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Audio: radioeins | 23.11.2021 | Interview mit Medizinethiker Helmut Frister | Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Voraussetzungen und Konsequenzen

Was eine Impfpflicht konkret bedeuten würde

Um die vierte Corona-Welle einzudämmen, ist die Impfquote zu gering. Deshalb ist eine Diskussion über eine Impfpflicht entbrannt. Was das bedeuten würde und wie diese umgesetzt werden könnte - Fragen und Antworten.

Was bedeutet eine Impfpflicht?

Eine Impfpflicht bedeutet nicht, dass jemand mit körperlicher Gewalt dazu gezwungen wird, sich impfen zu lassen. Eine Impfpflicht würde aber bedeuten, dass Personen mit Bußgeldern, Tätigkeits- und Betretungsverboten für bestimmte Einrichtungen rechnen müssten, wenn sie nicht geimpft sind.

Österreich führt als erstes Land weltweit eine solche Corona-Impfpflicht im Februar 2022 ein - zunächst nur für Beschäftigte im Gesundheitssektor. Der österreichische Entwurf sieht Strafen von bis zu 3.600 Euro oder vier Wochen Ersatzfreiheitsstrafe vor. In Deutschland würde eine Verweigerung der Covid-Impfpflicht - wie auch bei der Masern-Impfpflicht - als Ordnungswidrigkeit mit 2.500 Euro bestraft werden. Bei Wiederholung der Verweigerung folgten dann höhere Strafen.

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Ist eine solche Impfpflicht in Deutschland überhaupt juristisch durchsetzbar?

Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit einer allgemeinen Impfpflicht. Zweimal ist diese auch schon in der Bundesrepublik durchgesetzt worden: von 1959 bis 1983 bei der Impfpflicht gegen die Pocken und seit 2020 gilt sie bei der Masern-Impfung für schulpflichtige Kindern und Beschäftigte von Kindertagesstätten und Schulen. Im IfSG wird auch geregelt, welche Entschädigungen im Fall von Impfschäden durch verpflichtende Impfungen greifen.

Um eine Impfpflicht gegen Covid-19 gesetzlich zu beschließen, müssen die verfassungsrechtlichen Positionen abgewogen werden. Im Grundgesetz ist das Recht auf die körperliche Unversehrtheit verankert. Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist nur gerechtfertigt, wenn der Eingriff verhältnismäßig ist. Diese "Verhältnismäßigkeit" wird gerade debattiert.

In welchem Fall wäre die Voraussetzung für eine Verhältnismäßigkeit gegeben?

Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist dann gerechtfertigt, wenn vorausgesetzt werden kann, dass der Eingriff einem legitimen Ziel dient; dass der Eingriff dazu geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen und dass es kein milderes Mittel gibt, dieses Ziel zu erreichen. Im Fall der Pocken galt dieser Eingriff zum Beispiel als verhältnismäßig, weil die Sterblichkeitsrate bei einer Pockeninfektion bei 30 Prozent lag. Die Pocken-Impfpflicht wurde übrigens 1983 wieder aufgehoben - als die Pocken dank der Impfung weltweit als ausgerottet galt.

Die aktuelle Debatte für oder gegen eine Corona-Impfpflicht beruht auf eben jener angemessenen Interessenabwägung, sagt der Medizinethiker Helmut Frister, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, dem rbb. "Die Voraussetzung für Verhältnismäßigkeit sehe ich als erfüllt an. Denn wir stehen im Grunde, das hat uns dieser Winter gezeigt, vor der Überlastung unseres Gesundheitssystems."

Diese könne nur verhindert werden durch eine Erhöhung der Impfquote oder eine Erweiterung der Lockdown-Maßnahmen, so Frister. Der Deutsche Ethikrat hat sich bisher allerdings noch nicht für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen - wohl aber für eine berufsbezogene Impfpflicht, zum Beispiel für Mitarbeitende im Gesundheits- und Bildungsbereich. Diese ist nach den Beratungen der Ministerpräsidentenkonferenz am 18. November auch wahrscheinlich.

Was würde eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe bedeuten?

Bei dieser spezifischen Impfpflicht geht es darum, besonders vulnerable Gruppen vor dem Coronavirus zu schützen. Deshalb sollen Mitarbeitende in Heil- und Pflegeberufen sowie Krankenhäusern künftig nur noch geimpft in ihren Einrichtungen arbeiten dürfen. Bedingung wäre dann, dass sie ihrem Arbeitgeber eine Impf- oder Genesungsbescheinigung vorlegen.

Allerdings gibt es auch Zweifel am Nutzen einer berufsspezifischen Impfpflicht. Dafür müsste nachgewiesen werden, dass durch die Impfung der Beschäftigten eine Ansteckungsgefahr minimiert oder ausgeschlossen werden kann. Sollte dies nicht nachweisbar sein, könnte eine Impfpflicht allein für Gesundheitsberufe vor dem Bundesverfassungsgericht gekippt werden.

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Wie könnte eine Impfpflicht kontrolliert werden?

Zum Arbeiten müsste dann dem Arbeitgeber der Impfnachweis erbracht werden. Jedoch gestaltet sich davon abgesehen die Kontrolle als schwierig. Denn anders als in anderen Ländern gibt es in Deutschland kein zentrales Impfregister.

Deshalb sehen Experten diesen Punkt auch als zentrales Problem an. Ohne Kontrollen könnte die Impfpflicht sogar negative Auswirkungen haben. "Wenn die Impfpflicht eingeführt wird, aber nicht staatlich durchgesetzt werden kann, verlieren die Menschen auch dann das Vertrauen in die Regierung", sagt Verhaltensökonomin Katrin Schmelz der ARD. Hinzu kommt: Eine Covid-19-Impfung hält, anders als die Pocken- oder Masernimpfung nicht ein Leben lang, sondern muss regelmäßig aufgefrischt werden. Das dürfte regelmäßige Kontrollen weiter erschweren.

Würde eine Impfpflicht dabei helfen, die vierte Corona-Welle zu durchbrechen?

Leider nein. Experten sind sich weitestgehend einig, dass eine Impfpflicht zum jetzigen Zeitpunkt zu spät käme, um die vierte Welle noch zu durchbrechen. Der Medizinethiker Frister geht allerdings davon aus, dass sie vor einer fünften Welle schützen könnte. Denn die Impfquote würde tendenziell wieder sinken, wenn sich im Frühjahr oder Sommer die Corona-Lage erwartungsgemäß wieder entspanne. "Ich bin persönlich skeptisch, ob wir die Menschen dann noch zu einer freiwilligen Impfung bewegen können", sagt Frister.

Aus Sicht von Epidemiologen stehen uns aber auch im kommenden Jahr weitere Wellen bevor. Für den Virologen Christian Drosten ist es deshalb unabdingbar, die Impfquote weiter zu steigern, um die drohenden weiteren Wellen zu brechen.

Was macht eine Abwägung für oder gegen die Impfpflicht so schwer?

Die Verhältnismäßigkeit, die Voraussetzung für eine verfassungsrechtlich legitimierte Impfpflicht ist, ändert sich in der Corona-Pandemie ständig. Erst ließ sich eine Impfpflicht nicht umsetzen, weil es keinen Impfstoff gab. Dann gab es Impfstoff, aber für viele gesellschaftliche Gruppen wurde er nicht empfohlen. Erst gab es die "wilde" Corona-Variante, inzwischen hat sich das viel ansteckendere Delta-Virus durchgesetzt. Nicht zuletzt kann eine Impfpflicht bei einer entspannten Corona-Lage im Frühjahr oder Sommer 2022 plötzlich wieder unverhältnismäßig sein. Der Ermessensspielraum für Ethikerinnen, Juristen und Politikerinnen ist deshalb enorm.

Vor diesem Hintergrund steht die Politik vor einem Dilemma: Verzichtet sie auf eine Impfpflicht, drohen weitere Pandemie-Wellen und die damit einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Entscheidet sie sich für eine Impfpflicht, könnte das zu einem weiteren Vertrauensverlust führen.

Sendung: radioeins, 23.11.2021, 07:10 Uhr

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