ja auch.

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