Berlin - Deutlich mehr Fälle von häuslicher Gewalt während des Lockdowns

Do 02.07.20 | 14:05 Uhr
Eine Frau versucht, sich vor der Gewalt eines Mannes zu schützen, Symbolbild (Quelle: Picture Alliance/Frank May)
Bild: Picture Alliance/Frank May

Der Lockdown hat zu einer deutlichen Zunahme an Gewalt gegen Frauen und Kinder in von Berliner Familien geführt. Dies bestätigen nun auch Zahlen der Senatsverwaltung und der einer speziellen Anlaufstelle für Betroffene bei der Charité.

Die Zeit des Lockdowns hat in Berlin zu einem deutlichen Anstieg von häuslicher Gewalt und Kindesmissbrauch geführt. Dies teilte die Gewaltschutzambulanz der Charité am Donenrstag gemeinsam mit Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) mit.

Demnach registrierte die Gewaltschutzambulanz, die unter anderem kostenlos rechtsmedizinische Gutachten für Betroffene erstellt, im ersten Halbjahr dieses Jahres insgesamt 783 Fälle. Das sei ein Anstieg von 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Kindesmisshandlungen sei dabei besonders stark gestiegen - um 23 Prozent.

Auffällig sei, dass mit dem Beginn des Lockdowns im März zunächst ein deutlicher Rückgang der Fälle um 24 Prozent im Vergleich zu 2019 festgestellt worden sei. Ab Ostern habe sich dies jedoch stark geändert. Mit dem Höhepunkt der Lockerungen in den ersten beiden Juni Wochen habe es einen Anstieg von 50 Prozent gegeben.

Soziale Kontrolle erst wieder mit Lockerungen möglich

Die Fallzahlen spiegelten im Grunde die Phasen des Lockdowns wieder, teilte Saskia Etzold von der Gewaltschutzambulanz mit. "Zu Beginn war es den von Gewalt betroffenen Frauen nicht möglich, das Haus zu verlassen und sich Hilfe zu holen, außer wenn sie die Polizei gerufen haben." Dies habe dazu geführt, dass die Hilfseinrichtung im März und April von weniger Betroffenen aufgesucht wurde.

Allerdings seien in dieser Zeit viele besonders schwere Folgen von Gewalt begutachtet worden. Ein Sprecher der Senatsverwaltung für Justiz sagte auf Nachfrage von rbb|24, dass die Charité-Stelle in dieser Zeit auffällig viele Knochenbrüche oder Würgelmale am Hals bei Frauen und Kindern festgestellt habe. "Wir vermuten, dass das nur die Spitze des Eisbergs war", sagte der Sprecher.

"Ende Mai, Anfang Juni stiegen die Zahlen wieder deutlich an", so Etzold. "In vielen Fällen musste eine sichere Unterbringung der Frauen und ihrer Kinder organisiert werden." Zu diesem Zeitpunkt sei erst wieder eine soziale Kontrolle durch Kita-Erzieher, Tagesmütter oder Schulen möglich gewesen. Wodurch wieder mehr Fälle entdeckt werden konnten.

Ähnliche Entwicklung bei einschlägigen Gerichtsverfahren

Die Zahl der Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz hat sich laut Justizsenator Behrendt mit einer ähnlichen Kurve verhalten. Allerdings liegen noch keine Zahlen für das gesamte erste Halbjahr vor. Im ersten Quartal sei die Zahl der entsprechenden Verfahren an den Berliner Familiengerichten um 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Im März, mit Beginn des Lockdowns, habe es jedoch einen deutlichen Rückgang von 1.352 Verfahren auf 739 gegeben. Während der ersten Lockerungen im April stieg diese Zahl jedoch wieder deutlich von 1.089 im vergangenen Jahr auf 1.565 in diesem.

Deutliche Zunahme an Notrufen in den Wochen vor Ostern

"Die Zahlen der letzten Monate haben die schlimmsten Befürchtungen bestätigt", teilte Behrendt dazu mit. Betroffene sollten sich nicht fürchten, Angebote wie die Gewaltschutzambulanz wahrzunehmen, so der Senator. "Auch wenn für viele betroffene Frauen während der Pandemie die Perspektiven komplizierter sind, gilt der Grundsatz: 'Wer schlägt, der geht'."

Dass während des Lockdowns nicht weniger Gewaltverbrechen stattfanden, sondern verstärkt Familienverhältnisse zum Ventil wurden, verdeutlicht möglicherweise eine weitere Entwicklung, die von der Gewaltschutzambulanz registriert wurde. Die Zahl der Sexualstraftaten ist im ersten Halbjahr 2020 in Berlin deutlich zurückgegangen - insgesamt um 32 Prozent. Dabei handelt es sich unter anderem um Vergewaltigungen und ähnliche Verbrechen, die oftmals im Umfeld von Bars, Clubs oder anderen Veranstaltungen stattfänden, so der Sprecher der Justizverwaltung.

Bereits im April konnte der rbb Zahlen der Polizei einsehen, die verdeutlichten, dass in den Wochen vor Ostern die Zahl der Notrufe wegen Gewaltdelikten in familiären Umfeldern kontinuierlich zunahm. Erst nach den Feiertagen wurden wieder weniger Notrufe registriert.

Sie befinden sich in einer familiären Notsituation? Sind Druck oder Gewalt in Beziehung, Familie oder der häuslichen Gemeinschaft ausgesetzt?

Beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen erhalten Sie bundesweit unter der 08000 116 016 rund um die Uhr Unterstützung auf Deutsch und in 17 weiteren Sprachen.

Im Berliner Familienportal finden Sie eine Reihe von Gesprächspartnern und Angeboten, an die Sie sich wenden können, wie den Berliner Krisendiest, den Kinder- und Jugendnotdienst oder die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG). Hier finden Sie eine umfangreiche Liste der Hilfsangebote [berlin.de/familie].

Auch in Brandenburg gibt es eine Reihe von Hilfsangeboten für Frauen, die sich in ausweglosen Situationen im häuslichen Umfeld wähnen. Das Brandenburger Familienministerium bietet auf seinen Seiten einen Überblick zu Hilfsangeboten [msgiv.brandenburg.de]. In jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt in Brandenburg gibt es Vereine, die Frauenhäuser betreiben. Kontakte können Sie unter anderem über das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser finden [nbfev.de] oder über den Bundverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe [frauen-gegen-gewalt.de].

Sendung: Fritz, 02.07.2020, 13.30 Uhr

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