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Audio: rbb 88.8 | 24.08.2022 | Interview mit Reiner Wild | Quelle: dpa/Kai-Uwe Heinrich

Interview | Berliner Mieterverein

"Die Mieten steigen, und es wird sehr schwer, dagegenzusteuern"

Reiner Wild ist seit Jahrzehnten die Stimme des Berliner Mietervereins. Nun geht er in den Ruhestand. Im Gespräch mit dem rbb blickt er zurück auf 40 Jahre Mietergeschichte in Berlin – und schaut aus dieser Erfahrung heraus auf die Zukunft.

rbb: Guten Tag, Herr Wild, Sie sind seit 2009 Geschäftsführer des Mietervereins, aber bereits seit 1981 dabei – das war die Hausbesetzerzeit hier in Berlin. Wie haben Sie die erlebt?

Reiner Wild: Ich bin 1975 nach Berlin gekommen, habe ganz typisch als Student in einer Seitenflügel-Wohnung in Berlin-Schöneberg gelebt, ein abrissreifes Haus, drumherum sehr viel Leerstand. Irgendwann bekam ich dann beim Berliner Mieterverein eine Stelle in der Geschäftsführung, nachdem ich als Soziologe ein bisschen Stadtteilarbeit gemacht hatte. Anfang der 1980er-Jahre gab es Hausbesetzungen wegen des Leerstands bei gleichzeitiger Wohnungsnot. Und dann begann tatsächlich auch eine spannende Zeit, weil wir als Berliner Mieterverein Patenschaften für diese besetzten Häuser übernommen hatten: Wir hatten uns natürlich gewünscht, dass diese besetzten Häuser als Wohngruppen auch in Verträge reinkommen. Und das ist ja auch in sehr vielen Häusern gelungen. Modernisierung war ein großes Thema, aber natürlich vor allen Dingen auch die Instandhaltung der sehr heruntergekommenen Altbauten in Berlin.

zur person

Ende der Achtzigerjahre kam der Mauerfall, dann die Wiedervereinigung. Was war damals die größte Herausforderung für Sie?

Das war eine total spannende Phase: das erste Mal nach der Öffnung mit Mieteraktivisten in den Ostteil der Stadt rüberzufahren, erste Kontakte aufzunehmen; mit Menschen im Prenzlauer Berg, die sich um den Erhalt der Altbauten dort gekümmert haben, Gemeinsames auszuloten, Erfahrungen auszutauschen – es war ein bewegendes Gefühl. Wir haben dann auch geholfen, einen Mieterverein im Ostteil der Stadt aufzubauen. Später waren wir ein gemeinsamer Berliner Mieterverein mit riesigen Aufgaben – gerade in den innerstädtischen Bezirken mit diesem total heruntergekommen Wohnungsbestand und gleichzeitig Leuten, die Wohnraum suchten. Und die Verdrängungsmaschinerie ging los. Jeder, der heute durch Prenzlauer Berg läuft, weiß, was man da eigentlich hätte anders machen müssen. Aber es ist nun mal so passiert, wie es passiert ist. Der Staat hat geglaubt, die Privatwirtschaft wird alles gut organisieren. Heute sehen wir, dass viele mit niedrigem Einkommen, die damals dort wohnten, heute nicht mehr da wohnen.

In den Neunzigerjahren haben ungeheuer viele Leute investiert im Ostteil der Stadt, auch in Ostdeutschland. Sie sind pleitegegangen, weil es erst nicht funktioniert hat mit den Immobilien. Der Boom kam später. Hätten Sie gedacht, dass es hier in Berlin mal so boomen würde?

Nein, tatsächlich nicht. Es wurde zwar nach der Wiedervereinigung von einer riesigen Bevölkerungsentwicklung für Berlin gesprochen, der damalige Bausenator nahm fünf Millionen Einwohner an. Und es wurde ein gigantisches Neubauprogramm aufgelegt. 80.000 Wohnungen sollten in dieser Legislatur im preisgünstigen Wohnungsbau errichtet worden – und sind auch zum Teil errichtet worden. Das war eine der wenigen Situationen, wo tatsächlich die Neubautätigkeit dazu führte, dass wir ein Überangebot von Wohnraum hatten.

Zu der Zeit hätte niemand daran gedacht, dass wir mal eine Boomphase – die ab 2009 losging – bekommen können, dass das internationale Kapital als Immobilienkapital so interessiert an Berlin ist, auch die Regierung nicht. Denn die Instrumente, die man damals im Köcher hatte, waren alle noch auf den entspannten Markt ausgerichtet.

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Hinterher ist man immer schlauer. Dennoch gibt es Fehler mit Ansage – zum Beispiel der Verkauf der Sozialwohnungen unter Rot-Rot.

Die Privatisierung von kommunalen Wohnungsbeständen, die ja schon früher begann – 1998 wurde die GEHAG verkauft, 2004 dann die GSW – war ein schwerwiegender politischer Fehler. Das Tafelsilber darf man nicht verkaufen. Wohnen ist so bedeutsam für die Menschen, dass die Frage der Wohnkostenbelastung letztlich auch eine Schlussfolgerung für die Unterstützung, die der Staat leisten muss, bewirkt. Und in dieser Situation solche Bestände zu verkaufen – 60.000 bei der GSW, 40.000 bei der GEJHAG –, das war wirklich ein riesiger Fehler. Allerdings muss man auch wissen: 2004 hat der damalige Finanzsenator gesagt, wir stehen vor der Insolvenz in Berlin und müssen Kapital bekommen. Die Wohnungen waren ein schlechtes Beispiel, glaube ich. Die ganze Privatisierungswelle war fatal. Sie musste mit hohem Lehrgeld bezahlt werden. Denken Sie an die Wasserbetriebe, die Stromnetze. Alles wird zurückgekauft zu einem riesigen Preis – und daran verdienen die Unternehmen.

Was haben Sie als Mieterverein damals gemacht?

Wir waren selbstverständlich dagegen. Wir haben unheimlich viele Mieterversammlungen in den Beständen der GSW abgehalten, um tatsächlich dann noch für Mieterschutzklauseln zu kämpfen. Das ist uns gelungen. Die Mieter, die damals in den Beständen gelebt haben, haben Schutzklauseln bekommen gegen Eigenbedarfskündigungen. Heute ist davon aber kaum noch etwas zu sehen, weil es alles nur Schutzregeln waren für die damals darin wohnenden Menschen. Heute müssen wir möglicherweise über eine Vergesellschaftung diese Wohnungen wieder zurückbekommen. Oder wir müssen sie zurückkaufen durch die kommunalen Wohnungsunternehmen und unheimlich hohe Preise dafür aufbringen. Also ein sehr schlechtes Geschäft.

Der Mietendeckel war sehr umstritten in der Stadt. Sie haben den Mietendeckel sehr favorisiert und sehr gefeiert. Warum?

Ja, wir haben das gefeiert. Aber es war tatsächlich von der Geschichte her eine Anknüpfung an die Mietpreisbindung, die wir bis 1987 hatten. Wir sehen die Politik in der Verantwortung bei der Gestaltung der Mietpreise. Und weil das aufgegeben wurde 1987, weil wir nur Übergangsregelungen erkämpfen konnten, war es dann vielleicht auch der Versuch, mit dem Mietendeckel erneut eine öffentlich-rechtliche Geschichte zu bekommen.

Aber es hat am Ende nicht geklappt.

Absolut. Aber man muss auch sagen: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht das System über Bord geworfen. Es hat nur gesagt: Berlin hat nicht die Kompetenz. Und die jetzt müssen wir damit leben, dass wir auf dieser Ebene nicht weiterkommen, dass der Bund in der Verpflichtung ist.

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Wenn wir einen Blick in die Zukunft 2030 werfen: Werden Normalverdiener sich Innenstadt noch leisten können?

Das wird sehr schwierig werden. Das ist heute schon schwer. Wenn Sie in Prenzlauer Berg Wohnraum haben wollen, dann müssen Sie meistens kaufen. Und Sie müssen 6.000 bis 8.000 Euro pro Quadratmeter auf den Tisch legen. Von daher haben wir schon heute ein Problem, dass Leute mit durchschnittlichen Einkommen immer weiter an den Stadtrand gehen müssen. Dort sind die Mieten etwas niedriger. Aber auch dort wird nachgezogen. Meine Befürchtung ist, dass wir insgesamt, was die Warmmiete betrifft, also inklusive Heizkosten, Betriebskosten und Grundsteuern, tatsächlich nochmal einen Mieten-Schwung bekommen in der Stadt, weil die Nachfrage weiter hoch bleiben wird. Dann werden die Mieten steigen, und es wird sehr schwer, dagegenzusteuern. Wir werden im Innerstädtischen kaum sozialen Wohnungsbau als Ausgleich bekommen, weil fast alles bebaut ist und auch die Grundstücke viel zu teuer sind.

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Sie haben noch diverse Ehrenämter und sind auch bundesweit tätig. Was werden Sie im Ruhestand machen?

Zunächst bleibe ich ja weiterhin Vizepräsident des Deutschen Mieterbundes im Ehrenamt. Aber bin auch im Klimaschutzrat des Landes Berlin. Das ist ein Thema, das mich auch für die Zukunft noch interessieren wird. Ich fühle mich noch fit, auch mit inhaltlichen Dingen weiterzumachen. Gerade der Klimaschutz liegt mir sehr am Herzen, und im Gebäudebestand ist er sehr schwer umzusetzen. Da werde ich meine Kraft einsetzen, dass wir Modelle und Ideen entwickeln, wo tatsächlich Bewohner, Eigentümer und auch die Kommunen mit vernünftigen Modellen einen Umstieg in erneuerbare Energien hinkriegen.

Mit Reiner Wild sprach Ingo Hoppe für 88.8. Das Interview ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Version. Einen Zusammenschnitt des Original-Gesprächs können Sie mit Klick auf den Audioplayer oben im Artikelbild nachhören.

Sendung: rbb 88.8, 26.08.2022, 06:25 Uhr

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