Am 27. Februar 1904 wird in der sächsischen Oberlausitz nahe der Grenze zu Brandenburg ein Wolf geschossen. Bis zur Rückkehr der Wölfe gilt der "Tiger von Sabrodt" als letzter Wolf Deutschlands. Um zu erklären, warum er für einen Tiger gehalten wurden, beleuchten wir zunächst eine lange Beziehung zwischen Wolf und Mensch:

Hunderte Jahre zuvor ist der Wolf für Viehbesitzer zur Gefahr geworden. Für Eberswalde und Berlin sind im 14. Jahrhundert hohe Wolfsdichten dokumentiert. Das Vieh wird im ausgehenden Mittelalter ungeschützt zur Buchecker- und Eichelmast in den Wald getrieben. Jedes einzelne Tier ist für die arme Landbevölkerung überlebenswichtig. Deswegen ist es existenzbedrohend, wenn ein Wolf ein Tier reisst.

Fehlendes Wissen verwebt sich mit Existenzangst – Hass und Angst vor dem Beutegreifer wachsen. Auch die Feudalherren haben wenig für ihren Jagdkonkurrenten Wolf übrig. Ab dem 15. Jahrhundert setzt eine organisierte Bekämpfung des Wolfes ein: mit Gift, Fallen und Treibjagden.

Die Landbevölkerung wird von der Obrigkeit zum "Wolfslaufen" verpflichtet. Diese erschöpfenden und gefährlichen Wolfsjagden sorgen für Unmut. 1613 etwa müssen Prenzlauer als Gehilfen für eine Jagd zu Fuß ins 53 Kilometer entfernte Groß Schönebeck ziehen.

Die Jagden werden dabei immer ausgefeilter: Waldgebiete, in denen Wölfe gesichtet werden, werden mit Wolfsnetzen und mit an Bändern angebrachten farbigen Lappen eingekreist. Allein die aus Hanfseil bestehenden Wolfsnetze zu transportieren war eine Plackerei, da sie mehrere Hundert Kilogramm wogen: Das Wolfsnetz auf dem Foto ist 200 Meter lang und zwei Meter breit. Die Wölfe werden daraufhin in Treibjagden in die Netze getrieben und mit Äxten und Knüppeln erschlagen.

Man baut aufwändige "Wolfsfänge" oder Wolfsgruben. Lämmer oder Ziegen dienen als Köder. Versucht der Wolf, zum Köder zu springen, fällt er in die drei bis fünf Meter tiefe Grube. Sie sind bis ins 18. Jahrhundert üblich.

Der Wolf hält Einzug in Märchen und Sagen und muss als "das Böse" besiegt werden. Besonders bekannt ist das durch die Gebrüder Grimm 1812 adaptierte "Rotkäppchen" – es avanciert zum Volksmärchen.

"Ei, Großmutter, was hast du für große Augen?" — "Dass ich dich besser sehen kann!" — "Ei, Großmutter, was hast du für große Hände?" — "Dass ich dich besser packen kann." — "Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul?" — "Dass ich dich besser fressen kann." Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bett und verschlang das arme Rotkäppchen.

Das Feindbild Wolf ist über alle Generationen hinweg präsent. Die Tiere sind zu der Zeit bereits durch die intensive Bejagung in weiten Teilen Deutschlands verschwunden. Ab 1750 verlagern sich die Ausrottungsfeldzüge gegen den Wolf mehr und mehr auf das Gebiet des heutigen Brandenburg.

Im letzten Rückzugsgebiet lobt 1817 die Potsdamer Regierung Prämien für den Abschuss aus. Nun werden nur noch einzelne Wölfe geschossen. Als Triumph über diese letzten Wölfe werden in Brandenburg Denkmäler in Form von "Wolfssteinen" oder "Wolfssäulen" gesetzt. Um 1850 verlieren sich in Brandenburg Hinweise auf Wolfsrudel.

Doch 1900 kommt es nahe Sabrodt zu Tierrissen. Die Menschen können sie zunächst nicht einordnen. Angst macht sich breit. Sie verdächtigen daher einen Wanderzirkus, der gerade in der Gegend ist und halten das Tier für einen ausgebrochenen Tiger. So kommt der "Tiger von Sabrodt" zu seinem Namen.

Nach vier Jahren wird der Wolf bei Tzschelln nahe Hoyerswerda entdeckt. Die Jäger nutzen den Neuschnee im Februar 1904, um den Spuren des Tieres im Schnee zu folgen und dem Wolf aufzulauern. Bei einer Treibjagd mit 18 Jägern und Treibern erschiesst Förster Bremer aus Weißkollm den bereits durch einen Schuss verletzten Grauwolf. Im Bild posiert der Schütze mit seiner Familie. Er erhält die damals stattliche Summe von 100 Mark.

Das Tier wird in Berlin von Otto Bock präpariert. Menschen strömen in Scharen, um sich den Rüden – 41 kg schwer, war 0,80 m hoch und 1,60 m lang – gegen ein Eintrittsgeld im Schützenverein Hoyerswerda anzusehen. 1956 wird das Präparat ins Museum Schloss Hoyerswerda gebracht, wo es auch heute noch zu sehen ist.

Durch die Berner Konvention von 1979 und das Bundesnaturschutzgesetz stehen Wölfe seit 1984 in der BRD und seit der Wiedervereinigung in ganz Deutschland unter strengem Schutz. Im Jahr 2000 siedeln sich – mit ihrer ersten erfolgreichen Fortpflanzung und Aufzucht der Wolfswelpen – die ersten rückkehrenden Wölfe in der Muskauer Heide an, unweit des Ortes wo der "Tiger von Sabrodt" erlegt wurde.

Text und Bildzusammenstellung: Caroline Winkler
Sendung
Weitere Bildergalerien