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Audio: Antenne Brandenburg | 12.06.2020 | Autorin: Katja Geulen | Quelle: rbb/Katja Geulen

Modellversuch in Nechlin

Wie Windräder in der Uckermark ein ganzes Dorf heizen

In Nechlin in der Uckermark profitieren die Anwohner von den Windrädern in Sichtweite. Anhand einer Modellanlage heizt der überschüssige Strom dort Wasser und versorgt damit das ganze Dorf mit günstiger Wärme. Andere Dörfer wollen das nachahmen. Von Katja Geulen

Power-to-X – was wie ein Action-Film klingt, bezeichnet in der Energiebranche Verfahren, um Stromüberschüsse aus erneuerbaren Energien zu speichern. Denn tatsächlich scheint die Sonne und weht der Wind ja nicht immer dann, wenn Nutzerinnen und Nutzer den Strom auch verbrauchen wollen. In Nechlin im Norden der Uckermark wird daher nun seit drei Monaten Windkraft in Wärme umgewandelt – im Sprachgebrauch der Energietechniker ein Power-to-Heat-Verfahren. Dies ist in Brandenburg bisher einmalig - und auch nur wegen einer Ausnahmegenehmigung möglich.  

Wie ein Durchlauferhitzer

Das kleine Nechlin, ein Ort mit rund 50 Haushalten ganz im Norden der Uckermark, ist damit zum Energie-Modell-Dorf geworden. 17 Windkraftanlagen in der Umgebung sind der Schlüssel zur Warmwasserversorgung des ganzen Orts. Umgewandelt wird der Strom in einer eigenen Anlage: Ein Glashäuschen voller Rohre und Armaturen, dahinter ein großer grüner Speicher, ähnlich einem Silo. Darin sind tausend Tonnen warmes Wasser. Die Faustregel: 1.000 Liter pro Einwohner.

Der Wärmespeicher wird immer dann aufgeheizt, wenn zwar der Wind weht, aber das Stromnetz schon voll ist. Wie das funktioniert, erklärt der Alternativstromerzeuger Jörg Müller von Enertrag, der Firma, die das Verfahren dort installiert hat. "Über eine Direktleitung kommt der Strom hier herunter und geht rein in den Trafo - das ist eigentlich wirklich nur ein kleines Rohr. Es ist also kein Tauchsieder, sondern ein Durchlauferhitzer", sagt er.

Quelle: rbb/Katja Geulen

Überschüssigen Strom nutzen

Früher mussten die Windräder abgeschaltet werden, sobald sie überschüssigen Strom produzierten. Jetzt wird der Strom sinnvoll genutzt und heizt damit das ganze Dorf. "Wir brauchen auch keine andere Energie mehr", sagt Jörg Müller.

Über Rohrleitungen läuft das warme Wasser in die Dorfmitte - im Keller eines alten Speichers. Der Nechliner Berhnard Schulz schaut hier nach dem Rechten. "Das Heißwasser wird hier gemischt", sagt er. "Es wird in Oberdorf und Unterdorf aufgeteilt - und die Temperatur kann man einstellen, alles ganz simpel und wartungsfrei", sagt er. "Es ist auch billiger als alles andere, und das zählt ja heute auch." Jeder, der mit ans Netz wollte, wird versorgt: Haushalte, die Brennerei, Wohnsiedlungen - alle beziehen warmes Wasser und Heizwärme aus der Anlage.  

Heizkosten gesunken

Mit dem Windstrom im Warmwassernetz sind die Heizkosten für die Anwohner gesunken, und genau so lässt sich auch die Akzeptanz für Windkraftanlagen auf dem Land steigern, sagt der Bürgermeister der Gemeinde Uckerland, Matthias Schilling (SPD). "Wir sind ja in dem Spannungsfeld, inwieweit regenerative Energie positiv oder negativ wahrgenommen wird", sagt er. "Da ist es unglaublich hilfreich, dass so etwas hier entstanden ist, weil die Bürgerinnen und Bürger direkt davon profitieren und weil der Strom direkt vor Ort genutzt werden kann."

Weitere Dörfer seiner Gemeinde würden auch gern die Windfelder in ihrer Nähe zur Wärmeversorgung nutzen. Einen Haken gibts dann doch noch an der ganzen Geschichte: die Anlage läuft bisher nur als Modellvorhaben, sagt der Bürgermeister. "In jedem Ortsteil gäbe es die Möglichkeit, sich an Windfelder anzukoppeln, und da müssen wir alles dafür tun, dass die Sondergenehmigung aufgehoben wird, dass es weitergeht, und dass es für andere Ortsteile dann auch möglich ist."

Quelle: rbb/Katja Geulen

Chance für viele Orte

In Nechlin versorgen gut 1.000 Tonnen warmes Wasser die etwa 100 angeschlossen Anwohnerinnnen und Anwohner. Quasi jeder Ort mit Windrädern in Sichtweite könnte so mit Warmwasser und Heizung versorgt werden, auch größere Orte, dort müsste die Anlage mit ensprechend mehr Wasser ausgestattet werden.

Zur Zeit werden in Deutschland sechs Milliarden Kilowattstunden jährlich abgeregelt: die Windräder werden wegen zu voller Netze abgestellt, dieses Abregeln muss auch noch teuer durch die Netzbetreiber gezahlt werden, woraus sich ein doppelter Verlust ergibt. Durch andere Nutzung  - eben Power-to-gas oder Power-to-heat - könnten diese Kosten eingespart und effizient genutzt werden.  

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Energieeinspeisegesetz regelt Strompreis

Grünen-Chefin Annalena Baerbock möchte sich für solche und ähnliche Wärmespeicher in Brandenburg einsetzen. Bei einem Besuch in Nechlin jüngst sprach sie sich dafür aus, die Gesetze entsprechend anzupassen. Denn ohne eine Gesetzesänderung müsste nach dem Modellbetrieb die Anlage wieder auf Holzhackschnitzel umgestellt werden.

Hintergrund dieses Mankos im Energieeinspeisgesetz (EEG) ist, dass man bisher die einzuspeisende Energie nicht vor Ort nutzen darf oder die Kosten hochgetrieben werden, weil man auf den eigenen Strom EEG-Zulage zahlen muss. Wenn die Zulage wegfällt, die eigenlich die EEG pushen sollte, statt sie zu bremsen, dann kostet der Windstrom oder auch die mit Windstrom erzeugte Wärme dadurch nur noch gut die Häfte von Kohle, Öl oder Gas.  

Beitrag von Katja Geulen

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