rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft
Audio: Inforadio | 30.03.2022 | Leonie Schwarzer | Quelle: dpa/Axel Heimken

Gas-Importe aus Russland

Was der Gas-Notfallplan für Berlin und Brandenburg bedeutet

Noch fließt russisches Gas ohne Einschränkung in europäische Länder. Deutschland bereitet sich trotzdem auf Engpässe vor. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat die erste von drei Stufen eines Notfallplans ausgerufen. Privathaushalte sind vorerst nicht betroffen.

Die Bundesregierung bereitet sich wegen des Kriegs in der Ukraine und anhaltender russischer Drohungen auf eine erhebliche Verschlechterung der Gasversorgung in Deutschland vor. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzte am Mittwoch die Frühwarnstufe als erste von drei Krisenstufen des sogenannten "Notfallplans Gas" in Kraft und appellierte zugleich an alle Verbraucher, Gas zu sparen. "Es gibt aktuell keine Versorgungsengpässe", erklärte Habeck. "Dennoch müssen wir die Vorsorgemaßnahmen erhöhen, um für den Fall einer Eskalation seitens Russlands gewappnet zu sein."

tagesschau.de

Wer als Erstes auf Gas verzichten müsste

Der "Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland", der im September 2019 veröffentlicht wurde, definiert drei Krisenstufen. In der nun ausgerufenen Frühwarnstufe liegen laut Verordnung "konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise darauf vor, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt". Im Vordergrund steht zunächst die Vorsorge. Ab sofort trifft sich regelmäßig ein Krisenstab und analysiert die Lage für die Bundesregierung.

Die IHK Potsdam begrüßte das Inkrafttreten der Gas-Frühwarnstufe. Dies habe der Verband bereits letzte Woche gefordert, sagte Pressesprecher Detlef Gotschling am Mittwoch dem rbb. "Damit die nötigen Verantwortlichen an einen Tisch kommen, um eine stabile Versorgung zu sichern."

NBB in Kontakt mit Großkunden

In der Region ist die Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg (NBB) für die Verteilung des Gases zuständig. Bei der sogenannten Frühwarnstufe müsse die NBB klären, bei wem der Gasverbrauch reduziert werden kann, sagte Pressesprecher Andreas Wendt am Mittwoch dem rbb. Momentan seien sie schon dabei, Kontakt zu Großkunden aufzunehmen. "Wir versuchen dort herauszubekommen, welches Produktionsniveau von den Großkunden noch gehalten werden kann, wenn es aus einer Notlage heraus zu Lieferkürzungen kommen würde." Auch würde erfragt, ob es alternative Möglichkeiten bei der Energieversorgung gebe.

In dem Nofallplan ist auch festgehalten, dass sogenannte geschützte Kunden bevorzugt behandelt werden - dazu gehören unter anderem Haushalte oder auch soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser. Dass Privatkunden von einem Importstopp direkt betroffen sind, hält Andreas Wendt daher für unwahrscheinlich: "Neben den Alternativen aus anderen Ländern gibt es auch ein europäisches Abkommen, in dem geregelt ist, dass für den Fall einer Gasmangel-Lage, ein EU-Nachbarstaat mit zusätzlichen Lieferungen einspringt und sozusagen unter die Arme greift", sagte Wendt weiter.

Auch Senat beobachtet Entwicklung

Berlins Senator für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Stephan Schwarz (parteilos), sagte der rbb24 Abendschau, es sei mit weiteren Energiepreis-Steigerungen zu rechnen. In welchem Umfang lasse sich aber nicht voraussagen. Der Senat beobachte die Entwicklung, das sei auch Teil der Frühwarnstufe.

Noch aber gebe es "Erdgas auf den Markt", sagte Gasag-Pressesprecherin Ursula Luchner. Die Verträge seien teilweise schon vor Monaten geschlossen worden. "Wir befinden uns auch am Ende der Heizperiode, so dass weniger Erdgas benötigt wird." Luchnar sagte aber auch: "Wenn weniger Erdgas auf dem Markt ist, können natürlich wieder die Preise steigen."

Vor allem Stahl- und Ernährungsindustrie betroffen

Für energieintenisve Unternehmen sei ein Lieferstopp aus Russland ein großes Problem, sagte Carsten Brönstrup von den Unternehmensverbänden Berlin-Brandenburg. In vielen Fällen sei Gas nicht ersetzbar. "In einigen Fällen müsste die Produktion ganz auf Null gefahren werden - mit entsprechenden Folgen für das Unternehmen für Arbeitsplätze und so weiter", meint Brönstrup.

In Berlin betroffen seien besonders die Ernährungsindustrie oder einzelne Unternehmen aus der Metall- und Elektroindustrie. In Brandenburg sei für Zementwerke, Stahlwerke oder auch Chemiewerke Gas unverzichtbar, so Brönstrup. Durch einen Lieferstoff "würden ganze Wertschöpfungsketten in Gefahr geraten", ist Brönstrup überzeugt. "Das würde, das muss man so klar sagen, zu einer Kernschmelze der deutschen Industrie führen."

Vor allem die Stahlindustrie sei auf Gas angewiesen, sagte Holger Wachsmann von der IG Metall aus Brandenburg dem rbb. Ein kompletter Lieferstopp von Gas habe voraussichtlich "massive Auswirkungen auf die gesamten Lieferketten", so Wachsmann. "Eine Alternative zum Abschalten kenne ich bis jetzt nicht."

Steinbach: Gasmangel hätte ernste Folgen für Unternehmen

Auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) schätzt die Folgen für die regionalen Unternehmen bei einem möglichen Gasmangel als ernst ein. Die Gastanks des Landes wiesen zwar derzeit mit 25 Prozent einen für diese Jahreszeit üblichen Füllstand auf. Man könne aber nicht ausschließen, dass energieintensive Unternehmen "in Mitleidenschaft" gezogen würden, sollte es zu einer Verknappung kommen, sagte Steinbach Brandenburg aktuell.

"Das fängt an bei der Chemie, bei der pharmazeutischen Industrie, und geht weiter über die Nahrungsmittelindustrie, die Glasmanufakturen oder ähnliche Betriebe", so der Minister. Auch wenn bisher nur die Frühwarnstufe gelte, sei jeder schon jetzt aufgefordert, sein eigenes Handeln kritisch zu durchdenken, so Steinbach.

Stufe 2: Alarm - Stufe 3: der Notfall

Gibt es einen Engpass, wird die zweite Stufe ausgerufen: die Alarmstufe. Dann gehe es nicht mehr um Prophylaxe, sagte Andreas Wendt von der NBB. "Was wir in der Frühwarnstufe vorbereiten - wo wir theoretisch durchspielen, wo die Lieferung gedrosselt werden könnte - würde dann greifen", so Wendt.

In der dritten Stufe - der Notfallphase - herrscht laut Definition ein akuter Mangel. Auf dem Markt wäre kein Gas für den freien Verkauf verfügbar. Dann ist die Abschaltung nicht mehr freiwillig, sondern erfolgt durch den Staat in einer sogenannten "hoheitlichen Zuteilung". Diese Aufgabe übernimmt die Bundesnetzagentur, die für die Regulierung und die Wettbewerbsaufsicht beim Gas zuständig ist.

Auch bei der Bundesnetzagentur laufen bereits Vorbereitungen auf den Ernstfall. Es gebe bereits vertrauliche Gespräche mit den Unternehmen über die Auswirkungen eines Lieferstopps auf ihre Anlagen und für Folgeunternehmen in der Lieferkette, hieß es. Wichtig sei, die Gasspeicher bereits jetzt durch Zukäufe oder eine Reduktion des Gasverbrauches aufzufüllen, forderte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, am Mittwoch. Die Gas-Frühwarnstufe sei auch ein Weckruf an Verbraucher und Industrie, Gas zu sparen.

Doch auch wenn die dritte Stufe ausgerufen wird, werden Privathaushalte besonders geschützt. Es trifft in erster Linie die Unternehmen. "Grundsätzlich trifft es die Wirtschaft, den Wohlstand und damit die Arbeitnehmer", sagt Detlef Gotschling von der IHK Potsdam.

Mit Material von Leonie Schwarzer, rbb24 Inforadio

Sendung: Abendschau, 30.03.2022, 19:30 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen