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Quelle: dpa/Patrick Pleul

Entschädigungspflicht für DDR-Datschen fällt weg

Vertreibung aus dem Paradies

Ostdeutsche Datschen waren bis 2015 gesetzlich geschützt, bis vor Kurzem bestand bei einer Kündigung noch eine Entschädigungspflicht. Diese Regelung fällt nun weg. Das sorgt bei vielen Besitzern der Wochenendhäuschen für ein böses Erwachen. Von Claudia Baradoy

Ein Grundstück mit Wochenendhaus und Wasserzugang, ein Fleckchen Erde mit Ruhe und viel Natur zum Spottpreis von 800 Euro pro Jahr: Zumika Braun liebt ihren kleinen Zufluchtsort direkt an der Havel.

"Morgens ist Vogelgezwitscher. Man muss es erlebt haben, um es zu fühlen. Aus dem Bett zu steigen, den Weg runterzulaufen und erstmal eine Runde zu schwimmen - ganz gleich, wie kalt es ist. Es kribbelt richtig auf der Haut. Es war einfach ein Paradies hier", sagt Braun. Zweieinhalb Jahre hat sie mit ihrem Mann auf dem Grundstück in Briest geackert, das Häuschen renoviert, den Garten neu bepflanzt und viel Geld investiert.

DDR-Datschen

Pachtverträge werden nicht verlängert

Doch neuerdings brodelt es unter den Familien in der Siedlung. Ende September teilte die Grundstückseigentümerin - die Karg-Stiftung aus Frankfurt am Main - mit: Die Pachtverträge, die bis dato jährlich verlängert wurden, können nicht weitergeführt werden. Bis spätestens Ende des Jahres haben die Pächter ihre Grundstücke zu räumen. Ohne die Chance auf nur einen Cent Entschädigung.

Seitdem steht die kleine Siedlung mit ihren rund 50 Pächtern unter Schockstarre: "Wir haben das Haus gekauft. Und waren in dem Glauben geblieben, dass es unser Haus ist. Nicht das Grundstück, aber das Haus. Und dann investiert man natürlich auch, man will es ja schön haben und es war vorher gar nicht bewohnbar. Es hat gerochen, es war schimmlig, es war undicht", erinnert sich Zumika Braun.

Siedlung soll für Internatspläne weichen

Gleich neben Brauns Garten steht der Grund für die Kündigungen: ein verfallenes Herrenhaus. Die Mauern bröckeln, die Fenster sind notdürftig mit Sperrholz vernagelt, das ganze Gelände ist umzäunt und gesperrt. Die Karg-Stiftung will hier ein Internat für hochbegabte Kinder errichten.

"Die Pläne für die Rettung des Herrenhauses befinden sich in einer sehr frühen Phase", teilt die Stiftung dem rbb mit. Und: "Angesichts der maroden Infrastruktur und der erheblichen Betriebskosten lässt sich die Datschensiedlung nicht mehr wirtschaftlich betreiben".

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Investitionsschutzfrist ist abgelaufen

Pächter Kristof Eschholz versteht die Welt nicht mehr. Er ist 63 Jahre alt und verlebte schon die Sommer seiner Kindheit hier. Seinen eigenen Kindern hat er hier das Schwimmen beigebracht. "Dieses Pachtgrundstück gehört einfach zu meinem Leben, wie meine Familie. Ich bin dort aufgewachsen. Und deswegen tut es mir sehr weh, dass wir hier jetzt runter sollen", sagt Eschholz.

Doch die Regelung des bundesdeutschen Gesetzes ist eindeutig: Nachdem 2015 der Kündigungsschutz für DDR-Datschen abgelaufen ist, endet nun auch die sogenannte Investitionsschutzfrist. Das heißt: Grundstückseigentümer müssen - seit dem 3. Oktober 2022 - bei einer Kündigung die Pächterinnen und Pächter nicht einmal mehr entschädigen.

Wirklich wehren können sich betroffenen Datschenbesitzer nicht, sagt Rechtsanwalt Torsten Koschel vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN). Es sei zwar bitter für den einzelnen Grundstücksnutzer, "aber der Ablauf dieser Frist war lange bekannt, er war angekündigt", so Koschel.

Datschenbesitzer könnten auf Abrisskosten sitzenbleiben

Der Pachtvertrag von Zumika Braun galt lediglich für je ein Jahr und wurde dann regelmäßig verlängert. Sie hatte allerdings darauf vertraut, hier längerfristig bleiben zu können. Dieser Traum ist nun geplatzt.

Derzeit gebe es beim VDGN vermehrt Beratungsbedarf in ähnlichen Fällen, sagt Torsten Koschel. Wie viele Datschenbesitzer genau in Brandenburg und Berlin insgesamt betroffen sind, weiß er nicht. Er rät Betroffenen, noch einmal das Gespräch mit den Grundstückseigentümern zu suchen. Denn kommt es hart auf hart, bleiben Datschenbesitzer möglicherweise sogar auf den Abriss-Kosten für ihre Wochenendhäuschen sitzen. Zumindest in diesem Punkt hat im Fall Briest die Karg-Stiftung Gesprächsbereitschaft signalisiert. Doch eine Rettung für Zumika Brauns kleines Paradies bedeutet auch dieses Angebot nicht.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 25.10.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Claudia Baradoy

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