rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Quelle: dpa/Christoph Soeder

Interview | Polizeidirektor zu Wasserwerfer-Einsatz

"Bei 30 Grad hätte der Einsatz so sicherlich weniger Sinn gemacht"

Erstmals seit Jahren hat die Polizei in Berlin Wasserwerfer bei einer Demonstration eingesetzt. Im Interview erklärt Polizeidirektor Stephan Katte, warum wieder zu diesem Mittel gegriffen wurde - und welchen Spielraum die Polizei grundsätzlich noch hätte.

rbb|24: Herr Katte, wie viele Wasserwerfer hat Berlin derzeit?

Stephan Katte: Wir haben vier WaWe-Wasserwerfer von den sogenannten 10.000ern. Und dann, wenn ich es richtig erinnere, noch zwei 9.000er. [Das Modell WaWe 10.000 ist das aktuellere, Anm.d.Red.]

Zur Person

Polizeidirektor

Stephan Katte

Stephan Katte ist Leiter der Berliner Polizeidirektion Einsatz/Verkehr. Er ist auch für die Berliner Wasserwerfer verantwortlich. Er hat auch den Einsatz des Wasserwerfers am 18. November 2020 in Berlin angeordnet.

Wie teuer ist so ein Wasserwerfer denn, wenn er eingesetzt wird?

Der Wasserwerfer selbst kostet in der Anschaffung etwa eine Millionen Euro. Die werden aus Bundesmitteln bezahlt. Was der Einsatz des Wasserwerfers pro Tag kostet haben wir noch nie ausgerechnet.

Um die Wasserwerfer zu bedienen, braucht man eine spezielle Ausbildung. Wie viele Polizisten in Berlin haben die denn?

Etwa 40 bis 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ausgebildet und fähig, mit dem Wasserwerfer als Einsatzgerät umzugehen.

Zum Thema

Corona-Proteste in Berlin

Polizei beendet Demo mit Wasserwerfern - 365 Festnahmen

Welche Gefahren und Risiken birgt so ein Wasserwerfer im Einsatz?

Zum einen ist der Wasserwerfer in der Lage mit einer hohen Druckzahl Wasser zu werfen, also mit einem gezielten Wasserstoß von einer maximalen Anzahl von 20 Bar. Wenn das in einer kurzen Distanz von fünf bis zehn Metern erfolgt, sind da erhebliche Verletzungen möglich. Insofern war das am 18. November bei der Demonstration auch außerhalb der Diskussion, mit einem Wasserstoß zu arbeiten. Es ging ausschließlich darum, Wasserregen nach Art einer Gießkanne einzusetzen. Und die Teilnehmer entsprechend von oben nass zu machen.

Das haben Sie so entschieden, weil die Demonstranten zu nah am Wasserwerfer dran waren und sich unter ihnen auch Kinder befunden haben?

Ja. Denn jeder Einsatz – auch der des Wasserwerfers – muss unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Und für einen gezielten Wasserstrahl habe ich so keine Verhältnismäßigkeit erkannt. Es ging ausschließlich darum, und daher meine Anordnung, den Wasserwerfer so wirken zu lassen, als ob es etwas verstärkt regnen würde.

Was hat für Sie denn überhaupt den Ausschlag gegeben, den Wasserwerfer zum Einsatz zu bringen?

Ein Stück weit auch die Erfahrung aus den letzten Einsätzen, die wir im Zusammenhang mit dem Protest-Klientel gemacht haben. Es darf ja jeder seine Meinung äußern und demonstieren – das ist ja unbenommen. Aber die Erfahrungen zeigen ja, dass da Zigtausende zusammenkommen die sich auch nach zig Ansprachen nicht an die Regeln halten wollen. Sie halten weder Abstände ein, noch tragen sie eine Mund-Nasen-Bedeckung. Dadurch kann dem Infektionsschutz an keiner Stelle Genüge getan werden.

In den vergangenen Einsätzen haben wir es nicht hinbekommen, diese Menschenmengen zeitnah auseinanderzubekommen. Das ist auch eine Frage der Anzahl der Menschen. Und am Mittwoch waren auch wieder 7.000 bis 10.000 im Bereich des Brandenburger Tores und an der Straße des 17. Juni. Vor dem Hintergrund der Witterungslage - bei 30 Grad Außentemperatur hätte der Einsatz so sicherlich weniger Sinn gemacht - ging es uns darum, wie es auch Michael Müller schon in der rbb-Abendschau gesagt hat, es den Menschen ein bisschen ungemütlich zu machen. Denn wenn man bei diesen Temperaturen nass wird, führt das schon eher mal dazu, dass der eine oder andere geht.

Wann war zuletzt vor dem Einsatz am 18. November 2020 ein Wasserwerfer in Berlin im Einsatz?

Unsere Statistiken sagen, dass am 1. Mai im Jahr 2013 - allerdings nicht von Berliner Kräften, sondern von der Bundespolizei - ein Wasserwerfer in Schöneweide zum Einsatz kam. Davor, von Berliner Polizisten, zum letzten Mal 2008. Beide Einsätze fanden im Rahmen von NPD-Demos statt.

Wie viele Wasserwerfer-Einsätze gab es in den letzten 20 Jahren?

Dazu habe ich keine Statistik vorliegen. Ich glaube, dass 2003 und 2004 - vor 2008 und 2013 - die letzten Jahre, wo Wasserwerfer rund um den 1. Mai zum Einsatz kamen. Aber verlässliche Zahlen habe ich da nicht.

Das heißt, im Vergleich noch zu den Nullerjahren, kommen die Wasserwerfer ja verhältnismäßig selten zum Einsatz. Ist das der Deeskalations-Strategie der Berliner Polizei zu verdanken?

Die Deeskalations-Strategie ist ein Teil der Erklärung. Ich bin seit 1987 bei der Berliner Polizei und verfolge daher ja auch die Entwicklungen rund um den 1. Mai. Wenn man sich anschaut, was da früher an Protestklientel auf der Straße war, dann ist das etwas ganz anderes als das, was wir heute erleben. Das waren früher deutlich heftigere und intensivere Auseinandersetzungen. Gerade rund um den 1. Mai. Dort sind die Wasserwerfer ja vorrangig auch zum Einsatz gekommen. Da kam es teilweise über mehrere Stunden in der Gegend der Oranienstraße zu heftigen Auseinandersetzungen.

Das hat sich ja in den letzten Jahren vollkommen verändert. Auch durch die Organisation des Myfests - das hat ja eher einen Fest-Charakter bekommen. Es gibt zwar immer noch eine Gruppe, die gern einen 18-Uhr-Aufzug machen will, aber das sind deutlich weniger als früher mit einem deutlich geringeren Gewaltpotential. Insofern hat die über Jahre und Jahrzehnte entwickelte Deeskalations-Strategie gar nicht nur bei der Polizei, sondern bei allen möglichen Akteuren dafür gesorgt, dass die Gewalt deutlich zurückgegangen ist. Dann muss man ja auch als Polizei nicht mehr mit so massiven Mitteln vorgehen.

Berlin ist eines der Bundesländer, die dem Wasser, das der Wasserwerfer versprüht, Reizstoffe – in dem Fall Chloracetophenon (CN) – zusetzen dürften. Wurde das je gemacht?

Ja, aber das muss in den 1980er Jahren das letzte Mal gewesen sein. Oder im Zweifelsfall Anfang der 1990er Jahre bei der Räumung der Mainzer Straße - das will ich auch nicht ausschließen. Aber in den letzten Jahren gab es mit Sicherheit keine Zumischungen von Reizstoffmitteln - auch nicht 2008.

Was macht der Reizstoff denn genau, wenn er zum Einsatz kommt?

Der bewirkt, ähnlich wie Reizgas oder Pfefferspray, eine juckende Augenreizung. Die Augenlider und die Schleimhäute schwellen an.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Artikel im mobilen Angebot lesen