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Video: rbb|24 | 27.07.2022 | Material: rbb24 Abendschau | Quelle: dpa/Sven Hoppe

Nicht genügend Vakzine

Affenpocken-Impfungen in Berlin und Brandenburg stocken

Die Affenpocken breiten sich in der Region weiter aus - doch es gibt erste Hoffnungsschimmer. Berliner Ärzte würden gerne mehr impfen. Aber noch fehlen Dosen. Auch in Brandenburg droht nach Aussagen von Aktivisten ein Mangel.

Die Novo-Praxis in der Mohrenstraße in Berlin-Mitte. Hier behandelt der Allgemeinmediziner Sven Schellberg unter anderem Menschen mit sexuell übertragbaren Krankheiten. Viele seiner Patienten sind schwule Männer. Ein Personenkreis, der zurzeit besonders betroffen ist von den Affenpocken - und deswegen ein großes Interesse an der Impfung hat.

"Die Affenpocken gelten nicht als klassische sexuell übertragbare Krankheit, werden aber durch Sex und engen Hautkontakt weitergegeben", sagt Schellberg. "Deshalb wollen sich die Patienten schützen und impfen lassen."

Die Liefer- und Lagerbedingungen des Impfstoffs sind laut Sven Schellberg nicht ganz einfach. Unter minus 20 Grad muss dieser gekühlt werden. Das könne nicht jede Praxis in Berlin. 18 Praxen sind laut Schellberg an der Impfkampagne beteiligt, jede von ihnen habe 300 Dosen des Vakzins erhalten. "Die meisten haben jetzt keinen Impfstoff mehr. Das ist natürlich ein großes Problem", sagt der Arzt.

Nachfrage sehr hoch

Berlin fordert mehr Affenpocken-Impfstoff

Berlin liegt bei Anzahl der Fälle vorne - aber "Tendenz rückläufig"

Christopher Schreiber vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg sagt, die Impfkampagne laufe in der Hauptstadt nicht, wie sie laufen sollte. Und das, obwohl Berlin bereits ein Viertel der bundesweit 40.000 verfügbaren Impfdosen erhalten hat. "Die Zahl der Fälle, die wir in Berlin haben, spiegelt sich nicht in der Zahl der Impfdosen wider, die vom Bund geliefert wurden", sagt Schreiber.

Er bezieht sich dabei auf Zahlen des Robert-Koch-Instituts: Von den mehr als 2.400 bundesweiten Affenpocken-Fällen wurden mindestens 1.000 in Berlin registriert. Die Gesundheitsverwaltung nannte am Dienstag die Zahl von aktuell 1.277 Fällen in der Hauptstadt.

In Anbetracht dessen fordert der Senat, dass der Bund deutlich größere Mengen an Impfstoff nach Berlin liefert. Der Gesundheitsstaatssekretär Thomas Götz (Grüne) sagte dem rbb, der Bundesgesundheitsminister habe weiteren Impfstoff bestellt und man hoffe, ein Großteil davon werde nach Berlin geliefert. Gut 100.000 Impfdosen seien nötig, so Götz in der rbb24 Abendschau, um alle Personen zu erreichen, die nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission Anspruch auf eine Impfung hätten. Was die Infektionsfälle angehe, sei die Tendenz nach einem Höhepunkt Mitte Juli derzeit aber rückläufig.

Braucht Brandenburg mehr Impfdosen?

In Brandenburg sieht die Situation etwas anders aus. Zwei Impfstationen in Potsdam und Blankenfelde-Mahlow haben bisher eigenen Angaben zufolge insgesamt 240 Impfdosen erhalten. Bisher wurde das Vakzin 63 Mal verabreicht.

Einen drohenden Mangel wie in Berlin sieht die Landesgesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) nicht, sagt sie. Zwar sehe sie die Notwendigkeit genügend Impfstoffe an Kontaktpersonen von Infizierten zu bringen. "Aber das, was der Bundesgesundheitsminister bei der EU bestellt hat, müsste dafür ausreichen", sagte Nonnemacher.

Jirka Witschak von der Landeskoordinierungsstelle Queeres Brandenburg kritisiert hingegen, die insgesamt 240 Impfdosen für Brandenburg genügten bei weitem nicht. Er forderte die Landesregierung dazu auf, Impfstoff nachzubestellen.

Wie wird das Affenpocken-Virus übertragen?

Die Übertragungswege zwischen Menschen sind noch nicht abschließend geklärt. Voraussetzung ist laut RKI meist enger Körperkontakt. So enthalten gerade die typischen Hautläsionen besonders hohe Viruskonzentrationen. Infektionen sind aber mitunter wohl auch durch Speichel, große Tröpfchen und eventuell auch Sperma möglich. Hinzu kommen möglicherweise kontaminierte Kleidung, Bettwäsche und Handtücher. Im Gegensatz etwa zum Coronavirus wird der Erreger nicht durch Aerosole etwa beim Atmen, Sprechen oder Husten übertragen, wie Rockstroh betont.

Nach einer Studie an mehr als 500 Patienten berichten Forscher, dass sich 95 Prozent bei sexuellen Aktivitäten angesteckt hatten - aber nicht 100 Prozent [nejm.org]. Eintrittspforte sind laut RKI oft Hautverletzungen sowie die Schleimhäute, etwa von Genitalien, Anus, Mund, Nase und Auge. Infizierte sind laut RKI ansteckend, solange sie Symptome haben - gewöhnlich zwei bis vier Wochen lang. Die Inkubationszeit beträgt demnach meist 5 bis 21 Tage.

Wie äußert sich die Affenpocken-Infektion?

Laut einer Analyse von 528 Fällen wiesen zwar 95 Prozent der Patienten Hautläsionen auf, 64 Prozent hatten allerdings weniger als zehn solche Läsionen. Bei rund zehn Prozent der Untersuchten sei nur eine einzige Läsion festgestellt worden. Am häufigsten traten die Hautveränderungen im Anal- und Genitalbereich auf, gefolgt von Rumpf, Armen und Beinen.

"Einzelne genitale Hautläsionen und Läsionen an den Handflächen und Fußsohlen können leicht zu Fehldiagnosen wie Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten führen, was wiederum die Erkennung verzögern kann", schreibt das Team, dem auch der Arzt Jürgen Rockstroh vom Uniklinikum Bonn angehört. im "New England Journal of Medicine". Medizinisches Personal müsse daher geschult werden, Affenpocken zu erkennen. Im Verdachtsfall lasse sich die Diagnose durch Analyse eines Abstrichs von Schleimhäuten oder Pockenläsionen per PCR-Test abklären, sagt Rockstroh.

Bei vielen Betroffenen ist die Krankheit extrem schmerzhaft, je nachdem, welches Areal von den Hautveränderungen betroffen ist. Laut Rockstroh kommen etwa 10 Prozent der Betroffenen in stationäre Behandlung - meist wegen starker Schmerzen. Generell zielt die Therapie auf die jeweiligen Symptome ab.

Wie gut kann man sich schützen?

Der reguläre Pockenimpfstoff Imvanex, der seit kurzem auch gegen Affenpocken zugelassen ist, bietet laut Rockstroh einen Schutz von 85 Prozent. Die Impfung hilft demnach auch nach einer Infektion, Symptome zu verhindern - sofern sie rechtzeitig verabreicht wird.

Derzeit sind laut WHO 98 Prozent der Infizierten Männer. Empfohlen wird die Impfung in Deutschland insbesondere für Männer, die Sex mit Männern haben und häufig den Partner wechseln, weil die registrierten Infektionen bislang vor allem diese Bevölkerungsgruppe betreffen.

Zur Grundimmunisierung wird der Impfstoff zweimal im Abstand von mindestens 28 Tagen verabreicht. Allerdings gab es zuletzt nur etwa 40 000 Impfdosen in Deutschland, weitere etwa 200 000 würden für das 3. Quartal erwartet.

Lässt sich der aktuelle Ausbruch noch eindämmen?

Mit Informationen von Marcus Latton

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 26.07.2022, 19:30 Uhr

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