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Audio: rbb24 Inforadio | 02.08.2022 | Franziska Hoppen | Quelle: dpa/Britta Pedersen

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Was Amtsarzt Savaskan vorgeworfen wird – und was er seiner Chefin vorwirft

Das Bezirksamt Neukölln erhebt gegen Amtsarzt Nicolai Savaskan schwere Vorwürfe. Das geht aus dem Schreiben hervor, mit dem der Mediziner von seinen Aufgaben entbunden wurde, das dem rbb vorliegt. Kurz zuvor hatte der sich über Mobbing beschwert. Von Franziska Hoppen und Thorsten Gabriel

Der Brief, unterschrieben vom stellvertretenden Neuköllner Bezirksbürgermeister Jochen Biedermann (Grüne), ist datiert auf den 29. Juli und umfasst acht Seiten: Es ist das Schreiben, in dem dem Leiter des Gesundheitsamtes, Nicolai Savaskan, mitgeteilt wird, dass es ihm ab sofort verboten ist, seine Dienstgeschäfte auszuführen. Außerdem wird ihm ein Hausverbot erteilt. Diese Maßnahmen gegen den prominenten Amtsarzt hatten zuletzt für Erstaunen gesorgt. Es stand die Frage im Raum, ob seine wiederholte öffentliche Kritik am Corona-Management der Politik ausschlaggebend für diesen Schritt gewesen sein könnten.

In dem Schreiben wird Savaskan zwar auch sein Kommunikationsverhalten nach außen vorgeworfen, vor allem aber geht es um das Klima im Amt. Savaskan wird unter anderem vorgehalten, sein Verhalten gegenüber Dienstkräften des Bezirksamts Neukölln habe "ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen und Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld" geschaffen. Er habe außerdem kein Verständnis für sein "lautes dominantes Auftreten" gezeigt. Sein Auftreten sei von "zahlreichen Dienstkräften" als "Druck- und Bedrohungssituation empfunden worden". Das ihm erteilte Hausverbot sei deshalb eine Maßnahme "zum Schutz der Dienstkräfte des Bezirksamtes Neukölln".

Vertrauensverhältnis "nachhaltig geschädigt"

Als Beleg für die Vorwürfe wird in dem Schreiben an Savaskan unter anderem aus E-Mails von ihm an Mitarbeiterinnen zitiert. Außerdem werden Beschwerden über ihn von mehreren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Rechtsamtes beim Bezirk aufgelistet. Vorgehalten wird Savaskan auch, er habe sich über Dienstanweisungen der Gesundheitsstadträtin Mirjam Blumenthal (SPD) hinweggesetzt. So sei er im März angewiesen worden, Presseinterviews nur noch nach Freigabe durch die Stadträtin zu führen, habe sich daran aber nicht gehalten. Außerdem wurde ihm die weitere eigenständige Veröffentlichung von Podcasts und der Einsatz sozialer Medien in seiner Funktion als Leiter des Gesundheitsamtes untersagt.

Eher beiläufig wird Savaskan in dem Schreiben auch vorgehalten, dass er Bewirtungskosten in Höhe von 116,20 Euro zu Unrecht verausgabt und auch nach mehrmaliger Aufforderung nicht erstattet habe. Die Kosten fielen im Zusammenhang mit Wochenendarbeit im Pandemiestab des Bezirks an. Angesichts des Umfangs der übrigen Vorhaltungen fällt dieser Vorwurf allerdings kaum ins Gewicht. Zudem soll diese Angelegenheit dem Vernehmen nach mittlerweile erledigt sein.

Das Vertrauensverhältnis zwischen Savaskan und seinem Dienstherrn wird in dem Schreiben als "nachhaltig geschädigt" bezeichnet. Deshalb sei es ausgeschlossen, dass er seine Dienstpflichten weiter ausübe. Gegebenenfalls sei jetzt ein Disziplinarverfahren einzuleiten, um die komplexen Vorwürfe weiter zu klären.

Savaskan wirft Gesundheitsstadträtin Mobbing vor

Nicolai Savaskan wollte sich – ebenso wie das Bezirksamt Neukölln – auf rbb-Nachfrage vorerst nicht zu den Vorwürfen äußern, hatte seinerseits aber wenige Tage vor seiner Freistellung ein zehnseitiges Beschwerdeschreiben an das Beschwerdemanagement des Bezirksamts geschickt, das dem rbb ebenfalls vorliegt. Darin wirft er Gesundheitsstadträtin Blumenthal "organisationsschädigendes Verhalten" vor. Es handle sich um von ihm zusammengetragene Beschwerden von Beschäftigten, von denen viele "Angst vor Konsequenzen durch die Dezernentin" hätten.

Beschäftigte seien "durch Führen mit Macht und autoritärem Verhalten" psychisch unter Druck gesetzt worden. Savaskan spricht von einer "toxischen Arbeitsatmosphäre" und einer "klaren Erfüllung des Tatbestandes Mobbing". Wiederholt habe die Stadträtin Dienst- und Informationswege umgegangen und es sei zu "konspirativen Treffen mit Geheimhaltungsabmachungen" gekommen, zu denen er als Leiter des Gesundheitsamtes nicht eingeladen worden war. Als Beleg fügt er zwei Schreiben von Beschäftigen an, in denen es um die Einrichtung einer "Task Force" durch die Stadträtin Anfang Juli geht.

Vier Tage nach seiner Beschwerde wird Savaskan freigestellt

Aufgrund der "Schwere des Organisationsschadens", der durch die Gesundheitsstadträtin entstanden sei, bitte er, Savaskan, um "uneingeschränktes Verfolgen des Fehlverhaltens", auch, weil die Stadträtin "keinerlei Fehlereinsicht zeige". Eine ähnliche Wortwahl findet sich auch, bezogen auf Savaskan, in dem Freistellungs-Schreiben an ihn, das nur vier Tage später rausging. Auch zu der Beschwerde Savaskans wollte das Bezirksamt Neukölln keine Stellungnehmen. Zu "Personaleinzelangelegenheiten" äußere man sich grundsätzlich nicht öffentlich.

Die Vorwürfe wiegen auf beiden Seiten schwer. Überprüfbar sind sie von außen nur kaum. Einige im politischen Raum werten das Vorgehen des Bezirks als überraschend drastische Maßnahme der Gesundheitsstadträtin, sich eines amtsinternen Gegenspielers zu entledigen. Allerdings war die Freistellung Savaskans keine einsame Entscheidung einer Stadträtin. Auch Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) war involviert und das Schreiben an den Amtsarzt wurde letztlich von dessen Stellvertreter Biedermann verfasst. Auch Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) wurde über den Schritt des Bezirksamts informiert. Fest steht allerdings: Die Situation hatte sich über Monate hinweg zugespitzt.

Auch wenn das "Verbot der Führung der Dienstgeschäfte" gegenüber Savaskan nur vorläufig ausgesprochen wurde, erscheint es kaum wahrscheinlich, dass dieser auf seinen Posten zurückkehren wird. Klarheit wird deshalb wohl nicht nur ein Disziplinarverfahren bringen, sondern am Ende werden es vor allem Gerichte sein, die das letzte Wort haben. Savaskan hatte seinen Posten als Leiter des Gesundheitsamtes 2020 angetreten.

Hinweis: Wir haben in unserem Text der Vollständigkeit halber eine Passage zum Vorwurf unrechtmäßiger Bewirtungskosten ergänzt, der von einigen Medien erwähnt wird.

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Sendung: rbb24 Abendschau, 02. August 2022, 19:30 Uhr

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