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Quelle: dpa/Matthias Schrader

Überwachung und Sorge

Der 11. September und seine Spuren in der Berliner Sicherheitspolitik

Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA bedeuteten auch für Berlin eine Zäsur. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden angepasst. Auch auf andere Anschläge folgten Maßnahmen, doch nicht alle haben bis heute Bestand. Von Birgit Raddatz

An den Tag selbst erinnert sich Ehrhart Körting, ehemaliger Innensenator von Berlin, noch genau. "Ich saß in meinem Büro in der Klosterstraße und meine beiden Sekretärinnen kamen herein und riefen, ich solle unbedingt den Fernseher anmachen." Als der SPD-Politiker und seine Mitarbeiter:innen sahen, dass ein zweites Flugzeug in einen der beiden Türme in New York flog, war Körting klar, dass es sich um einen terroristischen Anschlag handelte, der auch das weit entfernte Berlin betraf.

Quelle: dpa/Roland Popp

Er berief unmittelbar eine Sitzung mit der Polizeiführung, dem Verfassungsschutz, dem Landeskriminalamt und den Mitarbeiter:innen seiner Sicherheitsabteilung ein. "Wir haben sofort Maßnahmen eingeleitet, was den Schutz von amerikanischen, aber auch jüdischen Einrichtungen betraf", erzählt der 79-Jährige. Körting war damals erst ganz frisch zum Innensenator des Landes Berlin unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ernannt worden.

Kurz darauf erhielt die Berliner Polizei neue Schutzausrüstung.

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"Das sind reale Ängste – anders als das Monster unterm Bett"

Der 11. September 2001 ist vielen Eltern auch deshalb noch in Erinnerung, weil sie ihren Kindern erklären mussten, was in New York passiert war. Aber wie erklärt man Terror? Oder auch die aktuellen Ereignisse in Afghanistan und die Klimakrise?

Rechtslage musste erst geklärt werden

Die Amerikaner hatten im Zuge der Anschläge vom 11. September eine Liste von Wünschen an die europäische Politik, sagt ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg. Manches habe aber Zeit und Diskussion gebraucht. Zum Beispiel die Erfassung von Fluggastdaten (sogenannte Passenger Name Records), die als Konsequenz gefordert wurde. "2004 ging es noch um die Frage, ob die Essenswünsche an Bord an die Amerikaner übermittelt werden. Also die Frage, ob jemand Schweinefleisch ablehnt als Rückschluss auf einen muslimischen Glauben, sozusagen", so Götschenberg. Das habe für viel Diskussion gesorgt. Erst 2016 schuf die Europäische Union dann die nötige Rechtsgrundlage dafür.

Quelle: dpa/Bernd Settnik

Schon viel früher, nämlich im Januar 2002, trat das Terrorismusbekämpfungsgesetz in Kraft. Eigentlich sollte es auf fünf Jahre befristet sein – es hat aber bis heute Bestand. Dank des Gesetzes sind Fluggast-Daten für das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz abrufbar. Der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) sah darin eine sicherheitspolitische Notwendigkeit – die zahlreichen Kritiker dagegen erkennen darin ein Gesetz, das es den Behörden viel zu leicht macht, Fluggäste auszuspähen.

Radikalisierung fand schon im eigenen Land statt

Rund ein Jahr nach den Anschlägen gingen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass es sich beim internationalen Terrorismus vorwiegend um sogenannte "Schläfer" handelt, also um Menschen, die eigens dafür in die europäischen Länder einreisten, erinnert sich Ehrhart Körting.

Schließlich kam man jedoch zu dem Schluss, dass es sich vielmehr um sogenannte "homegrown terrorists" handelte, also um "Menschen, die hier teilweise schon seit
Jahren wohnen, radikalisiert werden und dann Kontakt zu möglichen internationalen
terroristischen Organisationen aufnehmen", fasst der ehemalige Berliner Innensenator das Phänomen zusammen.

09/11

15 Jahre danach hat Deutschland noch immer nicht alle Sanktionen gegen Terrorverdächtige umgesetzt

Sein Name: Aqeel A. Seine Nationalität: Saudi. Der Vorwurf: Er war Direktor einer islamischen Stiftung, die Al Kaida mit Millionenbeträgen finanziert haben soll. Seit 2004 steht sein Name deshalb auf den Sanktionslisten von UN und EU. All sein Vermögen, Gelder, Aktien und Immobilien sollten eingefroren werden. Doch in Deutschland passierte nichts. Aqeel A. hat die mit seinem Grundstück erzielten Einnahmen offenbar der Berliner Al Nur Moschee zur Verfügung gestellt, die seit Jahren verdächtigt wird, Propaganda für Terrororganisationen zu betreiben.

Muslim:innen plötzlich unter Generalverdacht

Mit dieser Einschätzung änderte sich auch die Lage in Berlin. Nun ging es darum, herauszufinden, wo die Radikalisierung stattfinden könnte. "Da haben wir natürlich auf bestimmte Einrichtungen, auch auf bestimmte Moscheen geguckt, in denen sehr extreme Leute waren, um zu sehen, ob sich daraus auch etwas terroristisches entwickelt", so Körting.

Als Innensenator nahm er eine veränderte Haltung der Gesellschaft gegenüber Muslim:innen wahr. Deshalb sei er damals in viele Moscheen und zu muslimischen Veranstaltungen gegangen und habe dort gesprochen. "Das gehört zum inneren Frieden der Stadt und auch des Landes, dass da nicht eine Bevölkerungsgruppe ausgegrenzt wird, weil einige wenige Terroristen aus dieser Bevölkerungsgruppe gekommen sind."

Weitere Terroranschläge in Europa

Im Zuge der Anschläge von Madrid im Jahr 2004 und in London 2005, bei denen sich Terroristen in U-Bahnen in die Luft sprengten und insgesamt über 300 Menschen töteten und fast 3.000 verletzten, entwickelte sich die Anpassung der Sicherheitsmaßnahmen ständig weiter.

In Deutschland fingen die Bundesländer gemeinsam mit dem Bund an, sich stärker zu vernetzen. 2004 wurde das Gemeinsame Terror-Abwehrzentrum (GTAZ) eröffnet. Eine stärkere Vernetzung zwischen den Geheimdiensten war damit möglich.

2006 verhinderten britische Sicherheitsbehörden Anschläge, bei denen flüssiger Sprengstoff in Getränkeflaschen während des Flugs zur Explosion gebracht werden sollte. Kurz darauf wurden die Mitnahme von Flüssigkeiten in Flugzeugen begrenzt.

Zehn Jahre später verübte der Islamist Anis Amri ein Attentat auf den Breitscheidplatz. Im Zuge dessen wurde der Platz zusammen mit 16 weiteren als Sicherheitszone ausgewiesen.

Was in Bayern geht, ist in Berlin verboten

Viele der Sicherheitsmaßnahmen sind bis heute geblieben. Manches jedoch setzte sich nicht durch, sagt ARD-Terrorismusexperte Götschenberg. Die Vorratsdatenspeicherung beispielsweise wurde vom Bundesverfassungsgericht wieder gekippt. In Berlin ist es – anders als beispielsweise in Bayern - bis heute nicht möglich, Gefährder:innen in Präventivhaft zu nehmen. "In Berlin geht das nur mit begründetem Verdacht. Das heißt aber nicht, dass die einen die Dinge laxer nehmen als die anderen. Da geht es am Ende um ideologische Fragen, um die politische Koalition."

Ein anderes Beispiel sei die präventive Telekommunikationsüberwachung, die in Berlin auch nach der Reform des Polizeigesetzes nicht möglich ist. Bei all den Maßnahmen gilt: Einen ultimativen Schutz gegen jede Art von Anschlag gibt es nicht, glaubt Ehrhart Körting. "Wir leben in einer freien Gesellschaft, in der sich Menschen frei bewegen, wir können den Zugang zum amerikanischen Generalkonsulat oder zur amerikanischen Botschaft schützen. Aber wir können nicht jede U-Bahn, jeden Kinderladen, jede Schule kontrollieren." Der beste Schutz gegen Terrorismus, da ist sich Berlins Ex-Innensenator sicher, sei es, frühzeitig zu wissen, wenn eine Gefahr droht.

Sendung: Inforadio, 10.09.2021, 11.40 Uhr

Beitrag von Birgit Raddatz

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