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Audio: rbb24 Inforadio | 14.09.2022 | Alexander Goligowski | Quelle: Jens Kalaene/dpa

Proteste für Kita-Reform Brandenburg

"Zu oft muss ich meine Kleinen vertrösten"

Brandenburgs Erzieher, Kita-Träger und Eltern haben vor dem Landtag demonstriert. Die Politik soll sich nicht mehr auf dem Status Quo ausruhen können. Warum Reformen so nötig sind, zeigt das Beispiel einer Kita in Luckenwalde. Von Alexander Goligowski

"Ich möchte was trinken. Ich habe Hunger. Spielst Du mit uns?": Eigentlich könnte sich Jördis Thoß teilen für die 15 Kinder ihrer Gruppe. Jedes hat individuelle Bedürfnisse. Nicht alle kann Jördis Thoß befriedigen. "Ein Kind möchte puzzeln, ein Kind möchte malen, das nächste möchte kneten. Das schaffe ich gar nicht alles. Zu oft muss ich meine Kleinen vertrösten. Es ist schade. Ich gebe mein Bestes."

Die Situation ist weit entfernt vom Ideal, unbefriedigend für die Kinder aber auch für die Jördis Thoß, die eigentlich einen anderen Anspruch hat. Ohnehin sind 15 Kinder für eine Erzieherin zu viel, und es passt eigentlich auch mit dem jetzigen Personalschlüssel nicht. Aber nicht selten ist es der Normalzustand und Alltag für 183.000 Kinder, die in Brandenburgs Kitas betreut werden. Man kann sich das schönrechnen: Nicht alle Kinder von Jördis Thoß sind den ganzen Tag da. Zwischenzeitlich hilft mal eine Springerin aus. Es ist immer ein Jonglieren mit Betreuungszeiten, Arbeitszeiten und Arbeitskraft. Zwei Erzieher wären für eine Gruppe von 15 Kindern ideal, findet Jördis Thoß. "Dann kann man die Gruppe teilen, mit den einen Vorschulübungen machen, mit den anderen Basteln oder Spielen. Dann würden wir auch unserem Bildungsauftrag eher gerecht und könnten nicht nur eine Betreuung sichern."

Unterfinanziert und zu wenig Personal

Jördis Thoß arbeitet in einer von Brandenburgs größten Kitas. Die Kita "Burg" in Luckenwalde (Teltow-Fläming) betreut 320 Kinder. Katharina Giersdorff ist die Leiterin. Für das Management dieser großen Einrichtung gesteht das aktuelle Kita-Gesetz ihr trotzdem nur eine halbe Stelle zu. Mehr wird vom Gesetzgeber nicht finanziert. Eigentlich müsste sie also noch die Hälfte ihrer Arbeitszeit in Gruppen verbringen. "Das ist utopisch, ich schaffe meine Leitungsaufgaben so schon kaum in meinen täglichen acht Arbeitsstunden." Und schon klingt wieder das Telefon von Katharina Giersdorff.

Weil eine halbe Stelle hinten und vorne nicht reicht, stellt ihr Arbeitgeber, die Volkssolidarität Fläming-Elster sie komplett für ihre Leitung frei und bezahlt das aus eigenen Mitteln. Vorprogrammierte Unterfinanzierung und eine geplant zu kleine Personaldecke nennt das Geschäftsführer Florian Förster und macht keinen Hehl aus seinem Ärger über die im März geplatzte Reform des Kita-Gesetzes. "Das macht wütend, und man ist auch ein Stück weit verzweifelt."

Reform auf Eis

Zwei Jahre hatten Eltern, Träger und Erzieher an Reformvorschlägen mitgearbeitet, die die Situation in den Bildungseinrichtungen für die Jüngsten verbessern sollten. Einen besseren Betreuungsschlüssel sollte es geben, einheitlich Elternbeiträge in allen Kommunen, mehr Geld für Bildungsangebote. Dann legte Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) das Projekt auf Eis, weil die Kommunen und Landkreise angesichts der Pandemie und des Ukraine-Kriegs angeblich keine Kapazitäten für die Umsetzung hätten. Für Florian Förster ist das nicht akzeptabel: "Wenn man uns gegenüber argumentiert, dass man keine Ressourcen hat, um diese dringend notwendige Reform umzusetzen - dann müssen wir sagen: Mit dem was ihr für uns gesetzlich vorhaltet, können wir keine Bildungseinrichtung betreiben."

Aber alle Hilferufe aus der Praxis nützen wenig. Seit März hat sich das Bildungsministerium in der Frage der Reform kaum gerührt. Zuletzt gab es auf Drängen des Bildungsausschusses wage Ankündigen die Gesetzes-Reform wenigstens in Teilen noch in dieser Legislatur anzugehen. Die Gründe für den Stopp des Reformprozesses hält Kathrin Dannenberg, bildungspolitische Sprecherin der Linken, für vorgeschoben. "Die blockierende Haltung des Landkreistages scheint nicht in der Überlastung zu liegen, viel mehr fehlt es anscheinend an Vertrauen gegenüber dem Land, verbunden mit der Angst bei einem neuen Kita-Gesetz noch tiefer in die kommunale Tasche greifen zu müssen." Dannenberg wirft Bildungsministerin Ernst vor, nicht die Kommunikation mit den Kreisen und Kommunen zu suchen.

Protest von Eltern und Erziehern

Am Ende geht es wohl um die Frage: Wer kommt für die Bildung unserer Jüngsten auf? Erzieher, Eltern und Träger wollen endlich eine Antwort darauf und drängen auf die Reform. Am Mittwoch haben sie sich deshalb erneut vor dem Landtag versammelt. 300 bis 400 sind gekommen, um für ihre Forderungen unter dem Motto "Keine Reform ist keine Lösung" zu demonstrieren.

Barnim

Waldschule in Groß Schönebeck soll nach Protest doch erhalten bleiben

Große Freude in Groß Schönebeck: Die Waldschule Jägerhaus soll nun doch nicht geschlossen werden. Das hat Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel bei einem Besuch in Aussicht gestellt. Der Landtag will sich am 9. Februar damit beschäftigen.

Auch Florian Förster von der Volkssolidarität und Katharina Giersdorff von der Kita "Burg" in Luckenwalde haben mitdemonstriert. Denn so kann es aus ihrer Sicht in den Kitas nicht weitergehen: "Wir wollen gute Bildungsangebote für die Kinder gestalten. Wenn der Personalschlüsse aber nicht verbessert wird und wir weiter nicht ausreichend Erzieherinnen und Erzieher haben, dann ist es auf Dauer nur ein 'Überleben' - und das wollen wir nicht", sagt Katharina Giersdorff und fügt an: "Es kann ja auch nicht sein, dass das Ziel einer Kita ist, zu überleben. Unsere Aufgabe muss sein, Bildungsangebote zu schaffen, in denen sich die Kinder entwickeln und entfalten können." Dafür brauche es eine umfassende Reform des Kita-Gesetzes in Brandenburg, wenn man Kitas als Bildungseinrichtungen auch politisch ernst nimmt, ergänzt Florian Förster.

Immerhin, Bildungsministerin Ernst kündigt vor den Versammelten an, dass am Donnerstag die Tür zur Reform wieder "ein Stück aufgehen" werde. Dann wird der Landtag voraussichtlich mit den Stimmen der Koalition für einen Antrag der oppositionellen Linken stimmen, der von der Landesregierung fordert, zeitnah einen Gesetzesentwurf für ein geändertes Kita-Gesetz einzubringen, sodass dieses noch in dieser Legislatur in Kraft treten könne.

Sendung: rbb24 Inforadio, 14.09.2022, 14:20 Uhr

Beitrag von Alexander Goligowski

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