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Video: rbb|24 | 16.11.2022| Material: rbb|24 | Quelle: rbb

FU-Studie zu Farbpartikeln im Boden

Graffitikunst belastet die Umwelt. Und jetzt?

Laut einer Studie der Freien Universität Berlin sorgt Graffiti für eine extrem hohe Mikroplastikbelastung von Böden. Aber was macht man jetzt mit dieser Information, als Künstler und als Forscher? Ein Besuch in zwei Welten. Von Simon Wenzel

Es ist nicht viel los an diesem sonnigen Vormittag an der berühmten Graffitiwand im Mauerpark. Ein junger Mann steht vor der Mauer mit einer Farbsprühdose in der Hand und arbeitet an seinem Werk. Er trägt eine Atemschutzmaske, Handschuhe und hat die schwarze Kapuze beim Sprühen über den Kopf gezogen.

Untersuchung der FU im Mauerpark

Graffiti führen laut Studie zu starker Mikroplastik-Belastung von Böden

Nach und nach nimmt er sich eine der Spraydosen zu seinen Füßen, zunächst verschiedene Grün-Töne, dann gelb und Orange. Auf einer Fläche von etwa vier Quadratmetern besprüht er die Wand. Eine Stunde dauert das, dann ist auf einem grün-gelben Hintergrund ein großes, rotes "R" in einem Kreis zu sehen, es steht für "Rise", seinen Künstlernamen. Jetzt nimmt sich Rise die schwarze Sprühfarbe und schreibt einen Spruch an die Wand:

Müll im Wald
Müll im Meer
Die Taschen voll
Die Köpfe leer!

"Mein erster Gedanke war, dass mich das überhaupt nicht wundert"

Seit seiner frühen Jugend sprüht der 27-jährige Berliner, ein bis zwei Mal die Woche. Anfangs habe ihn daran fasziniert, die graue Stadt "bunter zu machen", sagt er. Inzwischen sind politische oder aktivistische Botschaften zum Teil seiner Kunst geworden.

Rise vor seinem Kunstwerk im Berliner Mauerpark. | Quelle: rbb

Der Spruch, den Rise für dieses Treffen gewählt hat, richtet sich gegen Umweltverschmutzung. Er findet, das passt zum Thema unseres Treffens: Umweltbewusstsein in der Graffiti-Szene. Genau da, wo Rise gerade sitzt, im Mauerpark, hat ein Forschungsteam der Freien Universität vor zwei Jahren Bodenproben entnommen. Die Untersuchungsergebnisse wurden vor einem Monat veröffentlicht, unter der Überschrift: "Graffiti-Sprühfarben belasten Böden mit Mikroplastik". Noch bis sieben Meter von der Wand entfernt seien extrem hohe Mikroplastikvorkommen im Boden gefunden worden, heißt es darin [externer Link: fu-berlin.de].

Rise hat das gelesen, immerhin geht es um die Wand, an der er seit der Kindheit sprüht. "Mein erster Gedanke war, dass mich das überhaupt nicht wundert", sagt er, "die Sprühpartikel sind ja sehr klein und fliegen überall hin, insofern ist es nicht verwunderlich, dass das irgendwann in der Natur landet."

Unter dem Mikroskop wird aus brauner Erde ein Farbenmeer

Was genau da in der Erde gefunden wurde, ist aber für Nicht-Wissenschaftler schwer zu fassen. Das wird erst so richtig deutlich am anderen Ende Berlins: Im Laborraum des Instituts für Biologie an der Freien Universität in Steglitz. Studienleiter Matthias Rillig und seine Mitarbeiterin Yaqi Xu, die die Studie durchgeführt hat, tragen weiße Kittel aus speziellem Material, damit keine Fasern ihre Proben verunreinigen.

Xu holt aus dem Schrank eine Box voller kleiner Plastikbehälter. Sie enthalten die Bodenproben aus dem Mauerpark. Mit bloßem Auge betrachtet, sieht der Inhalt aus wie normale Erde, dunkelbraun bis schwarz. Danach zieht Yaqi Xu ihr Handy aus der Tasche und zeigt eine Mikroskop-Aufnahme desselben Bodens. In echt wäre das winzig klein, nicht mal ein Mal ein Millimeter. Vergrößert ist aber etwas zu sehen, das wie eine Hand voll Sand mit ganz vielen bunten Kügelchen aussieht – das sind die Farbpartikel.

Selbst für Xu und Matthias Rillig ein neuer Anblick. Normalerweise ist Mikroplastik in Böden nicht so bunt. Farbpartikel konnte man bisher nicht in Böden nachweisen, denn sie sind dichter als andere Mikroplastikpartikel, dadurch fielen sie beim bisherigen Testverfahren sozusagen durchs Raster. Erst eine Anpassung des Verfahrens machte die Studie möglich und zeigte, dass im Boden vor der Graffitiwand pro Kilogramm trockenem Boden mehrere hunderttausend Teilchen von Mikroplastik liegen.

Ein Ausschnitt aus den Abbildungen in der FU Studie: So sehen die Mikroplastik Partikel unter dem Mikroskop aus. | Quelle: Freie Universität Berlin

Der Mauerpark war nur ein "übertriebenes Fallbeispiel“

Etwas überraschend sagt Matthias Rillig noch bevor das Interview so richtig los geht: "Es geht uns eigentlich gar nicht explizit um Graffiti." Klingt erstmal komisch, aber dann erklärt er, dass es ihm und seiner Forschungsgruppe nicht darum gegangen sei, die Graffiti-Kunst im Mauerpark als Umweltsünder anzuprangern. Vielmehr habe der Boden vor der Wand als "übertriebenes Fallbeispiel" gedient. Schließlich sei es darum gegangen, überhaupt erstmals Farbpartikel im Boden nachweisen zu können. An diesem "Hotspot" habe man davon ausgehen können, etwas zu finden, schließlich sei hier seit Jahrzehnten mit Farbe gearbeitet worden.

"Uns war es wichtig, den Leuten zu vermitteln, dass Farbe, wie wir sie überall um uns herum benutzen immer auch Plastik enthält", sagt Rillig. Ihm selbst sei das noch vor einigen Jahren auch gar nicht so bewusst gewesen, dann aber habe man die Partikel in Wasser nachweisen können – abgelöst von Schiffslackierungen zum Beispiel. Farbpartikel im Boden, das ist wissenschaftlich gesehen der nächste Schritt. "Jetzt geht es darum zu schauen, ob das ein Problem ist, was über den Mauerpark hinausgeht", sagt Rillig.

Yaqi Xu und Matthias Rillig im Institut für Biologie der FU Berlin. | Quelle: rbb

Auswirkungen auf den Boden noch gar nicht bekannt

Das steht zumindest zu befürchten, soviel ist aus ihm heraus zu kriegen. Als Wissenschaftler tut sich Rillig mit Prognosen ohne Datengrundlage schwer. Was nicht erforscht ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Fest steht aber: Plastik ist als Bindemittel in handelsüblichen Farben enthalten. Es wird also beim Sprühen und Streichen von Flächen mit aufgetragen. Farbmikroplastik im Boden vor gestrichenen Hauswänden wären für den Professor keine Überraschung und damit wäre das Thema viel größer als ein paar Graffitis auf 150 Metern Mauer.

Das soll nun erforscht werden. Genauso wie die Auswirkungen, die die Farbpartikel auf die Böden haben, denn erstmal wisse man nur, dass sie da seien, nicht was sie dort tun. "Wir wissen grundsätzlich schon relativ viel über leichtere Mikroplastikpartikel im Boden", sagt Rillig, "über diese besondere Art von Mikroplastik aber nicht." Leichtere Mikroplastikpartikel könnten beispielsweise die Beschaffenheit des Bodens ändern, damit rechnet Rillig bei den Farbmikroplastikpartikeln aber nicht. Durch die Schwermetalle, die in den Lacken und Farben enthalten sind, könne es allerdings sein, dass diese Mikroplastikpartikel toxische Effekte auf Bodenmikroorganismen haben. Möglicherweise setzen sich die Giftstoffe nach und nach frei im Boden. Das soll in weiteren Studien getestet werden. Das Forschungsteam um Matthias Rillig und Yaqi Xu steht noch ganz am Anfang seiner Arbeit.

Video | Rückstände aus Farben

Forscher untersuchen Mikroplastik-Rückstände von Graffiti im Boden

Mehr Infos finden Sie hier.

Umweltbewusstere Sprayer beschäftigen sich bisher mit Makroplastik

Zurück im Mauerpark: Rise, der Graffiti-Künstler, packt seine Sachen zusammen. Die heute Morgen noch vollen 400ml-Spraydosen sind etwa zu einem Drittel gelehrt. "Besonders nachhaltig" sei das Sprayen nicht, sagt Rise. Er selbst hat sich schon öfter Gedanken gemacht, wie die benutzten Sprühfarben zusammen gesetzt sind. "Es gibt immerhin schonmal hochwertigere Farben, in denen weniger Lösungsmittel drin sind, die sind dann aber teurer und es gibt oft weniger Farbtöne", sagt er. Von Sprühfarbe ohne oder mit weniger Mikroplastik, wie man das zum Beispiel aus der Kosmetikindustrie kennt, hat er noch nie gehört. "Ich glaube nicht, dass es die gibt, zumindest habe ich noch keine entdeckt", sagt Rise. Bei Wandfarben zum Streichen gibt es erste Angebote mit Farben ohne Mikroplastik. Wenn so etwas auch als Sprühfarbe verfügbar wäre, würde Rise sie gerne ausprobieren.

Die Studie der FU nehme er "schon ernst", sagt Rise. Trotzdem findet er, dass die Graffiti-Szene vor dem Mikroplastik-Problem erstmal ihr Makroplastik-Problem zu lösen habe. Es fehle zum Beispiel an einem Pfandsystem für Spraydosen, noch dazu gibt es in der Nähe legaler Graffiti-Wände nur selten ausreichend Mülleimer. So würden Dosen einfach in die Gegend geworfen. Ein Beweisstück liegt direkt vor dem nächsten Baum - und kurz darauf im Müll. Dieser offensichtliche Abfall ließ sich schnell beseitigen. Wie die Sache mit dem Mikroplastik weitergeht? Gute Frage.

Sendung: rbb24 Abendschau, 20.11.2022, 19:30 Uhr

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