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Quelle: dpa/Weber

Interview | Psychoanalytiker Eckehard Pioch

Warum Impfneid "vollkommen verständlich" ist

"Wieso ist der schon gegen Corona geimpft - und ich nicht?" Bei manchen Menschen greift in diesen Tagen Impfneid um sich. Doch dagegen kann jeder und jede etwas unternehmen, wie der Berliner Psychoanalytiker Eckehard Pioch im Interview erklärt.

rbb: Auf Social Media-Plattformen begegnen uns immer wieder Fotos von Menschen, die nach absolvierter Corona-Impfung voller Stolz das Pflaster auf ihrem Arm präsentieren. Manche beschleicht dann ein unangenehmes Gefühl: Impfneid. "Warum jetzt der - und ich noch nicht?" Herr Pioch, ist das eigentlich in Ordnung, neidisch zu sein?

Eckehard Pioch: Neid ist in dieser Situation vollkommen verständlich und sollte auch nicht tabuisiert werden. Neid ist ja ein Gefühl, das entstehen kann, wenn ich vergleiche. Und das tun wir Menschen. Neid lebt vom Vergleich. Ich brauche etwas dringend und habe es nicht. Ich sehe aber jemand anderen, der es bereits hat. Dann entsteht dieses Gefühl, diese Mischung aus Angst, Wut und Traurigkeit, die wir Neid nennen.

Dieses Gefühl ist gleichzeitig auch mit Scham verbunden, weil es eben auf einen eigenen Mangel hinweist, auf ein Defizit. Ich habe es nicht geschafft, das zu bekommen, was ich dringend brauche. Eigentlich ist es erstmal vollkommen verständlich, dass Neid in der jetzigen Situation entsteht.

Zur Person

Eckehard Pioch ist niedergelassener Psychoanalytiker und Lehranalytiker. Zudem ist er Vorsitzender des Psychoanalytischen Instituts Berlin. Er ist Mitverfasser und Mitherausgeber des Buchs "Neid. Zwischen Sehnsucht und Zerstörung".

So hört sich das ja gar nicht so schlimm an. Wenn man jetzt aber zusätzlich noch denkt, "Der sollte es aber eigentlich nicht haben, mir steht es viel eher zu", wird es aber schon negativ, oder?

Neid kann eine konstruktive Variante haben oder eine destruktive. Wenn ich sage, "Ich möchte das auch haben", und setze mich dafür ein, dass ich dieses Bedürfnis auch erfüllt bekomme, dann ist das konstruktiv. Destruktiv ist Neid allerdings, wenn ich es dem anderen so wenig gönne, dass ich es dort auch zerstöre.

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Aber wie schafft man das, von diesem negativen Neidgefühl wegzukommen? Und eher zu denken, ich freue mich für diesen Menschen?

Wir Menschen sind unseren Gefühlen nicht ohnmächtig ausgeliefert. Aus psychoanalytischer Sicht ist aber eine Grundvoraussetzung, dass ich zunächst einmal aufrichtig anerkenne, dass ich dieses unangenehme Gefühl, diesen Neid habe. Wenn ich das bewusst bei mir wahrnehme, kann ich eine innere, beruhigende, tröstliche, reflektierende Stimme einsetzen, die diesem schmerzhaften Neidgefühl etwas entgegensetzt. Beim Impfneid kann ich mir zum Beispiel bewusst machen, dass es eine Impfreihenfolge gibt, die auf Bedürftigkeit basiert. Man sollte sich also sagen: Diejenigen, die es am meisten brauchen, sollen auch zuerst geimpft werden.

Man kann dann immer noch darüber diskutieren, ob da die richtigen Personen ausgewählt wurde, aber dieses Grundprinzip "Die Schwachen und Gebrechlichen zuerst" hat ja etwas zutiefst Humanes und bietet auch die Möglichkeit, sich damit zu identifizieren. Das ist jedenfalls sehr viel humaner und sozialer, als die Alternativen entweder zu verdrängen und zu verleugnen, dass es überhaupt eine Pandemie gibt.

Im internationalen Vergleich geht es in einigen Ländern ja auch eher sozialdarwinistisch zu, nach dem Prinzip der Stärkste zuerst, Stichwort Impftourismus, wo Menschen mit viel Geld in der Reihenfolge an den Bedürftigeren vorbeiziehen können. Unsere Reihenfolge nach Bedürftigkeit kann neidischen Menschen dabei helfen, diese Realität anzuerkennen. Es ist ja auch so, dass ich als noch nicht so Bedürftiger jemandem praktisch Platz mache, der die Impfung mehr braucht als ich. Daran kann ich dann vielleicht auch etwas Sinnhaftes sehen. Das hilft mir dann vielleicht auch, den Neid zu überwinden und mehr ins Gönnen zu kommen.

Herr Pioch, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Dörte Nath, Inforadio. Dieser Text ist eine redigierte Fassung. Das ganze Gespräch können Sie per Klick auf den Abspielknopf im Titelbild anhören.

Sendung: Inforadio, 28.04.2021, 7:05 Uhr

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