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Quelle: rbb24

Nagelstudio-Betreiberin in der Corona-Krise

"Die Wut ist eigentlich Verzweiflung"

Karin Durr macht Nägel, Fingernägel. Seit 30 Jahren hat sie ihr eigenes Studio. Dann kam Corona. Ein Jahr nach Beginn des ersten Lockdowns ist sie finanziell und psychisch am Ende. Politik und Medien vertraut sie nicht mehr. Von Bernadette Huber

Karin* ist 49 und hat ein Nagelstudio im Speckgürtel von Berlin. Seit dem Lockdown im November ist es geschlossen.

Auszug aus einer WhatsApp-Nachricht:
Ich habe mich in den letzten Wochen unwahrscheinlich verändert. Ich schwanke immer zwischen Depression und Wut. Natürlich bin ich auch krank geworden. Ich habe eine massive Gürtelrose. Wie du weißt, ein Arztbesuch kommt nicht in Frage.”

Es ist der 20. Februar 2021. Seit 112 Tagen hat Karin jetzt nicht mehr gearbeitet.

Karin, die Nagelstudiobesitzerin

Fünf Wochen zuvor in einem kleinen Dorf im Speckgürtel von Berlin. Karin hält die Glastür ihres Nagelstudios weit auf. Sie versucht den nötigen Mindestabstand zu halten, das fällt ihr gar nicht so leicht. "Früher habe ich Umarmungen gar nicht gemocht, aber die Kundinnen haben mir das beigebracht. Jetzt umarme ich alle und jeden!" Sie lacht.

Karin ist am Vortag extra schon einmal hergefahren, um die Heizung aufzudrehen. 100 Quadratmeter mit einer großen Glasfront. Die Wände sind in einem hellen Babyblau gestrichen. Ein Bild an der Wand zeigt schwarzglänzende lange Gelnägel, zwischen den Fingern blitzt ein geschminktes Auge hervor. Ein durchsichtiges Plastikschwein, gefüllt mit Nagellackflaschen auf einem weißen Regal. Daneben eine Orchidee.

Die ebenfalls weiße Theke in der Mitte des Raumes hat ihr Mann hier eingebaut. "Haben wir alles selbst gemacht!" Karin ist aufgeregt. Eigentlich wollte sie nicht in die Medien. Mit Medien hatte sie noch nie etwas zu tun. Nach zwei Tagen Bedenkzeit stimmt sie aber zu: Es muss da mal was gesagt werden.

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Ein Laden und ein Leben

"Es muss sich jetzt sofort etwas ändern!" Karin sitzt in einem der weißen Ledersessel. Die Hände halten einander im Schoß fest.

Karin möchte wieder arbeiten. Sie leiht sich Geld von ihren Kindern, um ihre Miete zu bezahlen. Die Handkante auf ihrem Oberschenkel unterstützt die nächsten Worte: "Oder, wir bekommen wirkliche finanzielle Unterstützung!"

Finanzielle Unterstützung hat Karin in den 30 Jahren ihrer Selbstständigkeit noch nie gebraucht. "Ich hatte die ersten Anfragen, bevor ich überhaupt aufgemacht habe." Ihr Kinn streckt sich leicht in die Höhe, "ich war die Erste, die sich in unserem Amt damit angemeldet hat, konnte direkt loslegen und habe gemerkt: Das funktioniert!"

Ihre Kundinnen sagen zu ihr, "weißte was, Karin, eigentlich komme ich gar nicht wegen der Nägel, ich komme eigentlich wegen der Gespräche her! Du tratschst nicht." Manchmal, sagt sie, weiß sie mehr als deren Partner. Und dann lacht sie laut in den stillen Laden hinein.

Die Beziehung zu ihrer Mutter war nicht einfach. Die Selbstständigkeit irgendwie auch Zugang zum Selbstwertgefühl. "Ich muss niemanden fragen, ob ich mir etwas kaufen darf", sagt Karin. "Das ist ganz wichtig - auch für mich als Frau." Ihr Beruf und dieses Nagelstudio sind mehr als ihre Existenz. Sie sind ihr Leben. "Das ist mein Ich. Das ist mein Selbstbewusstsein”, sagt Karin.

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Finanzielle Schieflage

Seit dem 2. November 2020 ist die Glastür des babyblauen Nagelstudios verschlossen. Die Corona-Hilfen hat Karin direkt am 25. November beantragt. Die Dezemberhilfen kamen im Januar. Die Novemberhilfen stehen bis heute aus.

In Brandenburg haben 9.176 Menschen Novemberhilfen beantragt. 8.110 davon wurden komplett ausgezahlt, 718 haben eine Abschlagszahlung erhalten. 348 Anträge wurde noch nicht ausgezahlt. Bei den Dezemberhilfen wurden bis jetzt 8.707 Anträge gestellt, von denen 330 noch nicht ausgezahlt wurden. Neue Anträge gehen weiterhin ein. Im Bundesschnitt sieht es mit dem Anteil ausgezahlter November- und Dezemberhilfen schlechter aus.

Als das Gespräch auf Existenzängste kommt, geht ihr Blick zur Seite und die Hände fallen in ihren Schoß. Karin sucht nach den richtigen Worten. Dann beschreibt sie stattdessen ihre Nächte: "Meistens gehe ich gegen halb zwei ins Bett, weil ich eher nicht schlafen kann. Ich stehe um halb sechs wieder auf, bin in der Nacht zehn, fünfzehn, zwanzigmal wach. Nie mehr als zehn Minuten Schlaf am Stück."

Fehlersuche

Mit den Geldsorgen kommen die Selbstzweifel zurück. "Es war schlimm für mich, dass das Wort systemrelevant erfunden wurde", sagt sie. Sie, die Selbstständige, die doch auch ganz wichtig für viele Menschen ist, die, die immer versucht, ein offenes Ohr zu haben.

Sie spricht von dem Gefühl, selbst nichts wert zu sein. Sie fühlt sich in ihre Kindheit zurückversetzt. Je länger der Laden zu ist, je größer die Geldsorgen werden, desto schlechter geht es ihr. Karin sagt: "Psychisch bin ich am Ende."

Am Anfang der Pandemie haben die Verantwortlichen gesagt, sie lassen die Gewerbetreibenden nicht im Stich. Karin hat ihnen geglaubt. Lange Zeit noch. Doch dann kommen die Zweifel. An der Politik aber auch an sich als Unternehmerin.

Sie fragt sich, ob sie zu verschwenderisch war. Im Urlaub war sie nie. Aber ins Kino ist sie gegangen und hat sich auch mal Essen nach Hause bestellt. "Ich möchte arbeiten, aber ich darf nicht arbeiten." Und wieder, etwas unsicher: "Es liegt nicht an mir."

Sie möchte irgendwie aktiv werden, gehört werden. Am 11. Januar hatte sie ihren Laden symbolisch offen, "um zu zeigen, dass wir Gewerbetreibenden am Limit sind!" Karin will Kritik "ordentlich" rüber bringen. Auf eine Demo zu gehen, hatte sie erst überlegt und es dann doch nicht getan. "Ich leugne keinen Virus."

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"Eine zunehmende Entfremdung"

Schon im Januar fühlt Karin sich ohnmächtig. Das Einzige was ihr Hoffnung macht, ist der Austausch über Telegramgruppen, in denen sie merkt: Sie ist nicht die Einzige, der es so geht. Vorsichtig spricht sie davon, dass die Gewerbetreibenden immer mehr Wut bekommen, und resümiert: "Die Wut ist eigentlich Verzweiflung."

Ende Februar 2021.

Christian Amsinck vom Unternehmensverband Berlin-Brandenburg stellt "eine zunehmende Entfremdung zwischen Wirtschaft und Politik" fest. "Wir haben das Gefühl, es wird wirklich nicht richtig zugehört."

Bei Karin ist inzwischen durch den Schlafmangel und den Stress ein schmerzender Hautausschlag aufgeflammt. Eigentlich müsste der frühzeitig behandelt werden. Karin bekommt keine Behandlung, denn sie geht nicht zum Arzt. Sie hat kein Geld, um den Eigenanteil ihrer privaten Krankenkasse zu bezahlen.

Um diesen Anteil kommt man nicht herum. Sie zahlt rund 300 Euro Beitrag im Monat, ihre Selbstbeteiligung liegt bei etwas über 2.000 Euro. Weniger geht ohne vom Sozialamt bestätigte "Hilfsbedürftigkeit" nicht, sagt die Krankenkasse.

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Bürokratie

Karins Novemberhilfen sind abgelehnt. Am 24. Februar 2021 schreibt sie per WhatsApp:

"Angeblich wurde der Antrag so ausgefüllt, dass ich einen Betrag von unter 5€ bekommen hätte. Und das stimmt nicht. Nun durften wir den Antrag noch mal machen. […] Das ging mehreren Gewerbetreibenden so. Für mich ist das Betrug mit System."

“Bei den Novemberhilfen gab es diesen einen bestimmten Fehler bei der Antragstellung mehrmals”, sagt Ingrid Mattern von der Investitionsbank des Landes Brandenburg. "Vielleicht hat das Formular verführt, diesen Fehler zu machen." Es handele sich bei den falsch ausgefüllten Anträgen, aber um einen "geringen Prozentsatz." Die betroffenen Anträge wurden aus dem System gelöscht. Gleichzeitig per Mail die Bitte verschickt, den Antrag noch einmal neu auszufüllen. Ingrid Mattern sagt, sie "staune, dass manche so viele Wochen warten und dann enttäuscht sind." Sie hätte sich gewünscht, diejenigen hätten sich "schneller bei uns gemeldet und nachgefragt."

Wut und Depression

Karin reagiert auf die Nachfrage, was sie hätte anders machen können, wütend. Aus jedem Satz liest man inzwischen das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein.

"Der Fehler liegt nicht bei uns.
Schon das Wort “Hilfen” ist furchtbar. Wir müssen keine Sozialhilfe beantragen. Eine Entschädigung steht uns zu und das in voller Höhe! Arbeitsverbot hat der Staat uns auferlegt."

Und dann kommt es so, wie sie ihre Gefühle selbst beschrieben hat. Die Wut schlägt wieder um in Depression. Ein erneutes Treffen sagt sie ab:
Mir fehlt eigentlich die Kraft dazu. Ich habe dir ja schon geschrieben, dass ich mich verändert habe […]Die Politiker möchte ich nicht in meine vier Wände lassen. Die interessiert es auch nicht. [...] Danach geht es zum gemütlichen Abendprogramm, und alles ist vergessen.”

*Name von der Redaktion geändert

Beitrag von Bernadette Huber

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