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Video: Abendschau | 18.05.2017 | Dorit Knieling | Quelle: dpa

Aktuelle Stunde im Abgeordnetenhaus

Innensenator Geisel sagt rückhaltlose Aufklärung zu

Der Innensenator steht unter Druck: Mitarbeiter des Landeskriminalamtes sollen im Fall Amri Akten manipuliert haben. Zwar sagte Geisel am Donnerstag Aufklärung zu, aber der Stuhl des LKA-Chefs scheint zu wackeln. Und ein Untersuchungsausschuss wird immer wahrscheinlicher.

Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den Attentäter Amri wird es nun möglicherweise doch einen Untersuchungsausschuss geben. Das wurde in einer aktuellen Stunde des Berliner Abgeordnetenhauses deutlich, in der am Donnerstag über Manipulationsvorwürfe gegen das Landeskriminalamt debattiert wurde.

Die innenpolitischen Sprecher von SPD- und CDU-Fraktion, Frank Zimmermann und Stephan Lenz, schlossen die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses nicht mehr aus. Gleichzeitig lobten beide Politiker die gute Arbeit des Sonderermittlers Bruno Jost, der innerhalb kürzester Zeit neue Verdachtsmomente zu Tage gefördert habe. Sowohl Lenz als auch Zimmermann plädierten auch für eine baldige Sondersitzung des Innenausschusses, um die Vorwürfe zu klären.

Geisel kündigt Aufklärung an

Bisher waren die Ermittler davon ausgegangen, dass Amri nicht festgenommen werden konnte, weil er nur mit kleinen Mengen von Drogen handelte. Aus Sicht des Sonderermittlers stellt sich das aber anders dar. Am Mittwoch hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) bekanntgegeben, dass es einen Sachstandsbericht des Polizeilichen Staatsschutzes vom 1. November 2016 gebe, aus dem hervorgeht, dass Amri in großem Stil Drogenhandel betrieb. Diese Erkenntnisse beruhten auf der Telekommunikationsüberwachung des Tunesiers.

Laut Geisel hätte der Bericht ausgereicht, um Amri zu verhaften. Doch der Bericht wurde nicht weitergeleitet. Stattdessen, so der Verdacht, wurde am 17. Januar, also gut einen Monat nach dem Terroanschlag, ein neuer Bericht erstellt - und auf November zurückdatiert. In diesem war nur noch von geringfügigem Handel mit Betäubungsmitteln die Rede.

Generalstaatsanwalt leitete am 20. Oktober neue Ermittlungen ein

Auch die Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat sich am Donnerstag zum Ablauf der Ermittlungen geäußert. Aufgrund der Telefonüberwachung habe es Anhaltspunkte dafür gegeben, "dass Amri zwar in kleinem Umfang, aber wiederkehrend Betübungsmittel-Geschäfte tätigte", teilte der Pressesprecher des Generalstaatsanwalts, Martin Steltner, mit. Daraufhin habe die Behörde die Polizei aufgefordert, erneut zu ermitteln, "und zwar auch deswegen, weil der Verdacht eines gewerbsmäßigen Betäubungsmittel-Handels Grundlage für verdeckte Maßnahmen hätte sein können", schreibt Steltner in einer Pressemitteilung. Wegen eines Verstoßes gegen Paragraph 29 des Betäubungsmittelgesetzes seien am 20. Oktober 2016 solche Ermittlungen auch eingeleitet worden.

Geisel dementiert bevorstehende Entlassung von LKA-Chef Steiof

Geisel kündigte im Abgeordnetenhaus eine rückhaltslose Aufklärung an. Die Polizei dürfe Fehler nicht verschleiern, betonte er in seiner Rede vor dem Abgeordnetenhaus. Gegen mehrere Mitarbeiter seien disziplinarrechtliche Maßnahmen ergriffen worden, sagte Geisel. Außerdem hat die Berliner Landesregierung Anzeige gegen Mitarbeiter des LKA wegen Verdachts auf Strafvereitelung und Falschbeurkundung gestellt. Insgesamt sei sein Vertrauen in die Polizeibehörde aber ungebrochen, sagte der SPD-Politiker am Donnerstagabend dem rbb. Die Umstände würden zunächst ordentlich untersucht, analysiert und bewertet, sagte Geisel der rbb-Abendschau. Man sei klug beraten, besonnen vorzugehen.

Einen Bericht der "Berliner Morgenpost", wonach der Chef des LKA, Christian Steiof, kurz vor der Ablösung stünde, dementierte Geisel. Auch Rücktrittsforderungen an Polizeipräsident Klaus Kandt wies Geisel zurück. Jetzt Schnellschüsse zu fordern, sei im Hinblick auf die Sicherheitssituation in der Stadt nicht klug, sagte Geisel dem rbb. Für die Gefährdung der Sicherheitslage seien Terroristen verantwortlich, nicht die Polizei.

Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisiert Informationspolitik

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Landesverband Berlin, wirft Geisel in diesem Zusammenhang eine Vorverurteilung des polizeilichen Staatsschutzes vor. Der Senator hätte zunächst die Ermittlungen abwarten müssen, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Carsten Milius am Donnerstag dem rbb. Allein die Begründung eines Tatverdachts, "auch wenn es sich tatsächlich um gewerbsmäßigen Rauschgifthandel gehandelt haben sollte", rechtfertige nicht notwendigerweise die Festnahme eines Verdächtigen, heißt es dazu in einer Pressemitteilung, die der BDK am Donnerstag parallel verbreitete.

Linke, FDP und AfD fordern Ex-Senator Henkel zu Stellungnahme auf

Redner der Linken, sowie von FDP und AfD forderten in diesem Zusammenhang, die Rolle des ehemaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) genauer zu untersuchen. Der Abgeordnete der Linken, Hakan Tas, erklärte, es müsse die Frage gestellt werden, ob der damalige Innensenator seine Behörde im Griff gehabt habe: "Herr Henkel, ich fordere Sie auf, jetzt Stellung zu beziehen."

Der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe und AfD-Fraktionsvize Karsten Woldeit kritisierten auch den amtierenden Innensenator Geisel. Woldeit sprach von einem Bauernopfer: Die Verantwortung solle jetzt auf einen Beamten niedergedrückt werden, so der AfD-Mann. Luthe erklärte, es dränge sich der Verdacht auf, dass Geisel bereits seit Längerem von der möglichen Manipulation gewusst habe. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, nahm den Senator in Schutz: Geisel habe nichts zu verbergen, erklärte er in seiner Rede.

Anschlag mit zwölf Toten

Der Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember mit zwölf Toten "hätte womöglich verhindert werden können", sagte Geisel am Mittwoch. Der Tunesier Amri war am 19. Dezember mit einem zuvor gekaperten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast. Er tötete zwölf Menschen, weitere 67 wurden bei dem bislang folgenschwersten islamistischen Terroranschlag in Deutschland verletzt. Wenige Tage später wurde Amri auf der Flucht in Italien von der Polizei erschossen.

Sendung: Abendschau, 18.05.2017, 19:30 Uhr

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