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Audio: Inforadio | 03.03.2021 | Thorsten Gabriel | Quelle: imago images/U. Grabowsky

Berliner Gewaltschutzambulanz

Mehr Fälle häuslicher Gewalt im zweiten Lockdown - Verletzungen zudem schwerer

Im Lockdown werden sie beinahe unsichtbar, und dennoch dürfen sie nicht aus dem Blick geraten: die Fälle häuslicher Gewalt. Die Berliner Charité verzeichnet in ihrer Gewaltschutzambulanz erneut einen Anstieg der Fälle - vor allem bei Frauen und Kindern.

Die Gewaltschutzambulanz an der Berliner Charité verzeichnet auch im Zusammenhang mit dem zweiten Lockdown eine höhere Zahl an Gewaltopfern. Insgesamt registrierte die Einrichtung im vergangenen Jahr acht Prozent mehr Fälle als noch im Jahr 2019.

Laut der stellvertretenden ärztlichen Leiterin der Einrichtung, Saskia Etzold, haben sich 1.661 Gewaltopfer im Jahr 2020 gemeldet. Davon warn 900 Frauen und 352 Männer. Vier Menschen gaben laut Petzold an, unter die Kategorie "divers" zu fallen.

Die Zahl der Kinderfälle in der Gewaltschutzambulanz stieg um 14,4 Prozent auf 405 Fälle. Bei Frauen und vermehrt auch bei Kindern sei sehr viel Gewalt gegen den Hals festgestellt worden. "Meistens ausgelöst durch Würgen", sagte Etzold.

Wie bereits beim ersten Lockdown im März seien auch beim zweiten Lockdown zum Ende des Jahres die Zahlen zunächst eingebrochen. So gingen im November die Fälle um fast 40 Prozent zurück.

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Schweregrad der Verletzungen deutlich höher

Opfer häuslicher Gewalt hätten angesichts von Ausgangsbeschränkungen viel weniger die Möglichkeit, die Ambulanz aufzusuchen. Mit den Lockerungen stiegen dann aber die Fallzahlen drastisch. Auffällig sei auch, dass der Schweregrad der festgestellten Verletzungen deutlich höher gewesen sei als in den Vorjahren, so Etzold.

Besonders sei im vergangenen Jahr gewesen, dass Jugendliche selbst die Polizei gerufen hätten. Einige hätten Fotos von ihrer Verletzung gemacht und per WhatsApp an Freunde geschickt, sagte Etzold. Diese hätten selbst reagiert oder ihre Eltern informiert, die dann die Polizei gerufen hätten.

Parallel dazu verzeichnete die Amtsanwaltschaft eine Zunahme an Strafverfahren wegen häuslicher Gewalt. 2020 waren es nach Angaben von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) rund 7,5 Prozent mehr als im Vorjahr (2019: 14.824 Verfahren, 2020: 15.871 Verfahren). Die Amtsanwaltschaft ist eine eigene Strafverfolgungsbehörde und zuständig für mittlere- und Kleinkriminalität.

An den Familiengerichten sei dagegen eine leichte Abnahme bei den Gewaltschutzsachen verzeichnet worden. 2019 gab es noch 2.745 Verfahren, 2020 waren es 2.423 Verfahren. Wichtig sei das Signal an alle Opfer: "Wir haben einen Blick drauf", sagte Behrendt. Die Hilfeinfrastruktur sei weiterhin offen und vorhanden.

Saskia Etzold leitet die Gewaltschutzambulanz der Charité in Berlin. | Quelle: dpa/J. Carstensen

GdP weist auf Dunkelziffer hin

Die Gewerkschaft der Polizei sprach von einer besorgniserregenden Entwicklung. Der Landesvorsitzende Norbert Cioma wies darauf hin, dass im Lockdown viele Kontrollen durch Lehrer und Erzieher sowie im Freundes- und Bekanntenkreis wegfielen. Opfer häuslicher Gewalt seien den Tätern noch häufiger ausgeliefert. "Wir reden hier gerade mal über das Hellfeld", sagte Cioma. "Viele dieser grausamen Taten bleiben im Dunkelfeld außerhalb unseres Radars."

Auch Etzold erklärte: "Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, die Opfer von Gewalt nicht aus dem Blick zu verlieren. Dieses gilt insbesondere für die Kinder, die während des Lockdowns durch die Schließung von Kitas und Schulen aus der sozialen Kontrolle geraten können." Sie ruft Bürgerinnen und Bürger zur Aufmerksamkeit auf.

Die Charité bietet Gewaltopfern eine kostenlose medizinische Untersuchung und Dokumentation ihrer Verletzungen. Zudem gibt es mobile Anlaufstellen in den Rettungsstellen [gewaltschutzambulanz.charite.de], eine stationäre Versorgung von Opfern, Frauenhäuser, Kinderschutzambulanzen und Zufluchtswohnungen.

Sendung: Inforadio, 03.03.2021, 13:30 Uhr

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